Auf weit über 2.000 Meter Seehöhe ist es an diesem Donnerstag Ende August sommerlich warm. Das Morgenlicht hüllt die karge Gebirgslandschaft in weiche Brauntöne. Windschnittige Bauten, mit Solarpaneelen gepflasterte Hänge und silbrig schimmernde Liftmasten verleihen der marsartigen Landschaft einen futuristischen Touch.

Futuristische Landschaft auf über 2.000 Metern Höhe. Im Hintergrund sieht man mit Vlies abgedeckte Schneedepots.
Futuristische Landschaft auf über 2.000 Meter Höhe. Im Hintergrund sieht man mit Vlies abgedeckte Schneedepots.
Mathias Kautzky/WWF

Vor den Augen der Presse, die vom WWF zum Lokalaugenschein auf den Pitztaler Gletscher geladen wurde, liegt eine Landschaft, wie sie immer seltener zu finden ist. Massive Gletscherflächen, teils durchfurcht von tiefen Spalten, gleißend weiß bis dunkelgrau, schmiegen sich zwischen die schroffen Felsflanken.

Österreichische Verantwortung

Allein im Jahr 2022 verloren Österreichs Gletscher geschätzte sechs Prozent ihrer Fläche. Forschende warnen, dass bis zum Ende des Jahrhunderts 91 Prozent der Fläche der Alpengletscher verschwinden werden. Mehr als ein Viertel aller Gletscher der Europäischen Union liegt in Österreich. "Wir tragen eine große Verantwortung", sagt Ann-Kristin Winkler, Alpenkonventionsbeauftragte beim WWF.

Nahaufnahme eines Gletschers
Über ein Viertel aller Gletscher der Europäischen Union liegen in Österreich.
Mathias Kautzky/WWF

Der Gletscherschwund ist irreversibel

Winkler hat Bilder von der Umgebung dabei, um den Gletscherrückgang zu verdeutlichen. Die Unterschiede sind deutlich sichtbar. Mittlerweile steht fest: Der Gletscherschwund ist irreversibel. Ein Team der Uni Innsbruck untersucht und modelliert die zukünftige Veränderung genau jener Flächen, vor denen die Pressegruppe steht. Demnach sind diese – selbst bei ambitionierter Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen – spätestens 2050 quasi verschwunden.

Menschen halten eine Karte der geplanten Erweiterung
Eine WWF-Expertin erläutert die geplante Erweiterung.
Tobias Hipp/DAV

Weite Teile des Pitztaler Gletschers wurden bereits für die Menschen erschlossen. Doch das reicht den Betreibern offenbar noch nicht. Ihnen schwebt eine Erweiterung vor, entsprechende Pläne wurden im Februar bei den zuständigen Behörden eingereicht. Eine neue Seilbahn soll auf das Joch unterhalb des Linken Fernerkogels führen und das Skigebiet gen Osten erweitern. Wintersportelnde können dann entweder über den Karlesferner oder über den Mittelbergferner abfahren, heißt es in einer Mitteilung, die dem STANDARD vorliegt. Ein von den Behörden erteilter Verbesserungsauftrag werde derzeit bearbeitet. Man sei in gutem Austausch, heißt es vonseiten der Gletscherbahn-Geschäftsführung.

Massive Eingriffe in die Natur ...

Die Detailplanungen sind noch nicht öffentlich bekannt. Dass in Zeiten der Klimakrise aber weitere noch unberührte Gletscherflächen für die Pistennutzung präpariert werden sollen, stößt nicht nur beim WWF, sondern auch bei den Alpenvereinen auf scharfe Kritik. Das gehe mit massiven Eingriffen in die Natur einher, argumentiert Tobias Hipp vom Deutschen Alpenverein. Flächen müssten planiert und Spalten zugeschüttet werden, dazu komme der Baustellenverkehr. Die Pistenflächen würden das jetzige Hochtourengebiet vernichten.

Gletscherskigebiet mit Seilbahn
Die höchste Seilbahn Österreichs gondelt die Gäste auf 3.440 Meter.
Mathias Kautzky/WWF

... oder Nachhaltigkeitsbemühung?

Auch ein Tal weiter westlich, im Kaunertal, werden Ausbaupläne geschmiedet. Das Geschäftsführerduo Beate Rubatscher-Larcher und Franz Wackernell leitet nicht nur die Geschicke der Pitztaler, sondern auch die der Kaunertaler Gletscherbahnen. Dort soll gebaut werden: Eine Seilbahn und ein Schlepplift sind geplant. In einer noch gänzlich unerschlossenen Geländekammer. "Ein Verbrechen in Zeiten der Klimakrise", findet Benjamin Stern vom Österreichischen Alpenverein. Gemeinsam mit Hipp hat er sich vor Ort im Kaunertal ein Bild von der Lage gemacht. Die beiden berichten nicht nur von einer noch unberührten Hochgebirgslandschaft, sondern auch von massiven Felsstürzen.

Die Pläne seien "Bestandteile eines Gesamtkonzepts, das entwickelt wurde, um die beiden Skigebiete in eine nach sozialen, ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten nachhaltigere Zukunft zu führen", betont unterdessen die Geschäftsführung in einer schriftlichen Stellungnahme an den STANDARD. Das umschließe das Streben nach Energieautonomie mit noch mehr Photovoltaikanlagen und die Erhöhung der Verweildauer der Gäste.

Wie DER STANDARD erfuhr, habe die Geschäftsführerin dem WWF angeboten, die Pressegruppe beim Lokalaugenschein zu begleiten. Die Naturschutzorganisation habe dies abgelehnt.

Das Land gab auf Anfrage bekannt, dass derzeit zwei Umweltverträglichkeitsprüfungs-(UVP)-Feststellungsverfahren anhängig seien. Im Rahmen derer seien die "Schutzinteressen der Umweltverträglichkeit zu prüfen". Der Antragssteller sei ersucht worden, "ergänzende Unterlagen" vorzulegen, die unter anderem die Bereiche "Sport, Geologie und Glaziologie" betreffen. Beim UVP-Feststellungsverfahren wird nicht über die Genehmigung von Projekten entschieden.

Unzureichender Schutz

Gletscher sind hierzulande durch die Naturschutzgesetze der Bundesländer geschützt. Permanente Gletscher sind ein Schutzgut nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU. Auch die Alpenkonvention stellt die Gletscher unter besonderen Schutz. Die Projektwerbenden betonen, dass Schutzzonen von den geplanten Anlagen und Pisten nicht berührt würden.

Gesetzlicher Kniff

Möglich wird das durch einen Kniff in der Tiroler Gesetzgebung: 2005 wurde der absolute Gletscherschutz im Tiroler Naturschutzgesetz aufgeweicht. Für Gletscherskigebiete wie etwa im Pitztal oder im Kaunertal wurden Erweiterungszonen definiert. WWF-Lebensraumschutzexperte Bernhard Kohler kritisiert unzureichenden Schutz jener Flächen in Österreich, in denen Wildnis wiederhergestellt oder konserviert werden könnte. Derzeit seien nur rund 40 Prozent der noch vorhandenen alpinen Freiräume rechtlich geschützt.

Gletscher und See
Durch die Erweiterung würden neue Pistenkilometer erschlossen, die über noch existierende Gletscherflächen führen.
Tobias Hipp/DAV

An der Braunschweiger Hütte angekommen, lässt sich ein Blick auf jenes Joch erhaschen, auf das die neue Fernerjochbahn führen soll. Nur rund 100 Meter von diesem Punkt entfernt thront die Bergstation der Tiefenbachbahn im Ötztaler Gletscherskigebiet. Dass die beiden Skigebiete möglicherweise so nah zusammenrücken, erstaunt – war doch ein unter dem Namen "Gletscherehe" geplanter Zusammenschluss im vergangenen Jahr gescheitert.

Die Behörde stellte das Verfahren im November ein, bei einer Volksbefragung in St. Leonhard im Pitztal sprach sich eine hauchdünne Mehrheit gegen das Projekt aus. Dieses Ergebnis respektiere man, betont die Geschäftsführung, Konsequenzen seien gezogen worden. WWF und die Alpenvereine befürchten jedoch eine "Gletscherehe durch die Hintertür".

Ein Sessellift, im Hintergrund ein Bagger
Aktuell wird fleißig gearbeitet, um die Flächen winterfit zu machen.
Mathias Kautzky/WWF

Die Vorbereitungen auf die lukrative Wintersaison laufen jedenfalls auf Hochtouren – sowohl im Pitz- als auch im Ötztal. Das Knattern von Hubschraubern zerreißt die Stille. Die Investitionskosten für die geplanten Erweiterungen liegen bei rund 45 Millionen Euro. Für die Absicherung eines Millionengeschäfts scheint kein Preis zu hoch. (Maria Retter, 30.8.2023)