Alin Ionesi ist als Erster da. Das Sakko sitzt, die Frisur auch. Er nimmt Platz auf einem Vintagesofa im Möbelshowroom von Afterhour Furniture im sechsten Bezirk. Ob er noch schnell ein Video für Tiktok machen könne? Na gut, wir sind mal nicht so. Zweiter Auftritt: Martin Moder. Der Molekularbiologe hat seine Sportsachen dabei, nachher geht’s ins Fitnessstudio. Oskar Haag nimmt vom Fotografen Fanpost entgegen, die bei einem gemeinsamen Termin übriggeblieben ist. Kurze gegenseitige Vorstellungsrunde, Snacks stehen auf dem Tisch – schon kann es losgehen.

Männerrunde mit Zimmerpflanze: Martin Moder von den Science Busters (links), Content-Creator Alin Ionesi (Mitte) und Musiker Oskar Haag begegneten sich zum ersten Mal.
Männerrunde mit Zimmerpflanze: Martin Moder von den Science Busters (links), Content-Creator Alin Ionesi (Mitte) und Musiker Oskar Haag begegneten sich zum ersten Mal.
Christoph Liebentritt

STANDARD: Oskar Haag, Sie tragen auf der Bühne Anzüge, Kleider und bunten Lidschatten. Jemals Kommentare kassiert für ein Outfit?

Haag: In meiner Heimatstadt Klagenfurt schon. Dort findet alles in einem überschaubaren Radius statt, es gibt keine nebeneinander existierenden Bubbles. Deshalb bin ich vor allem dort mit sehr unterschiedlichen Reaktionen konfrontiert. Den einen bin ich egal. Die anderen feiern meine Outfits. Und dann gibt’s die, die mich mit "Bist du schwul, oder was?" anmachen. Zum Glück kann ich mich aus brenzligen Situationen herausreden. Sonst hätte ich sicher schon eine auf die Goschn bekommen.

STANDARD: Ihr modisches Vorbild ist Harry Styles. Warum?

Haag: Erst einmal halte ich ihn für einen der größten Musiker der Welt. Außerdem mag ich die Beiläufigkeit, mit der er seine Outfits zusammenstellt. Man spürt, dass er liebt, was er trägt, also will man auch so aussehen. Diese Art der Selbstinszenierung ist natürlich nicht neu, in den Siebzigern gab es David Bowie oder Mick Jagger.

STANDARD: Martin Moder, Sie gehören zur Generation der Millennials. Verstehen Sie den Hype?

Moder: Harry Styles sagt mir nichts. Vielleicht weil ich in der Metal-Szene sozialisiert worden bin. Ich war lange Schlagzeuger einer Band und offensichtlich in meiner Bubble gefangen.

STANDARD: Die Metaller bedienen ein konventionelles Männerbild, oder?

Moder: Kommt darauf an, was man damit meint. Viele der liebenswertesten Menschen, die ich kenne, kommen aus der Metal-Szene. Da haben sich Männer zur Begrüßung kräftig umarmt, lange bevor sich das anderswo durchgesetzt hat.

In unserem Gespräch treffen zwei Vertreter der Generation Z einen Millennial. Der gebürtige Klagenfurter Oskar Haag ist eben 18 geworden.
In unserem Gespräch treffen zwei Vertreter der Generation Z einen Millennial. Der gebürtige Klagenfurter Oskar Haag ist eben 18 geworden.
Christoph Liebentritt

STANDARD: Aber wieso ist momentan eher einer wie Harry Styles populär?

Ionesi: Styles hat nicht nur ein unglaubliches Charisma, seine Konzerte empfinde ich als Safe Space. Ich kann dort selbstverständlich Outfits tragen, für die ich mich auf der Straße angreifbar mache. Als ich nach Wien gezogen bin, bin ich auffälliger herumgelaufen, war in gelben Hosen und mit lackierten Nägeln unterwegs. Da gab’s so manchen Kommentar. Heute will ich mich in der Öffentlichkeit nicht mehr für mein Äußeres rechtfertigen.

STANDARD: Alin Ionesi, Sie sind Content-Creator auf Tiktok. Social Media sind aber alles andere als ein Safe Space …

Ionesi: Dort regieren die Extreme. Sie reichen von eiskalten Reaktionen bis zu Begeisterungsstürmen wie "Ich will ein Kind von dir". Negative Kommentare hauen mich nicht mehr um. Vielleicht weil ich einige Shitstorms erlebt habe und ich abgehärtet bin. Meine Freundin, die auch auf Tiktok aktiv ist, kann das nicht so leicht wegstecken. Sie ist dann mal eine Woche lang raus.

STANDARD: In der Vergangenheit wurde oft Ihre Frisur kommentiert.

Ionesi: Ich hatte eine Topffrisur, fand den Haarschnitt schön und habe absichtlich ein Spektakel daraus gemacht. Mein Zugang ist und bleibt: "Ich mache und ziehe an, was ich will."

STANDARD: Martin Moder, Sie lackieren sich nicht die Nägel?

Moder: Nein, aber auf Technopartys trage ich gelegentlich Glitzer. Ein Freund von mir zieht gerne Kleider an, was die meisten nicht mit Männlichkeit assoziieren. Gelegentlich wird ihm dafür Gewalt angedroht. Die Tatsache, dass er sich am nächsten Tag erneut so kleidet, zeugt von massiven Eiern. Eine solche "Fuck it, es ist mir wurscht, ob dir das gefällt"-Haltung kann man ebenso gut als hypermaskulin auslegen.

STANDARD: Oskar Haag, bezeichnen Sie Ihre Bühnenoutfits als Verkleidung?

Haag: Ich würde sagen, ich richte mich her. Es hat was, nicht nur in Jeans aufzutreten.

STANDARD: Ist Tiktok auch eine Art Bühne?

Ionesi: Ja, schon, man drückt ja bewusst auf "Aufnahme". Auch wenn Leute behaupten, Tiktok-Videos seien authentisch, ist das Ganze bei vielen eine Performance. Ich versuche mich so authentisch wie möglich zu geben. Aber ich merke während der Aufnahme auch, wie sich meine Stimme automatisch verändert.

Alin Ionesi stammt aus Mondsee und lebt in Wien, der Tiktoker ist Jahrgang 2000.
Alin Ionesi stammt aus Mondsee und lebt in Wien, der Tiktoker ist Jahrgang 2000.
Christoph Liebentritt

STANDARD: Oskar, Sie sagten mal, Ihren Eltern sei Ihre Kleidung egal. Haben alle Ihre Altersgenossen so offene Eltern?

Haag: Viele Freunde finden meine Eltern cool. Meine Mutter ist Kostüm- und Maskenbildnerin. Sie hat mich modisch beeinflusst, ich war mit ihr viel in Secondhandläden unterwegs. Ich hatte auch schon als Kind lange Haare, als Siebenjähriger habe ich Hosen aus der H&M-Mädchenabteilung angezogen, wenn sie mir gefallen haben.

Ionesi: Ich hatte als Kind auch lange Haare, erst in der Schule kam der Reality-Check. Im Vergleich zu mir hatten es meine Eltern um einiges schwerer. Mein Vater ist aus Rumänien eingewandert, er hatte völlig andere Probleme.

STANDARD: Martin Moder, welcher Mann wollen Sie sein?

Moder: Ich finde den, der ich bin, bis jetzt ganz okay. Ob sich jemand die Nägel lackiert, sagt für mich jedenfalls wenig über Männlichkeit aus. Trends und Moden wechseln so schnell. Es gab Zeiten, in denen Männer Strumpfhosen trugen und Pink die Farbe der Maskulinität war.

STANDARD: Zu Ihrem Antritt wurden Sie als "der neue Schöne" bei den Science Busters vorgestellt. Wie wichtig ist das Äußere vor der Kamera?

Moder: Zu behaupten, Aussehen sei irrelevant, wäre gelogen. Aber es macht einen Unterschied, ob man als Wissenschafter vor der Kamera steht oder ein Societymagazin moderiert. Ich würde ja gerne glauben, dass die Leute meine Videos ansehen, weil ich so schön bin, fürchte aber es liegt an ihrem Interesse an Wissenschaft.

STANDARD: Wird man als körperbewusster Wissenschafter ernst genommen?

Moder: Im Labor trägt man Labormäntel, die so weit geschnitten sind, dass körperlich alle gleichermaßen uninteressant erscheinen. In der Forschung verbringen die meisten so viel Zeit im Labor, dass sich fünfmal die Woche Kraftsport selten ausgeht. Da ich mir diese Zeit meist genommen habe, bin ich vielleicht ein leichter Ausreißer.

STANDARD: Sie teilen mit Andreas Gabalier eine Vorliebe für karierte Hemden und Muskeln. Gibt es noch mehr Gemeinsamkeiten als den Holzfällerlook?

Moder: Ich bin schöner! (lacht) Nein, ich möchte ungern mit ihm verglichen werden. Das mit den Karohemden habe ich irgendwann für die Science-Busters-Bühne begonnen, seither bekomme ich ständig welche geschenkt. Im Alltag möchte ich mich mit Kleidung möglichst wenig beschäftigen. Wenn eine Hose passt, besorge ich fünf Stück davon. Bei T-Shirts am liebsten zehn. Dann habe ich ein paar Jahre Ruhe.

STANDARD: Wie wichtig ist Ihnen Ihr trainierter Körper?

Moder: Er ist ein schöner Nebeneffekt, würde als Motivation aber nicht reichen, um jahrelang mehrmals die Woche zu trainieren. Ich mache Kraftsport, seit ich 17 bin. Es geht mir einfach deutlich besser, wenn ich trainiere. Nach dem Gespräch geht es auch gleich ins Studio.

STANDARD: Verstehen Sie Martin Moders Fitnessbegeisterung?

Haag: Fitness ist nicht meins, ich verstehe aber, warum man das mögen kann. Ich habe im Alter von sieben bis 14 getanzt, erst Hip-Hop, dann Ballett. In Wien bin ich Mitglied in einer Fußballmannschaft.

Ionesi: Ich habe eine Zeitlang regelmäßig ein Fitnessstudio besucht. Nicht um des Waschbrettbauchs, sondern des Körpergefühls willen. Ich verbinde das auch nicht mit Männlichkeit.

Moder: Ich kenne viele Kraftsportlerinnen, die deutlich stärker sind als die meisten Männer. Mir fällt aber auf, dass ihre Partner meist ebenfalls Kraftsportler und noch mal deutlich stärker sind. Ich frage mich, ob Männer ein Problem mit stärkeren Frauen haben. Oder Frauen einen Mann wollen, der stärker ist als sie selbst.

STANDARD: Früher sah man sich im Kino Clint Eastwood oder Arnold Schwarzenegger an – und heute?

Moder: Früher gab es nur Kino und Fernsehen, man sah den Arnold und vielleicht zehn weitere Helden. Heute gibt es viel mehr Plattformen mit nahezu unendlich vielen Informationsbubbles. Da findet man leichter eine Nische, und vielleicht hat sich auch dadurch das Bild von Männlichkeit diversifiziert. Wenn es allerdings immer weniger gibt, das eine Gesellschaft eint, wird das auch zur Herausforderung. (allgemeines Nicken)

STANDARD: Muskulöse, Geld scheffelnde und toxische Typen gelten als überholt, werden aber gleichzeitig in Social Media abgefeiert. Begegnen Sie noch Männern wie Patrick Bateman aus "American Psycho"?

Moder: Ich finde es schwierig, "muskulös", "Geld scheffelnd" und "toxisch" in einem Atemzug zu nennen. Man riskiert damit, die falschen Leute abzuschrecken. Ich kenne unfassbar liebenswürdige Kraftsportler. Und Leute, die mit großartiger Arbeit viel Geld verdienen. Das sollte man nicht in eine Kategorie mit Männlichkeit stecken. Leute wie Andrew Tate sind einfach egozentrische Wappler.

Haag: Wenn ich Videos von Andrew Tate sehe, werde ich grantig. Ich habe für diese Typen kein Verständnis. Auch in der Fußballcommunity begegnen mir viele rassistische, homophobe und sexistische Idioten. Als leidenschaftlicher Fan folge ich etlichen Instagram-Accounts von Fußballvereinen. Wenn mich etwas ärgert, kommentiere ich, oft folgen hunderte Reaktionen.

Ionesi: Auch auf Tiktok gibt es diese Typen. Ich finde aber auch spannend, dem Zeitgeist gegenläufige Frauenbilder wie die "stay-at-home moms" zu beobachten.

STANDARD: Was halten Sie von Internethypes wie den E-Boys oder den Granola-Boys?

Moder: Die kommen und gehen so wie die Emos oder die Krocha.

Ionesi: Jugendkulturen sind als Teil der Identitätsfindung schon wichtig. Als ich von Mondsee nach Wien gezogen bin, war ich Teil der Femboy-Community. Man kann sich auch Menschen im Internet sehr verbunden fühlen. Blöd nur, dass sich gleich Firmen da draufsetzen.

Moder: So wie Richard Lugner, der die Krochas vermarktet hat …

Ionesi: Die Krocha kenne ich nicht, für die bin ich zu jung. Statt Megatrends gibt es heute unzählige Splittergruppen. Das hat mit Social Media zu tun. Auf Instagram war der Algorithmus auf Personen ausgerichtet, bei Tiktok auf Interessen. Deshalb wird nicht mehr nur in Femboys oder Emos unterschieden. Die Femboys splittern sich wiederum nach Hobbys wie Vintagemode auf.

Der Molekularbiologe Martin Moder ist 35 Jahre alt und Teil der Wiener Wissenschaftskabarettgruppe Science Busters.
Der Molekularbiologe Martin Moder ist 35 Jahre alt und Teil der Wiener Wissenschaftskabarettgruppe Science Busters.
Christoph Liebentritt

STANDARD: Die Generation Z wird von Unternehmen stark umworben. Kommt das bei Ihnen an?

Ionesi: Es gibt etliche Brands, die sich auf die Gen Z fokussieren. So wie die chinesische Marke Shein, die jeden Mikrotrend umsetzt. Leider fühle ich mich oft von den falschen Marken verstanden.

Haag: Super ist auch Werbung, die krampfhaft die Jungen anspricht. So wie irgendwann mal die "Fanta mit dem Twist". Die Kleidung, die Attitude, da war so ziemlich alles falsch dran.

Ionesi: Zumindest fühle ich mich von solchen Annäherungsversuchen sehr gut unterhalten.

STANDARD: Warum sind dicke und durchschnittliche Männerkörper in Mode und Werbung unsichtbar?

Haag: Das stimmt, bei den Frauen ist man weiter. Man sieht nur den dünnen oder den muskulösen Körper.

Ionesi: Diese Diskriminierung ist wirklich ein Problem. Die meisten Männer sind irgendwas dazwischen.

Moder: Zumindest in Fernsehserien ist es üblich, dass Männer einen Bauch haben.

Ionesi: Wenn ein Plus-Size-Mann für den Film gecastet wird, dann als "der Lustige". In Social Media habe ich vor etwa drei Jahren immer wieder über Body-Positivity geredet, das hat Anklang gefunden. Plus-Size-Männer waren damals auf Tiktok überhaupt kein Thema. Meine Freundin ist plus-size, bei den Frauen sind große Größen schon präsenter.

STANDARD: Halten wir noch immer am schlanken Ideal fest?

Moder: Es sollte kein Mensch für sein Gewicht diskriminiert werden. Gleichzeitig kann der medizinische Aspekt nicht ignoriert werden. Jeder zweite erwachsene Europäer ist übergewichtig. Das ist eine der größten gesundheitlichen Herausforderungen der Gegenwart.

STANDARD: Beginnt Diskriminierung nicht bei der Wortwahl?

Ionesi: Man kann von Mehrgewichtigkeit sprechen, manche sagen auch einfach "fett", vor allem in den USA gibt es ja schon lange den Fett-Aktivismus. Wichtig ist, dass die Kommunikation ohne Schuldzuweisungen auskommt. Die führen zu nichts.

STANDARD: Stehen Männer heute mehr denn je unter Druck, schön zu sein?

Haag: Man muss sich doch nur einen x-beliebigen Liebesfilm ansehen. Die Schauspieler werden nach wie vor stereotyp besetzt. Menschen, die auf Männer stehen, schauen sich wahrscheinlich doch am liebsten Sexszenen mit konventionell attraktiven Typen wie Channing Tatum an.

Ionesi: In Social Media haben die Filter unsere Wahrnehmung von Schönheit extrem verändert. Ich erinnere mich noch an die plumpen Snapchat-Filter aus dem Jahr 2014. Heute gibt es auf Tiktok einen Beautyfilter, dessen Wirkung mich letztens fast zum Weinen gebracht hat. Die Filter sind ein echtes Gen-Z-Thema, weil wir sie so selbstverständlich benutzen. Ich war beim ersten Aufeinandertreffen mit so manchem Influencer im echten Leben überrascht. Sie würden wahrscheinlich dasselbe über mich sagen. Aber grundsätzlich schauen Menschen gern schöne Menschen an, das wird wohl immer so sein.

Moder: Es gibt schon einen Grund, warum wir drei aufs RONDO-Cover kommen. (Lachen)

(RONDO, Anne Feldkamp, 1.9.2023)