Selbstverständlich geht man nicht einfach so in ein fremdes Haus. Aber das Südbahnhotel ist ja jetzt streng genommen auch kein fremdes Haus, sondern irgendwie immer noch ein Hotel. Eines, bei dem die Türen gerade weit offen stehen. Drinnen ist es angenehm kühl, dort und da liegen Kostüme, die wohl zur Alma-Theaterproduktion gehören, die hier im Sommer stattgefunden hat. Rechts vom Eingang sind die Schwingtüren zu, aber der Spalt dazwischen ist groß genug, dass man durchschauen kann, wenn mit dem Gesicht ganz nahe kommt. Mit der Stirn berühre ich eine der beiden Türen, die sich dadurch ein wenig öffnen lässt. Im Raum sehe ich ein paar Tische und Stühle. Die Neugier gewinnt, ich öffne die Tür, und das Erste, was ich sehe, ist der Regisseur Paulus Manker, der an einem der Tische sitzt, die ich zuvor nicht sehen konnte. Er dreht sich zu mir um. Sofort steht er auf, kommt auf mich zu.

Im berühmten Südbahnhotel wurde im Sommer wieder Alma gespielt. Als ich dort vorbeikomme, stehen gerade die Türen offen
Guido Gluschitsch

Polizeieinsatz im Südbahnhotel

Es ist noch gar nicht so lange her, das musste die Polizei zu seinen Alma-Produktionen hier im Südbahnhotel ausrücken. "Die Vorstellung am 4. August stand knapp davor, polizeilich abgebrochen zu werden", heißt es von der Südbahnhotel Kultur. Zum wiederholten Male verweigerte der "als schwierig geltende Manker" Besucherinnen und Besuchern den Zutritt zum Südbahnhotel – und auch dem Co-Veranstalter und Vertreter des Hauseigentümers, "mit der lautstarken Begründung, wir hätten kein Recht, das Südbahnhotel zu betreten, wir seien Betrüger, Verbrecher, und so weiter und so fort". Bei Handgreiflichkeiten wurde eine Person verletzt. Ganz anders war damals die Perspektive der Alma Theaterproduktion GmbH. Sie erklärt auf der Website die Vorfälle mit "illegal verkauften Eintrittskarten" an einen dafür engagierten Schlägertrupp durch die Südbahnhotel Kultur.

Nun kommt eben dieser Paulus Manker energischen Schrittes auf die Tür und damit auf mich zu. Dabei hat alles so gut angefangen. In Wiener Neustadt am Bahnhof, recht zeitig in der Früh, um kurz nach acht Uhr ...

Zuganzeige am Bahnhof für den Eurocity nach Triest.
Wer mit diesem Eurocity auf den Semmering fährt, ist vielleicht nach dem Einsteigen verleitet, bis zur Endstation so zu tun, als würde er schlafen.
Guido Gluschitsch

Auf der Anzeige am Bahnsteig ist der Eurocity nach Triest angekündigt. Das wäre auch ein schönes Ziel, aber nein, es geht heute auf den Semmering. Dort, am Bahnhof, ist der Ausgangspunkt der Wanderung "Villen und Palasthotels", die Wanderführerin Irene Beckmann leiten wird. Die "Kulturwanderung auf den Spuren des Jetsets der Jahrhundertwende über den Semmering" ist mit 270 Höhenmetern auf neun Kilometern in sechs oder sieben Stunden die körperlich am wenigsten anspruchsvolle Tour, die Beckmann als "Luxusgämse" anbietet.

Fünf Damen am Bahnsteig am Semmering.
Die Wanderung beginnt am Bahnhof Semmering.
Guido Gluschitsch

Der Preis für so eine geführte Wanderung beträgt 79 Euro. Maximal acht Personen können teilnehmen. Diesmal sind es vier Frauen, die sie begleiten – und ihr Vater, der in dem Häuschen gleich neben dem Bahnhof aufgewachsen ist. Eine Besonderheit all ihrer Touren ist es, dass die An- und Abreisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln gemacht werden – und nicht immer geht es zum selben Bahnhof zurück, von dem weggewandert wird. Diesmal schon, und um wieder rechtzeitig am Bahnhof Semmering anzukommen, werden wir für ein paar Kilometer den Rufbus Semmering-Rax anheuern. Aber bis dahin dauert es noch, so heute alle Schwingtüren am Semmering in ihren Angeln bleiben.

Ein Bild von einem Modell der Gehga-Bahn mit einem Schild davor auf dem steht:
Die Strenge und die Besonderheit der Gehga-Bahn in einem Bild.
Guido Gluschitsch

Karoli de Ghega

Es dauert auch, ehe wir intensiver auf das Thema der Villen zu sprechen kommen. Die ersten Schritte führen uns entlang des Bahnwanderweges. Es riecht stark nach den teerhaltigen Schutzmitteln, mit denen die Holzschwellen der Bahn seinerzeit behandelt wurden. Im Gespräch geht es, wie könnte es anders sein, um Carl Ritter von Ghega, geboren 1802 in Venedig und dort als Karoli de Ghega bekannt. 1848 wurde mit dem Bau der Semmeringbahn nach seinen Plänen begonnen.

Wandergruppe am Weg neben den Bahngleisen.
Irene Beckmann und Papa Rudi führen die Wandergruppe entlang des Bahnwanderweges an.
Guido Gluschitsch

"Welcher Visionär er war, lässt sich daran erkennen, dass es damals noch gar keine Lok gab, die diese Strecke geschafft hätte", erklärt Rudi, der Vater von Irene Beckmann. Sein Wissen um die Region und die Besonderheiten ist ebenfalls so vielfältig, dass auch er die Wanderung kurzweilig führen könnte. Dabei wäre selbst seine eigene Geschichte, die eines erfolgreichen Bob- und Rodelfahrers in den 1960er-Jahren, eine eigene Plauder-Wanderung wert.

Das Kurhaus wird renoviert

Irene Beckmann hat sich nicht nur auf die umweltfreundliche Erkundung des Semmering spezialisiert, sie hilft auch Menschen beim Schreiben. Bücher. Bevor die Frage aufkommt, ob sie auch Journalisten unter die Arme greifen würde, sind wir beim Kurhaus angekommen. Und dort klärt sich zumindest eine andere Frage: nämlich die, wie man für eine so kurze Wanderung sieben Stunden brauchen kann.

Das Kurhaus am Semmering.
Das Kurhaus in seiner vollen Pracht.
Guido Gluschitsch

Beckmann kennt die Geschichte des Hauses bis ins letzte Detail, erzählt viel davon, zitiert Texte von Künstlern, die hier abgestiegen sind, spekuliert über die Zukunft. Was denn der neue Besitzer Florian Weitzer aus dem Hotel wohl machen werde? Rudi nimmt mich auf die Seite und sagt: "Das interessiert die Damen vermutlich weniger, aber ich habe in dem Haus gearbeitet." Er kümmerte sich um die Elektroinstallationen. 110 Volt waren hier ewig Standard.

Detailsicht auf ein Stück eines Balkones, das heruntergebrochen ist.
Das Kurhaus im Detail.
Guido Gluschitsch

Apropos: Standard auf jeder Wanderung in der Gegend ist ein Abstecher zum 20-Schilling-Blick – also zu jener Stelle, von der das Bild auf dem einstigen 20-Schilling-Schein stammt. Prominentere Ausblickspunkte gibt es auf dem Semmering derzeit nicht – schönere dafür zuhauf. Und diese Tour führt zu vielen von ihnen.

Mehrere Menschen auf einer Ausichtsplattform.
Auflauf beim 20-Schilling-Blick
Guido Gluschitsch

Unterwegs ergibt sich eine Frage nach der anderen. Wie etwa jene, warum das Südbahnhotel komplett neu eingedeckt ist – damit es bei den Renovierungsarbeiten ja nicht hineinregnet und nicht noch größerer Schaden entsteht. Oder wie der Erbauer des Südbahnhotels, Friedrich Julius Schüler, in den Lokalmedien zu Friedrich Schiller mutierte.

Eine Frau fotografiert mit ihrem Smartphone die Semmeringbahn.
Eine Aufnahme einer Aufnahme von einem attraktiveren Aussichtspunkt.
Guido Gluschitsch

Über dem bekannten Hotel beginnen sich die Villen in den Berg zu schlagen. Da die Villa der Familie Glock, dort jene von Christian Attersee ... Zu jedem Haus kennt Beckmann die Historie, die Besitzer, die unterschiedlichen Namen, welche die Häuser hatten – und selbstverständlich die Architekten und welche Besonderheiten sie in welcher Villa verbaut haben. "Die Villen wurden meist den Frauen geschenkt, etwa zur Geburt eines Kindes", erzählt sie. Die Damen der Gruppe spekulieren über Zusammenhänge von schlechtem Gewissen und ausreichendem Geld.

Ein Stück des oberen Stocks einer Villa.
Ein verstohlener Blick auf die Attersee-Villa.
Guido Gluschitsch

Der verrückte Onkel

Am Nachmittag begleitet uns Josef Wagner, Hausherr des Panoramahotels und Onkel von Irene Beckmann. Er ist überzeugter Bio-Hotelier und schafft es, dass wir ganz legal ins Panhans dürfen. Sein unermüdlicher Kampf für mehr Bio und eine Renaissance des Semmerings sowie für die Rückkehr des Jetsets führte dazu, dass auch Paulus Manker ihn kennt. Zu Irene Beckmann soll der Regisseur, als er erfuhr, dass sie mit dem Josef verwandt ist, gesagt haben: "Sind Sie auch so verrückt wie Ihr Onkel?"

Die Bar im Hotel Panhans.
Ins Panhans sind wir ganz legal gelangt.
Guido Gluschitsch

Ach ja, die Situation mit dem Herrn Manker im Südbahnhotel habe ich jetzt noch nicht aufgelöst. Er kam auf mich zu, fragte, was ich brauche, ob er helfen könne. Ich verneinte und entschuldigte mich für die Störung. Kein Eklat, kein Blut, keine Polizei. Ganz unspektakulär. Irgendwie schade, denn zumindest für diese Geschichte wäre es ein furioses Finale gewesen, wäre er seinem Ruf als Enfant terrible auch diesmal gerecht geworden. (Guido Gluschitsch, 31.8.2023)

Das Südbahnhotel von einer Anhöhe aus fotografiert.
Das Südbahnhotel mit seinem leuchtend grünen Dach.
Guido Gluschitsch