Franz Rogowski Passages
Franz Rogowski, der Prinz des europäischen Arthauskinos, spielt in "Passages" einen Mann, der sich nicht entscheiden kann, ob er mit einer Frau oder einem Mann zusammen sein möchte.
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Der deutsche Schauspieler Franz Rogowski ist gut beschäftigt. Er debütierte bei Autorenfilmern wie Michael Haneke oder Christian Petzold und glänzt nun bei aufstrebenden Regisseuren und Regisseurinnen des europäischen Arthauskinos. Etwa in dem diese Woche im Kino anlaufenden "Passages" von Ira Sachs. Darin spielt Rogowski neben Ben Whishaw und Adèle Exarchopoulos einen deutschen Filmemacher in Paris, der verschiedene Beziehungsformen ausprobiert, Chaos stiftet und nichts daraus lernt.

STANDARD: Sie haben eine erstaunliche Filmografie, ohne Schauspielausbildung – woher kommt der Erfolg?

Rogowski: Mit 16 wusste ich, dass ich die Schule abbrechen muss, um etwas anderes zu machen. Ich habe dann viel ausprobiert: Saxofon spielen in der U-Bahn, mit Bällen in Locarno jonglieren, Performancetheater vor zehn Leuten. Nach zehn gescheiterten Strategien hat es dann mit dem Film geklappt. Aber ich hätte auch etwas anderes werden können.

STANDARD: Was zum Beispiel?

Rogowski: Zum Beispiel … Physiotherapeut.

STANDARD: Sie haben auch eine Tanzausbildung gemacht. Wie wichtig ist das Körperliche im Schauspiel?

Rogowski: Das Physische ist immer da und lässt sich nicht vermeiden. Die Zeit als Tänzer und der Unwille, zu viele Worte zu benutzen, hat dazu geführt, dass ich eher im Unausgesprochenen meine Antworten finde.

Rogowski Passages
Rogowski als Tomas in "Passages" – auch im Kostümdesign von Khadija Zeggaï spiegelt sich die Nichtbinarität der Figur.
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STANDARD: Einmal meinten Sie, dass Sie wegen Ihres Sprachfehlers einen großen Theatersaal stimmlich nicht füllen könnten. Deshalb der Film?

Rogowski: Das stimmt, die Bühne hat mir in vielerlei Hinsicht Angst gemacht. Ich bin auch kein Freund großer Monologe, von daher versuche ich, andere Tragflächen zu finden als die Versprachlichung. Ich finde auch andere Dramaturgien als die der Liebe, Leidenschaft, Einsamkeit und des Todes spannend.

STANDARD: In "Passages" geht es aber um Liebe, Leidenschaft und Einsamkeit. Sie spielen den Deutschen Tomas, der mit den Gefühlen seiner Partner spielt. Man könnte Tomas als Narzissten bezeichnen. Stimmen Sie zu?

Rogowski: Das ist ein oft verwendetes, blumiges Wort. Narzisstische Prägungen haben viele Menschen, aber ein richtiger Narzisst ist jemand, der nicht mehr in der Lage ist, andere Menschen zu spüren oder empathisch zu handeln. So sehe ich Tomas nicht. Er will eigentlich gute Sachen. Er will Nähe in der Liebe, Anerkennung in der Kunst und ist auf der Suche nach Resonanz, einem Ankommen. Das gelingt ihm nicht, weil er zu sehr von sich vereinnahmt ist. In den anderen verursacht er deshalb so viel Chaos, weil er in ihnen seine Suche fortsetzt.

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STANDARD: Müssen Sie Ihre Figuren mögen?

Rogowski: Ich mag meine Figuren nie besonders. Was es aber braucht, ist eine positive Formulierung dafür, was man macht. Die Rolle kann ein Scheusal sein, es braucht aber trotzdem aus der Logik der Figur heraus einen positiven Grund, warum sie eines ist. Das hört sich komisch an, aber man kann zu allem eine positive Theorie entwickeln, etwa weil man etwas, das fehlt, kompensieren muss.

STANDARD: Man kann das getane Übel schönreden?

Rogowski: Genau, ich glaube aber auch, dass eigentlich alle etwas Gutes wollen. Dass einige zwar pervertiert sind und nicht verstehen, was sie wirklich brauchen, aber in ihrer Motivation Gutes wollen. Ich habe das zumindest immer so erlebt.

STANDARD: Was halten Sie dann davon, dass der Film in den USA erst ab 17 Jahren freigegeben ist?

Rogowski: Der positive Ansatz wäre, dass die Amerikaner versuchen, ihre Jugend zu schützen, und dass sie der Meinung sind, dass der Film, den einen oder anderen heranwachsenden Menschen nachhaltig verstören könnte.

STANDARD: Was könnte das denn sein?

Rogowski: Ich hätte da auch explizite Ansprüche an den Film, aber die gibt es ja gar nicht. Negativer formuliert könnte man sagen, die Amerikaner sind prüde. Und es gibt eine extreme Spaltung zwischen liberalen, konservativen und zum Teil nationalistischen Kräften. Auch die Sexualmoral ist hart umkämpft. Ich finde, der Film schafft Skulpturen unterschiedlicher Beziehungen. Wenn die zwei Männer als Paar Sex haben, werden sie als Knäuel gezeigt, und der Rücken von Ben kann als Landschaft gelesen werden. In der Sexualität von Tomas und Agathe geht es stattdessen darum, dass er zum ersten Mal der Andersartigkeit einer Frau begegnet und versucht, mit ihr dieses Wir herzustellen. Es geht also darum, Bilder für diese zwei Beziehungsversuche zu finden. Wenn man das für pornografisch hält, dann lässt mich das trotz aller optimistischen Menschenbilder ratlos zurück. Das hat auch etwas Abstoßendes, und es ist schön, hier in Europa zu leben, wo das undenkbar wäre.

Passages
Tomas (Rogowski) und Agathe (Adèle Exarchopoulos) finden beim Sex nicht zum Wir.
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STANDARD: Hollywood ist also kein Ziel? Sie sind hier glücklich?

Rogowski: Ich bin dann glücklich, wenn ich mit spannenden Menschen arbeiten kann. Und diese wenigen Menschen sind auf der ganzen Welt verteilt. Wenn sie in Hollywood sind, dann ist das auch okay. Aber ich muss da jetzt nicht hin. Es ist ein Ort, an dem Filmgeschichte stattgefunden hat, aber das hat sie auch in Italien, Österreich oder Frankreich. Im Moment kommt, wie ich finde, mehr spannendes Kino aus Europa.

STANDARD: Ihren neuesten Film, die italienisch-schweizerische Produktion "Lubo", stellen Sie kommende Woche in Venedig vor. Reisen Sie an oder streiken Sie?

Rogowski: Nein, ich bin dort. Wir haben keine US-Gewerkschaftsmitglieder in der Produktion. Deser Streik in den USA ist wichtig und gut, es ist aber auch wichtig, die Independent-Produktionen, die auf dem Rest der Welt stattfinden, zu unterstützen. Denn die Streamer und die großen Studios, die die Konditionen verursacht haben, aufgrund derer gestreikt wird, haben auch in Europa fast die komplette Branche in strikte Verträge gezwängt. Wenn also die Produktionen, die trotzdem gute Filme machen, auch noch streiken sollen, dann schneidet man den letzten Überlebenden ins Fleisch, die es neben den Streamern noch gibt.

STANDARD: Sie bleiben also dem Independent-Kino treu?

Rogowski: Ja. Ich versuche, ein treuer Mensch zu sein. (Valerie Dirk, 31.8.2023)