Berlin – In der Flugblatt-Affäre um den bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger will die Opposition bei einer Sondersitzung des Landtags Klarheit schaffen. Die Parlamentarier treten am 7. September zusammen. Einziges Thema auf der Tagesordnung sind "Vorwürfe und offene Frage betreffend den Stellvertretenden Ministerpräsidenten und Staatsminister Aiwanger im Zusammenhang mit einem Flugblatt mit antisemitischem Inhalt", wie der Landtag am Donnerstag mitteilte. "Bei einem stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten darf es nicht einmal den Anschein geben, dass es für ihn Alternativen zu unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung gibt", sagte Ludwig Hartmann, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Landtag. "Stand heute ist Hubert Aiwanger für mich untragbar geworden."

Auch in der CSU sorgt Aiwanger mit seinen Erklärungen für Verärgerung. Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, bezeichnete Aiwangers Aussage zu Antisemitismus im Sender "Welt" als "verstörend". Insbesondere reiche ihm Aiwangers Aussage nicht aus, er sei seit dem Erwachsenenalter kein Antisemit und Extremist, in der Jugend könne man aber einiges so oder so interpretieren. "Dieser Satz ist nicht nur für mich, glaube ich, sondern für viele andere auch verstörend, weil er Interpretationen zulässt."

Kein Rücktritt

"Ich bereue zutiefst, wenn ich durch mein Verhalten in Bezug auf das in Rede stehende Pamphlet oder weitere Vorwürfe gegen mich aus der Jugendzeit Gefühle verletzt habe", sagte Aiwanger am Donnerstag in München in einem kurzfristig anberaumten Statement vor der Presse, bei dem keine Fragen zugelassen waren. "Meine aufrichtige Entschuldigung gilt zuvorderst allen Opfern des NS-Regimes, ihren Hinterbliebenen und allen Beteiligten und der wertvollen Erinnerungsarbeit." Einen Rücktritt als stellvertretender Ministerpräsident lehnte er in seiner kurzen Erklärung jedoch ab und sprach von einer Kampagne gegen sich und seine Partei.

Markus Söder und sein Stellvertreter Hubert Aiwanger
Markus Söder nimmt sich seinen Stellvertreter Hubert Aiwanger zur Brust.
IMAGO/Frank Hoermann/SVEN SIMON

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hatte Aiwanger am Dienstag nach einer Sondersitzung des Kabinetts der Landesregierung nicht entlassen, sondern ihm eine Liste mit 25 Fragen zur Beantwortung übergeben. Dieser hatte am Wochenende Vorwürfe zurückgewiesen, als 17-Jähriger an seiner damaligen Schule ein antisemitisches Flugblatt verfasst zu haben.

Aiwanger ist laut eigenen Aussagen "seit dem Erwachsenenalter kein Antisemit"

Am Mittwoch hatten sich die Spitzen der Bundesregierung entsetzt geäußert. Es dürfe nichts "vertuscht und verwischt" werden, sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD). Notwendige Konsequenzen müssten gezogen werden. Ähnlich hatten sich Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) ausgedrückt. Vorstand und Kabinettsmitglieder der Freien Wähler stellten sich dagegen hinter Aiwanger. Der Landesvorstand der Freien Wähler Bayern wolle eine bürgerliche Koalition fortsetzen. "Dies ist seitens der Freien Wähler nur gemeinsam mit Hubert Aiwanger möglich."

Wahlen im Herbst

Der Vorfall überschattet den bayerischen Wahlkampf. In sechs Wochen wird dort ein neuer Landtag gewählt. Aiwanger ist Spitzenkandidat für die Freien Wähler, Söder tritt erneut für die CSU an. Per Briefwahl kann in Bayern bereits abgestimmt werden. In den jüngsten Umfragen von Anfang August hatte die CSU bei 39 Prozent gelegen, die Grünen bei 14, die Freien Wähler zwischen zwölf und 14, die AfD zwischen 13 und 14, die SPD bei neun und die FDP bei vier Prozent. (APA, 31.8.2023)