Ein reiches Erbe habe ich nicht zu erwarten, aber auf ein besonderes Stück hoffe ich sehr. Irgendwann Ende der 1970er wurde in meinem Elternhaus in Ottakring ein Besenstiel zu einem Nudelwalker umgebaut. Der fein ausgewalzte Teig für eine bosnische Pita erfordert einen bis zu einem Meter langen und sehr dünnen Walker. Dieses früher in jeder Küche absolut unersetzbare Werkzeug war in Wien nicht zu bekommen. Ein fertig ausgewalkter Pitateig sowieso nicht. Eigenbau war angesagt.

pita balkan kartoffel
Manchmal muss ein Kartoffelbörek her, der nicht selbst hergestellt wurde.
privat

Inzwischen reiht sich in Ottakring und anderen Teilen Wiens eine "pekara" (Bäckerei) an die andere: Man bekommt dort Weißbrot jeder Art, Pita oder Burek sowie das flüssige Joghurt, das gerne dazu getrunken wird, ebenso wie das an Milchfett reiche Kajmak. Auch wenn das klassische Balkan-Grill-Lokal noch dominiert, ist das gastronomische Angebot in den letzten fünfzehn Jahren ebenfalls massiv gewachsen. Es ist sogar so weit gekommen, dass das Wiener Bobo-Magazin schlechthin in seiner Lokalempfehlungen neulich "Die besten Edel-Balkan-Lokale in Wien" rezensiert hat. Es wurde auch Zeit!

Während türkische Restaurants, Bäckereien und bald auch Kebabstände Wien bereits nach der ersten Gastarbeiterwelle im Sturm eroberten, wuchs das Angebot aus Jugoslawien nur langsam. Wirtschaftswissenschaftliche oder soziologische Untersuchung sind mir dazu keine bekannt, aber die Vermutung liegt nahe, dass die geografische Nähe eine große Rolle spielte. Bekam man Sehnsucht nach Pita und richtig guten Ćevapi, fuhr man am Freitagabend runter. Am Sonntagabend ging es wieder zurück nach Österreich, und der Kofferraum war voll: geräuchertes Fleisch, Käse, Mehlsorten, die sich für Pitateige eigneten, Eurocrem-Schokolade und Ajvar. Eine weitere These ist die mangelnde unternehmerische Lust der Jugoslawen beziehungsweise die Vorliebe für handwerkliche Berufe und Unternehmensgründungen.

Inklusion im Regal

Wenn ich heutzutage Lust auf die unverwechselbaren staubigen Plazma-Kekse oder die herrlich zähen Kiki-Kaubonbons bekomme, geh ich zum Supermarkt um die Ecke. Die sogenannten Ethno-Regale sind dort inzwischen nicht mehr wegzudenken. Das eine oder andere Produkt schafft es sogar ins reguläre Sortiment: Inklusion statt Integration quasi. Dann steht das Ajvar-Glas neben der italienische Tomatensauce und die tiefgekühlten Ćevapi neben der Tiefkühlpizza. Übrigens: Die meistverkauften Fertig-Ćevapi Europas kommen inzwischen aus Wien. Das ist gut so, denn Wien ist eine der größten Balkanstädte außerhalb des Balkans.

Bitte schreibt mir jetzt nicht, dass die Euroblok-Schokolade mit Palmöl von minderer Qualität als die aus der Schweiz ist, und belehrt mich auch nicht darüber, wie ungesund Convenience-Produkte sind. Wenn ich mir eine Krompiruša, also eine Pita mit Kartoffeln, aus dem Supermarkt hole und in der Büroküche aufwärme, dann schraube ich meine kulinarischen Ansprüche gerne ein bisschen runter. Es geht hier nicht lediglich darum, den Hunger schnell zu stillen, es geht vor allem um das wohlige Gefühl, das nur Soulfood hervorrufen kann. Apropos Gefühle: Erzählt bitte niemals meiner Mutter von meinen Pita-Seitensprüngen. (Olivera Stajić, 31.8.2023)