Foto: Heribert Corn

Als Amin Reda zum ersten Mal versucht, die Marke Brajlovic in die Supermarktketten zu bekommen, erntet er ungläubige Blicke. Es gebe dafür keine Zielgruppe, sagen ihm die Einkäufer, quasi die Türsteher der Lebensmittelketten. Man könne das weder aussprechen noch verkaufen. "Das war noch eine andere Zeit", grinst Reda. Bevor Brajlovic und seine Ćevapi zum Höhenflug ansetzten.

Eine österreichisch-bosnische Erfolgsgeschichte

Ćevapi sind Soul-Food. Aus den faschierten, gewürzten und handlichen Fleischfingern muss bei der Zubereitung das Fett ausrinnen, das gehört dazu. In Bosnien, Kroatien und Serbien nennt man das Gericht Ćevapi, fast überall sonst hat sich das Diminutiv Ćevapčići durchgesetzt. Was viele nicht wissen: Der Produzent der meistverkauften Ćevapi Europas, wahrscheinlich sogar der Welt, hat seinen Sitz in Wien-Liesing. Es ist eine österreichisch-bosnische Erfolgsgeschichte, die ihren Ursprung in der Tatsache hat, dass eine riesige Community aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Österreich floh und eine neue Heimat fand.

Das Gewerbegebiet im 23. Bezirk liegt am äußersten Rand von Wien. Ein falscher Schritt, und schon ist man in Niederösterreich. Hier hat die Adriatic Group, zu der die Marke Brajlovic gehört, ihre Zentrale. Verkaufsleiter Reda, ein freundlicher Mann in Sakko und Jeans, empfängt zum Gespräch. Vor ihm auf dem Tisch sind die Produkte ausgebreitet, vom Rinderrauchfleisch bis zum milden Ajvar.

Erst erntete Amin Reda ungläubige Blicke, als er versuchte, seine Ćevapi in die Supermärkte zu bekommen. Heute hat die Adriatic Group zwölf Tochterunternehmen, der Umsatz übersteigt 100 Millionen Euro.
Foto: Heribert Corn

Strenge Geschmackskontrolle

"Wir gehen keine Kompromisse ein." Reda, ganz der Verkäufer, redet gern und mit Begeisterung über seine Ćevapi. "Unsere Produkte schmecken so, wie man sie in der Region unten bekommt." Das Fleisch für die Produkte werde zu 100 Prozent in Österreich produziert und verarbeitet. Geschmacklich solle das Produkt aber weder austriarisiert noch germanisiert werden. "Wir machen ständig Verkostungen mit unseren Mitarbeitern." Die würden sich schon melden, wenn etwas nicht passe.

Ćevapi sind ein einfaches Gericht: Neben dem Fleisch sind es selten mehr als vier bis fünf Zutaten. Es gibt etliche regionale Varianten. Die berühmtesten Ćevapi kommen aus Bosnien, vor allem aus der Hauptstadt Sarajevo. Aber man findet das Gericht auch in Rumänien, Albanien oder Bulgarien. Und wie bei allen Gerichten mit einem weiten Verbreitungsgebiet und wenigen Zutaten gibt es hitzige Debatten darüber, wie es "richtig" gemacht wird. Puristen salzen die Fleischmasse für Ćevapi nur, andere fügen zumindest noch Pfeffer und Knoblauch hinzu. In Banja Luka weicht man von der üblichen "Fingerform" ab und presst die Ćevapi in Blöcke.

"Unsere Produkte schmecken so, wie man sie in der Region unten bekommt", sagt Verkaufsleiter Amin Reda.
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Ein kleines Reich

Wenn man so will, ist die Zentrale in Wien so etwas wie die Hauptstadt eines kleines Reiches: Die Adriatic Group besteht heute aus zwölf Tochterunternehmen, der Umsatz übersteigt 100 Millionen Euro. Das Geschäft steht auf zwei Säulen. Zum einen vertreibt man Eigenmarken. Mit Brajlovic, der Fleischmarke, hat alles begonnen. Mittlerweile wird unter dem Namen Natura Ajvar produziert, unter dem Namen Sofka Lepinja-Fladenbrot und Süßigkeiten. Gleichzeitig vertreibt Adriatic auch Balkanprodukte von anderen Herstellern, das Portfolio umfasst mehr als 500 Artikel. Meistens beliefert eine Tochterfirma mehrere Länder. Die niederländische Tochter deckt den Beneluxraum ab, die schwedische den skandinavischen Markt. In Deutschland, einem wichtigen Markt, gibt es mittlerweile zwei Firmen der Gruppe.

Die Geschichte der Unternehmensgruppe beginnt um das Jahr 2002. Vier Personen mit bosnischem Familienhintergrund – einige lebten noch in Bosnien, andere in Österreich – kommt gegen Ende ihres Studiums ein Gedanke: Nach den Balkankriegen hat sich eine große Menge an Menschen über Resteuropa verteilt und einen neuen Lebensmittelpunkt gefunden und wird nicht wieder zurückgehen. "Diese Leute haben das Essen, die Marken vermisst, die sie ihr ganzes Leben lang gekannt haben", sagt Reda. "Wir haben uns gefragt, warum es keinen Link zwischen den Konsumenten und diesen Marken gibt."

Unter der Marke Brajlovic beginnen die vier, Fleischprodukte herzustellen. Anfangs sind das noch keine Ćevapi, sondern Rinderrauchfleisch und Sudzuk, eine Rinderwurst. Mit viel Klinkenputzen bringen sie diese im Ethnomarkt-Segment unter, das damals wie heute fest in türkischer Hand ist. "Nach zwei bis drei Jahren haben wir uns getraut, auch bei den Supermarktketten anzuklopfen", sagt Reda. Dort ist man sehr skeptisch. Ein Einkäufer gibt ihnen drei Monate eine Chance. Er glaube zwar nicht an den Erfolg, aber der Spirit sei in Ordnung.

Amin Reda im Kühlraum des Brajlovic-Lagers.
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Nix zu verlieren

Während man die Fleischproduktion aufbaut und den Ethnomarkt erobert, bauen sich die vier Gründer mit der Distribution ein zweites Standbein auf. Sie tingeln die jeweiligen Marktführer der Balkanprodukte in den Herkunftsländern ab. Zuerst nimmt man die vier – frisch von der Uni, ohne Fuhrpark – nicht ernst. Es gibt damals aber keine Konkurrenz. Und so überzeugt die Produzenten oft ein Argument: Warum probiert ihr es nicht einfach mal? Ihr habt ja kaum etwas zu verlieren.

"Wir bringen die Herzensprodukte der Menschen in deren neue Heimatländer. Das ist das Prinzip, auf dem alles aufbaut", sagt Reda. In Österreich lebten rund 800.000 Menschen mit Balkanhintergrund, eine der größten "homogenen" Zielgruppen. Die Produkte, nach denen diese Zielgruppe verlange, habe man nicht bewerben, nicht einführen müssen. "Die Menschen kannten die Produkte seit Jahrzehnten, sie wollten sie einfach nur kaufen können."

Raus aus der Billigecke

Die Ćevapi liegen heute bei mehreren großen Ketten in der Kühltheke. Auch in der Gastronomie haben sich die Produkte von Brajlovic breitgemacht. "Wenn man in Wien in ein Restaurant geht und Ćevapi bestellt, ist die Chance, dass Sie unsere Produkte essen, recht hoch", sagt Reda. Auch wenn die Köche das nicht zugeben würden. Die Firma verkauft heute jährlich Ćevapi im "vierstelligen Tonnenbereich". Das sind wirklich sehr viele Ćevapi.

Man müsse von dem Gedanken loskommen, dass die Zielgruppe von Ethnofood nur auf den Preis schaue, sagt Reda. "Wir waren immer die Teuersten. Wir haben auch gewusst, dass wir die Teuersten sind." Der Trick sei, eine Marke zu schaffen, die die Leute haben wollen. Es sei möglich, das Ethnofood aus der Billigecke zu holen. Auch beim Döner Kebab sei es lange nur darum gegangen, den Preis zu drücken. "Heute stehen die Leute bei Ferhat in Favoriten Schlange für einen Neun-Euro-Döner", sagt Reda. "Von so etwas träumen wir auch."

Österreich ist ein Einwanderungsland. Es hat einen der höchsten Ausländeranteile der EU, vergleichsweise riesige Communitys mit familiären Wurzeln auf dem Balkan oder in der Türkei. "Wenn man sich anschaut, wie viele Regalmeter diesen Menschen gewidmet sind – da ist noch so viel Wachstumspotenzial", sagt Reda. "Wir fahren im Grunde seit 15 Jahren mit angezogener Handbremse."
(Jonas Vogt, 18.12.2022)