"Dieses Haus, des is läppisch", sagt ein Mann mit weißer Kappe und Sonnenbrille an ein Stiegengeländer gelehnt. Karl Sierek ist einer der vielen Braunauer und Braunauerinnen, mit denen Regisseur Günter Schwaiger für seinen Dokumentarfilm Wer hat Angst vor Braunau? gesprochen hat. Sierek beschreibt seine Geburtsstadt als Arbeiterstadt, in der er zum Antifaschisten heranwuchs. Das sei nirgends leichter als hier. Das Haus, von dem die Rede ist, ist jenes, in dem Adolf Hitler geboren wurde und drei Jahre als Kind gelebt hat.

Filmstill aus 'Wer hat Angst vor Braunau' 
Historiker Florian Kotanko (links) spricht vor Hitlers Geburtshaus, neben dem Gedenkstein aus dem KZ Mauthausen, mit Regisseur Günter Schwaiger.
Dim Dim Film

Schwaiger wollte eigentlich einen Film darüber machen, wie der Verein Lebenshilfe in das Haus einzieht. Doch wie das bei Recherchen so ist, soll man ergebnisoffen an sie herangehen. So musste Schwaiger thematisch umschwenken, nachdem beschlossen wurde, dass nicht der Verein, sondern, nach einem Umbau, eine Polizeistation in das "Hitler-Haus" einziehen werde. Eine umstrittene Entscheidung des Innenministeriums, DER STANDARD berichtete.

Mitgefühl

Schwaiger passierte gewissermaßen ein Porträt einer Stadt, mit der man im Laufe der gut eineinhalb Stunden fast Mitleid bekommt. Man lernt eine junge Geschichtslehrerin in ihrem Klassenzimmer kennen, in dem sie aufmerksamen Braunauer Kindern das Wesen des Faschismus erklärt. Man hört aber auch vielen anderen zu: der mittlerweile verstorbenen 100-jähringen, widerständigen roten Ex-Vizebürgermeisterin der Stadt, Arbeitern, dem Bruder des Filmemachers, Ex-DJ und skeptischer Bauer, der in den Bezirk Braunau zog, Polizisten, die hier Streife fahren, Menschen mit besonderen Bedürfnissen, die von der Lebenshilfe betreut werden, und dem "Hitler-Haus"-Kenner und Historiker Florian Kotanko.

Die Vorjahr mit 100 Jahren verstorbene Sozialdemokratin und ehemalige Vizebürgermeisterin Lea Olczak.
Die im Vorjahr mit 100 Jahren verstorbene Sozialdemokratin und ehemalige Vizebürgermeisterin Lea Olczak.
Dim Dim Film

Sie zeichnen ein vielschichtiges Bild einer Stadt, die immer noch unter dem Beigeschmack des monströsen Diktators leidet. Man habe als Kind gedacht, das "Braun" in Braunau käme von der politischen Farbe, erzählt eine. Ein anderer sagt, er habe immer erzählt, er sei aus der Nähe von Salzburg, um Braunau nicht zu erwähnen. "Hitler ist vielleicht gar nicht hier geboren", hofft ein anderer und deutet in Richtung deutsche Grenze, von wo das Baby Hitler angeblich nur schnell hergebracht wurde. Eine Legende.

Nazi-Kranz im Müll

Wie genervt viele vom "braunen Erbe" sind, zeigt sich in einer Szene, für die Schwaiger seine Kamera am Geburtstag Hitlers versteckt aufgebaut hatte. Prompt kam ein bekennender Berliner Nazi und legte einen Kranz beim Haus ab. Noch während Schwaiger den Mann interviewt, schnappt ein einheimischer Passant den Kranz und wirft ihn schimpfend in einen Mistkübel.

Das
Das "Hitler-Haus" in Braunau 1939.
Braunauer Stadtarchiv

Fragen drängen sich auf: Was kann eine Stadt dafür, dass Hitler kurz hier gelebt hat? Kann ein Haus böse sein? Und: Wie geht man mit dem Erbe der Täter um, wenn die Mehrheit der Bevölkerung von solchen abstammt? Schwaiger sucht Antworten in soziologischen Modellen, die erklären, warum Braunau als Österreichs Müllhalde der Schuld dienen muss. Nur einmal sei Hitler unmittelbar nach der Annexion Österreichs als Erwachsener von der deutschen Grenze kommend durchgefahren und habe das Haus nicht einmal angeblickt.

Unveröffentlichtes Material

Historisches und unveröffentlichtes Filmmaterial montiert der Regisseur mit ruhig geschnittenen Interviews und Landschaftsbildern, in denen er die Menschen wirklich ausreden lässt. Die Frage nach dem Umgang mit Schuld führt ihn schließlich in die eigene Familiengeschichte. Zu alten Interviews mit seinen mittlerweile verstorbenen Eltern, die er einst dabei filmte, wie sie ihm "unschuldig schuldig geworden" von ihrer Jugend im Naziregime erzählten – wissend, dass die Zeit, in der man keine Fragen stellte, wenn Nachbarn plötzlich verschwanden, eine düstere war.

Der Fund

Der Film war der erste über das belastete Haus, obwohl seine Nachnutzung seit Jahrzehnten für politische Diskussionen sorgt. Um die Nachnutzung geht es zum Schluss. Er habe "einen Fund" gemacht, sagt Schwaiger. Gemeint ist ein Zeitungsartikel aus der NS-Zeit, den er im Archiv mit dem Historiker Kotanko in Händen hält. Darin stand 1939, Hitler wünsche, dass sein Geburtshaus "zu Kanzleien der Kreisleitung" umgebaut werde.

Dieser Wunsch nach einer "administrativen Nutzung" werde durch den geplanten Einzug der Polizei erfüllt, sagt Schwaiger. Ob man diese Sichtweise teilt oder nicht: Der Film ist eine tiefgründige Auseinandersetzung mit einer Stadt mit vielen ganz normalen Häusern. Und einem anderen. (Colette M. Schmidt, 1.9.2023)