Colson Whitehead (53)
Colson Whitehead (53) schreibt wieder einmal über New York.
Peter-Andreas Hassiepen

"Da draußen geht's zu wie auf einer modernen Plantage. Im Augenblick lutschen mir die weißen Regisseure den Schwanz, weil ich angesagt bin“, räsoniert ein junger schwarzer Comedian in Colson Whiteheads neuem Roman Die Regeln des Spiels. Er hat die Regeln offenbar verstanden, man schreibt das Jahr 1973, und der zwei Generationen ältere Pepper misstraut jenen den Schwarzen neu zugestandenen Freiheiten und Erfolgen.

Die Jungen bewundert er trotzdem: "Man brauchte Mumm, um innerhalb des weißen Systems zu kämpfen. In einer derart miesen, dummen und grausamen Welt ist jeder Tag, an dem die Weißen einen nicht umgebracht haben, ein Gewinn." Alles ist trotzdem nicht gut.

Whitehead nimmt sich in seinen Büchern oft prägende Zeitpunkte oder Figuren der schwarzen amerikanischen Geschichte vor. Ob mit Underground Railroad (2017), Nickel Boys (2019) oder älteren Werken wie John Henry Days (2001) – er fehlt auf keiner Promi-Leseliste von Barack Obama bis Oprah Winfrey und in keinem Nominierungsreigen. Zwei Pulitzerpreise hat er schon. Underground Raiload verfilmte Barry Jenkins 2021 zur Serie für Amazon.

Ganoven und Möbelhändler

Wer vor zwei Jahren Harlem Shuffle gelesen hat, begegnet alten Bekannten wieder. Die Regeln des Spiels ist eine Fortsetzung dieses Romans. Man kann ihn aber voraussetzungslos lesen. Konnte der Gangster und Möbelverkäufer Ray Carney damals Ende der 1960er seinen Kopf noch aus der Schlinge ziehen und sich in die Beschaulichkeit des Lebens als Vollzeitgeschäftsmann retten, holt ihn Anfang der 1970er die Vergangenheit ein.

Dabei war er nach dem Ausstieg aus der Hehlerei mit Strumpfhosen und Diamanten zufrieden gewesen. Leute sterben in Sesseln oder legen die Füße nach langen Tagen an der Kassa darauf hoch – die richtigen Sessel zu verkaufen ist also eine wichtige Aufgabe. Außerdem hat er seine Schäfchen längst im Trockenen, besitzt neben dem Laden das Haus für seine Familie in Harlem und einige andere Immobilien.

Weil seine Tochter zum Konzert der Jackson 5 will, läutet er mangels Erfolgs an den Ticketkassen beim korrupten Polizisten Munson an, den er von früher kennt. Im Gegenzug nimmt der ihn als Fluchthelfer in die Pflicht. So beginnt eine rasante Geschichte über Hehler, Ganoven und korrupte Lokalpolitiker.

Der Niedergang New Yorks dieser Jahre lässt sich leicht an den immer mehr werdenden Graffitis auf der Upper East Side ablesen, an den steigenden Einbruchszahlen und Tötungsdelikten und den zwecks Versicherungsbetrugs gelegten Hausbränden. 1969 wurde der Autor selbst in der Stadt geboren und lebt dort noch heute. Immer wieder ist die Stadt Schauplatz in seinen Büchern. Anders als die meisten seiner Figuren wurde Whitehead allerdings in die obere Mittelschicht geboren und hat privilegiert in Harvard studiert.

Kartenspiel und Filmdreh

In den Straßen Harlems reagiert indes die Polizei nach zwei Polizistenmorden mit vorauseilender Gewalt auf Schwarze, die Mitglieder der Black Liberation Army, einer radikalen Splittergruppe der für Bürgerrechte eintretenden Black Panthers, sein könnten. Die großen Themen grundieren den stark handlungsgetriebenen Text aber nur.

Whitehead steigt dreimal in das turbulente Jahrzehnt ein: 1971, 1973 und 1976. Zwischen den jeweils im Zentrum stehenden Geschichten stecken noch viele kleine, sie ergeben zusammen eine kleine Chronik des schwarzen New York.

Whitehead nimmt mit an illegale Kartenspieltische und zu Beschattungsaktionen, erzählt von sich über Tage ziehenden Kinderspielen, der sich wandelnden Bewohnerstruktur eines Hauses und einer mitten im Filmdreh abgehauenen Schauspielerin. Die obendrein gar nicht im Ghetto aufgewachsen ist, wie sie alle glauben lässt, sondern in der Vorstadt, aber das weiße Publikum mag das so. Dieser Flickenteppich ist ein atemloses Abenteuer. (Michael Wurmitzer, 1.9.2023)