Offshore-Windkraftanlage, China, Energiewende
Arbeiter errichteten in diesem Sommer im Südchinesischen Meer die weltweit erste 16-Megawatt-Windkraftanlage, betrieben von der China Three Gorges Corporation.
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Windräder werden immer größer. Eine Kennzahl, die das Wachstum belegt: Im Jahr 2010 hatten die Rotoren von neuinstallierten Windrädern in Österreich noch einen durchschnittlichen Durchmesser von 85 Metern, im Jahr 2022 waren es bereits 129 Meter.

Das bedeutet einerseits, dass eine einzelne Windkraftanlage viel mehr Strom produzieren kann als früher. Andererseits wird der globale Wettlauf um immer größere Türme und Rotoren kritisch gesehen, auch in der Branche. "Das Wettrennen um neue Projekte geht so weit, dass wir bei zu niedrigen Preisen landen, um noch eine ordentliche Gewinnspanne zu erzielen. Das sieht man an den Geschäftszahlen bei allen", klagte Anders Nielsen, Technikvorstand beim dänischen Windkraftkonzern Vestas, im November im Fachmagazin "Windpower Monthly".

Die Beratungsfirma Wood Mackenzie (WoodMac) schlägt nun international gültige Obergrenzen für die Größen von Windkraftanlagen vor. Eine solche Vereinbarung solle "mindestens zehn Jahre lang" gelten. Denn viele Unternehmen "in den Lieferketten, die die Branche aufrechterhalten, haben Schwierigkeiten, die neuen Größen zu liefern. Damit droht ein Hindernis für die Erreichung der Dekarbonisierungsziele, wenn sich hier nichts ändert", heißt es in einer aktuellen Analyse von WoodMac.

DER STANDARD beantwortet Fragen zur Größendebatte in der Windindustrie.

Frage: Wo befindet sich das größte Windrad der Welt?

Antwort: Im Juli hat China verkündet, das größte Windrad der Welt in Betrieb genommen zu haben. Die Anlage heißt MySE 16-260. Es handelt sich um eine Offshore-Anlage, also ein Windrad auf dem Meer. Die Leistung beträgt nach chinesischen Angaben 16 Megawatt (MW), der Rotor hat im Durchmesser rund 260 Meter. Laut Herstellerangaben produziert die Anlage 67 Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr – das reiche für 36.000 Haushalte.

Eingebettet ist das gigantische Bauwerk in den Mingyang-Qingzhou-Windpark im Südchinesischen Meer.

Frage: Wie groß können Windräder noch werden?

Antwort: Das Rennen um Windkraftanlagen mit 18 Megawatt und sogar 20 Megawatt läuft bereits, ebenfalls getrieben von China. Wie groß aber können sie noch werden?

Eine Prognose erscheint schwierig, denn was vor wenigen Jahrzehnten noch als unmöglich galt, ist mittlerweile serienmäßig in Betrieb. 1983 nahm Westdeutschland zum Beispiel die sogenannte Growian – das stand für "Große Windenergieanlage" – erfolglos in Betrieb. Sie sollte drei Megawatt (MW) Leistung schaffen. Aber die damals größte Windkraftanlage der Welt war ein Flop.

Die Konstruktion war fehlerhaft, jahrelang stand die Growian still, 1988 wurde sie abgerissen. Heute bringt eine neue Windkraftanlage auf dem Festland in Österreich durchschnittlich 3,6 MW Leistung und in Deutschland 4,7 MW Leistung.

Das Wachstum der Anlagen ist für Experten keine Überraschung. "Größere Anlagen bringen bisher Vorteile, weil man damit höhere Leistungen und auch größere Höhen erreicht. Weiter oben ist mehr Wind", sagt Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Berlin, zum STANDARD. Das Wachstum werde aber "nicht unendlich sein", die Frage der Wirtschaftlichkeit setze die Grenze. "Ein Turm einer größeren Anlage muss wesentlich mehr Gewicht tragen. Daher muss man ihn nach oben, links und rechts verstärken. Die Kosten davon steigen nicht linear", sagt der Wissenschafter.

Quaschning spricht beim Windkraftwuchs wohlgemerkt von Offshore-Anlagen, also Projekten vor der Küste. Auf dem Land seien durch die Transportwege ohnehin Grenzen gesetzt. "Die größten Rotorblätter bekommt zum Beispiel nicht unter Brücken durch", sagt er.

Bei der IG Windkraft sieht man aber großes Wachstumspotenzial durchaus auch zu Lande, sprich in Österreich. So würden bereits heute nicht nur Türme, sondern auch Flügel in Teilen geliefert werden, sagt Martin Jaksch-Fliegenschnee, Sprecher der IG Windkraft, der Interessenvertretung der heimischen Windenergiebetreiber. "Das wird dann vor Ort zusammengeschraubt. Es gibt keinen Grund, warum die Anlagen nicht größer werden können."

Windräder mit roten Positionslichtern bei Dämmerung im Windpark Neudorf, Burgenland, Österreich
In Österreich hatte eine neu errichtete Windturbine im Jahr 2022 im Durchschnitt 3,6 Megawatt Leistung. Die weltweit größte Windkraftanlage bringt es auf das Vierfache.
APA/ROBERT JAEGER

Frage: Wie groß sollen Windräder noch werden?

Antwort: Die britische Beratungsfirma WoodMac rät der Branche, den Wettlauf um immer größere Anlagen zu unterbrechen. "Letztlich kommt es nicht auf die Höhe der Obergrenze an, sondern darauf, dass eine Obergrenze festgelegt wird", heißt es in dem erwähnten Papier. Es wäre zwar schwierig, alle Länder mit ins Boot zu holen. Wenn jedoch die Kernmärkte – Europa und die USA – die Obergrenze durchsetzten, würde dies Lieferanten und Investoren der Windindustrie zugutekommen, argumentiert WoodMac.

HTW-Professor Quaschning hält nichts von einem gesetzlichen Limit: "Da wäre ich erst mal entspannt und würde sagen: Lasst das den Markt regeln."

Auch Jaksch-Fliegenschnee von der IG Windkraft kann sich mit verordneten Beschränkungen nicht anfreunden. "Mit Blick auf die Stromproduktion ergibt es keinen Sinn, irgendwelche Höhenbegrenzungen einzuführen. Je höher ein Windrad und je größer sein Rotor ist, desto mehr Strom erzeugt es. Die Probleme der Lieferketten löst man nicht, indem man die Branche beschränkt", sagt er. Die IG Windkraft fordere im Sinne krisenfester Lieferketten vielmehr, die Produktion, die sich teilweise nach Asien verlagert hat, nach Europa zurückzuholen.

Frage: Wo entstehen Österreichs größte Windkraftanlagen?

Antwort: Die zwei bald größten Windkraftanlagen des Landes werden gerade bei Dürnkrut in Niederösterreich hochgezogen. Sie sollen noch 2023 in Betrieb gehen. Die Rotoren der Anlagen von Vestas und Nordex werden 162 Meter und 163 Meter Durchmesser haben. Die Nennleistung liegt bei 5,6 MW sowie 5,7 MW.

Grundsätzlich gilt: Je länger der Durchmesser des Rotors und je höher der Turm des Windrads ist, umso mehr Strom kann erzeugt werden.

Frage: Was ist von der Behauptung zu halten, Windräder seien schädlich für Mensch, Umwelt und Klima?

Antwort: Es gibt keine Belege dafür, dass Windparks bei Anrainerinnen und Anrainern zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder gar Herzinfarkten und Schlaganfällen führen. Eine flächendeckende Untersuchung in Dänemark stellte keine negative Auswirkungen des Infraschalls auf die Gesundheit fest.

Es kursieren außerdem Behauptungen, wonach die Windkraft Dürren und Klimaveränderungen auslöse. Aus wissenschaftlicher Sicht ist daran nichts dran. Windkraftanlagen erzeugen keine zusätzliche Wärme in der Atmosphäre, sondern durchmischen lediglich Luftschichten in ihrer Umgebung.

"Es gibt eine Reihe Studien von großen Windparks in Texas. Man hat hier Satellitenaufnahmen des Gebiets vor der Errichtung der Windparks und nach dem Bau genommen und daraus die Bodentemperatur abgeleitet. Dort hat man gesehen, dass es hinter den Windparks vor allem nachts am Boden wärmer wurde“, stellte hierzu Stefan Emeis, pensionierter Professor am Karlsruher Institut für Technologie im MDR fest. "Betrachtet über die ganze Atmosphäre sehen Sie gar keine Temperaturveränderung, Sie sehen nur eine andere Verteilung der Wärme. Also unten wärmer, oben kühler – am Ende gleicht es sich wieder aus."

Eingriffe ins Mikroklima seien zwar vorhanden, beschränkten sich laut HTW-Forscher Quaschning aber eben auf die Umgebung der Anlagen. "Natürlich greifen Windkraftanlagen ins Mikroklima ein, aber das macht auch jedes Hochhaus, jede Autobahn und jeder Baum, den ich pflanze", sagt Quaschning. "Da wird dem Windrad eine falsche Bedeutung zugeschrieben. Wenn eine Stadt oder eine Autobahn ausgebaut wird, ist das ein viel größerer Eingriff ins Mikroklima." (Lukas Kapeller, 6.9.2023)