Die Zahl der invasiven Tier- und Pflanzenarten wächst rasant – mit dramatischen ökologischen Folgen. Vor allem durch den globalen Warenverkehr und die Reisetätigkeiten des Menschen werden immer mehr Tier- und Pflanzenarten in neue Gebiete eingeschleppt, wo sie sich oft schnell ausbreiten und gegen die einheimische Konkurrenz durchsetzen können. In einem neuen Bericht benennt nun der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) die Dimension des stetig wachsenden Problems: Invasive Arten seien ein Hauptfaktor für das globale Artensterben und würden zudem massiven wirtschaftlichen und gesundheitlichen Schaden anrichten.

Drüsiges Springkraut
Das Drüsige Springkraut wurde im 19. Jahrhundert als Zierpflanze in europäischen und nordamerikanischen Gärten verpflanzt. Heute breitet sich die ursprünglich vom indischen Subkontinent stammende Pflanze massiv aus.
IMAGO/Gottfried Czepluch

86 Wissenschafterinnen und Wissenschafter aus 49 Ländern arbeiteten mehr als vier Jahre lang an dem Bericht, der am Montag in Bonn präsentiert wurde. Die wissenschaftliche Bestandsaufnahme ist erschreckend: Demnach gelangten bislang mehr als 37.000 Spezies durch menschliche Aktivitäten in neue Gebiete, mehr als 3.500 davon gelten als ernsthafte ökologische Bedrohung. Der wirtschaftliche Schaden habe 2019 die Schwelle von 390 Milliarden Euro überschritten – pro Jahr, heißt es in dem Bericht.

Faktor für das Artensterben

"Invasive Spezies waren ein Hauptfaktor in 60 Prozent der Aussterbefälle von Tier- und Pflanzenarten, die wir erfasst haben. In 16 Prozent der Fälle waren sie die alleinige Ursache", sagte Studienkoautor Anibal Pauchard von der chilenischen Universidad de Concepción. Auf lokaler Ebene sei der Artenschwund durch invasive Spezies besonders groß, sagte der Ökologe. "218 invasive Arten waren allein für mehr als 1.200 lokale Aussterbefälle verantwortlich."

Nordamerikanischer Waschbär
Süß, aber nicht unproblematisch: Der Nordamerikanische Waschbär ist längst auch in Europa zu Hause.
IMAGO/McPHOTO

Die Liste der Beispiele ist vielfältig, auch in Europa. Auf ihr finden sich wuchernde Pflanzen wie das Drüsige Springkraut, das einst vom indischen Subkontinent als Zierpflanze nach Europa und Nordamerika gebracht wurde und sich dort inzwischen so rasant ausbreitet, dass es immer mehr andere Pflanzenarten verdrängt. Pollen einiger Neophyten sorgen für einen Anstieg von Allergien bei Menschen. Die Pazifische Auster verursacht ein anderes Problem: Sie verändert den Lebensraum in seichten Meeresgebieten. Sie ist die weltweit wichtigste kommerzielle Austernart und wurde zur Zucht auch nach Europa gebracht. Heute bringt sie an einigen europäischen Küsten zunehmend andere Muschelarten in Bedrängnis.

Video: Die Blaukrabbe, die ursprünglich an der nordamerikanischen Atlantikküste beheimatet ist, bedroht die Muschelzucht in Italien.
AFP

Tödlicher Pilz

Folgenlos ist auch die Verbreitung von gebietsfremden Säugetieren nicht: Die Biberratte, der Waschbär, der Marderhund oder das Grauhörnchen haben sich in vielen Gegenden Europas etabliert und sorgen für ökologische Probleme. Insekten wie die Asiatische Tigermücke bringen indes gefährliche Krankheiten mit. Sie können etwa Dengue-Fieber, Zika oder das Chikungunya-Virus übertragen und sind inzwischen auch in ganz Österreich anzutreffen. Andere Bioinvasoren sind für den Menschen unsichtbar, für andere Tiere aber tödlich: Die Ausbreitung des ursprünglich aus Afrika stammenden Chytridpilzes sorgt für Massensterben bei Amphibien, 120 Arten sind durch diesen Erreger bereits ausgestorben.

Nicht alle Spezies, die aus ihrem angestammten Verbreitungsgebiet in neue Regionen gelangen, sind invasiv. Als problematisch gelten jene, die sich auf Kosten anderer Arten etablieren und weiter verbreiten können. Das trifft laut Weltbiodiversitätsrat auf rund sechs Prozent der gebietsfremden Pflanzen zu, auf 36 Prozent der eingeschleppten Tiere und auf elf Prozent der Mikroorganismen. Die meisten dokumentierten Schäden durch invasive Arten betreffen Land, vor allem Waldflächen und landwirtschaftliche Gebiete (75 Prozent). Etwa 15 Prozent der Folgen betreffen Süßwasserökosysteme, zehn Prozent marine Lebensräume.

Das liege teilweise aber auch an der Datenlage, sagte Sven Bacher von der Schweizer Universität Freiburg, Leitautor eines Kapitels des IPBES-Berichts. "Es gibt mehr Forschung an Land, das ist mit ein Grund dafür, dass wir mehr über die Folgen an Land wissen." Insgesamt sieht Bacher ein "Riesenproblem, das in der Vergangenheit massiv angestiegen ist und sich in der Zukunft weiter verstärken wird".

Nutria, Biberratte
Die Nutria, auch als Biberratte bekannt,stammt aus Südamerika. Fernab ihres Herkunftsgebiets sorgt sie für erhebliche Schäden an Wasserbauanlagen.
IMAGO/robertharding

Das betonte auch Hanno Seebens vom Senckenberg-Biodiversität-und-Klima-Forschungszentrum in Frankfurt am Main, ebenfalls einer der Leitautoren des Berichts. "Das ist der erste Bericht, der die Problematik der invasiven Arten in diesem Umfang darstellt. Die Datenmenge erlaubt uns, Rückschlüsse zu jeder Region auf der Erde zu ziehen, und man sieht, dass die Trends eigentlich überall gleich aussehen." Seit den 1950er-Jahren habe die Verbreitung enorm zugenommen, aktuell wisse man von etwa 200 Arten, die jedes Jahr in neue Gebiete eingeschleppt würden, sagte der Wissenschafter. Der Trend zeige steil nach oben.

Erhebliche Kosten

Katharina Dehnen-Schmutz von der britischen Coventry University hat sich als Leitautorin eines Kapitels des IPBES-Berichts unter anderem mit den wirtschaftlichen Folgen invasiver Arten befasst. Die im Bericht genannten Schäden von rund 390 Milliarden Euro jährlich seien wohl nur eine Annäherung an die tatsächlichen Kosten, sagte die Wissenschafterin. "Nicht alle Auswirkungen sind auch ökonomisch bewertet worden, man kann nicht alle Schäden monetär erfassen. Aber die meisten invasiven Arten haben auch Auswirkungen auf die Wirtschaft." Vor allem Schädlinge im Bereich der Land- und Forstwirtschaft würden wirtschaftlich zu Buche schlagen und auch Folgen für die Nahrungsmittelsicherheit haben. Aber auch Infrastrukturschäden und steigende Gesundheitskosten seien große Kostenfaktoren.

Aedes aegypti, die Asiatische Tigermücke
Aedes aegypti, die Asiatische Tigermücke, ist auch in Österreich angekommen. Sie kann gefährliche Infektionskrankheiten übertragen.
IMAGO/ZUMA Press

Der Bericht des Weltbiodiversitätsrats zeigt aber auch auf, dass es einen großen Handlungsspielraum gibt, der noch bei weitem nicht ausgeschöpft ist. "Die gute Nachricht ist: Wir wissen im Prinzip, was man tun muss, um diese invasiven Arten und die Folgen abzumildern", sagte Bacher. "Aber die Umsetzung reicht momentan nicht aus." Im Bericht heißt es, dass sich zwar ein Großteil aller Länder Ziele zur Eindämmung des Problems gesteckt hat, die wenigsten aber klare gesetzlichen Regelungen geschaffen hätten. In der EU ist seit 2015 eine Verordnung in Kraft, die auf Prävention und Management invasiver gebietsfremder Arten abzielt. Problematische Spezies kommen auf eine "Liste invasiver gebietsfremder Arten von unionsweiter Bedeutung", Handel, Haltung und Freisetzung dieser Arten ist nicht erlaubt.

Prävention als wichtigste Maßnahme

Das sei ein richtiger Schritt – Prävention sei die mit Abstand beste Maßnahme, sagte Bacher. Die Verhinderung der Ausbreitung gebietsfremder Arten sei nicht nur das effektivste und kostengünstigste Mittel, sondern auch das gelindeste. Wenn eine invasive Art aber erst einmal da ist, brauche es Management, Eingrenzung und gezielte Bekämpfung. Dafür sei in jedem Fall eine genaue Abwägung nötig, darauf müsse man vorbereitet sein. "Es kommt darauf an, schnell einzugreifen. Dafür braucht es Aktionspläne."

Grauhörnchen, Eichhörnchen
Das Grauhörnchen wurde im 19. Jahrhundert aus Nordamerika nach Großbritannien gebracht. Seither brachte es dort und in anderen europäischen Ländern die angestammten Eurasischen Eichhörnchen enorm unter Druck.
imago images/imagebroker

Ist die Wanderung von Spezies in neue Gebiete denn immer ein Problem, ist das nicht auch ein natürlicher Prozess? "Es gab natürlich schon immer Arten, die sich ausbreiteten, auch über andere Arten hinweg", sagte Seebens. "Das Problem aktuell ist aber, dass wir die Raten dieser Ausbreitung enorm erhöht haben, und zwar über sehr, sehr große Distanzen. Das stellt die Ökosysteme vor riesige Herausforderungen."

Was ist mit eingeschleppten Arten, die sich längst etabliert haben? "Wir sagen nicht, jede gebietsfremde Art muss bekämpft und ausgerottet werden", ergänzte Dehnen-Schmutz. Wichtig sei, genau abzuwägen und Monitoring zu betreiben. "Man muss schauen, ob man bestimmte Gebiete freihalten kann, wo die Auswirkungen besonders groß sein könnten, aber solange wir keine Schäden sehen, müssen wir nicht gegen alles vorgehen." Und manche Arten, sagte die Forscherin, werde man einfach nicht mehr loswerden – auch wenn sie Schaden anrichten. (David Rennert, 4.9.2023)