DJ Ötzi
DJ Ötzi als batteriebetriebene Puppe für Kinder ab vier Jahren.
Jakob Thaller

Ein unangenehm beißender Geruch steigt einem in die Nase, wenn man auf dem Parkplatz der Max-Disco und des Tanz-&-Partystadls Yoyo steht. Es ist der 2. September. Das große Feldbacher Oktoberfest findet heute in der südoststeirischen Großraumdisco statt, besser gesagt auf dem Parkplatz davor. Im Open-air-Partyzelt angekommen, wird der Geruch vom rauchig-fleischigen Spanferkelcatering von "Der Schweinerei" überdeckt. Um die Grillage kümmert sich heute der BBQ-Mandi. Lederhosen und Leiberln von Andreas Gabaliers "Dirndl-Wahnsinn-Hulapalu!"-Tour und auch schon die eine oder andere weiße Strickmütze kann man entdecken. Sponsoren der Veranstaltung: Puntigamer und die örtliche Raiffeisenbank. Angeblich ist Hannes Kartnig hier irgendwo. "Schussapparat", ertönt es aus allen Richtungen, eine Trinktechnik, bei der man die Finger zu einer Pistolengeste formt, um daraufhin den Alkohol in einem Zug auszutrinken. Vier Euro kosten die Getränke, egal ob Wodka Red Bull, Bier oder stilles Wasser, bezahlt wird mit Getränkebons. Wann ich das letzte Mal hier war, weiß ich nicht mehr, aber es war zu einer Zeit, als man drinnen noch rauchen durfte.

Auch für DJ Ötzi, bürgerlich Gerhard "Gerry" Friedle, ist es heute ein Heimspiel. Vor 24 Jahren hatte er seinen Durchbruch mit dem Anton aus Tirol, damals buchte ihn die kleine Diskothek Picasso in Paldau. Besitzerin Sonja Kien war erst einmal grantig auf ihn und verliebte sich dann doch. Zwei Jahre lang lebten sie gemeinsam in dem Raum über der Disco, die schönste Zeit in seinem Leben, meint Ötzi. Heute ist Sonja nicht nur seine Frau, sondern auch seine Managerin – wenn er auf der Bühne über sie spricht, spürt man Liebe und nichts anderes. Ein einfaches Leben hatte DJ Ötzi nicht. Aufgewachsen bei Pflege- und Großeltern, Schulden, temporäre Obdachlosigkeit, die Geschichte wurde oft erzählt, spätestens seit seiner 2021 erschienen Autobiografie Lebensgefühl ist sie kein Geheimnis mehr, aber der Mythos DJ Ötzi lebt trotzdem weiter.

Unter der Haube

Dieser Mann ist einer der erfolgreichsten Musiker Österreichs, mehr Chartplatzierungen als Falco oder Christina Stürmer. Wie Schnitzel, am Standesamt promovieren und "'Die zweite Kassa, bitte!" hat er sich tief eingebrannt in die österreichische DNA. Anfang des Jahres konnte man diese kulturelle Relevanz gut beobachten. "Der Burger Dance gab uns die Kraft weiterzumachen und nicht aufzugeben", schreibt Prinz Harry in seiner kontroversen Autobiografie Spare. Zumindest berichteten darüber zahlreiche österreichische Medien, von Heute bis zu Ö3 und der Tiroler Tageszeitung. Dass sie alle auf einen satirischen Beitrag des Instagram-Kanals "Galerie Arschgeweih" reingefallen sind, sagt vielleicht mehr über die österreichische Medienlandschaft aus als über DJ Ötzi, aber trotzdem: Keine Sekunde lang hätten wir uns gewundert darüber, wenn es gestimmt hätte. Wir Österreicher wären stolz darauf, dass unser Gerry das britische Königshaus quasi im Alleingang gerettet hat. DJ Ötzi ist weltbekannt, zumindest in Österreich.

Die Raiffeisenbank und Puntigamer, ein Sinnbild für Österreich.
Die Raiffeisenbank und Puntigamer, ein Sinnbild für Österreich.
Julian Baumann

Bevor er endlich die Bühne betritt, muss man aber die "echt steirische" und "echt fetzige" Band Die Hafendorfer durchstehen, beim Merchandisestand verkaufen sie Stringtangas. Klassisches Coverprogramm, vom Fliegerlied bis zu Marmor, Stein und Eisen bricht – ein "Highlight" ist wohl die entschärfte, noch immer rassistische Version des Stoakogler-Klassikers Die Stoanis san do. Danach kündigt der durch den Abend führende Radio-Steiermark-Moderator Erich Fuchs einen gewissen Max aus Bayern an. Nicht nur aussehen soll dieser wie Andreas Gabalier, sondern auch so Stimmung machen. Das Versprechen hält er nicht ein, das Bierzelt ist halb gefüllt, die Stimmung woanders. Was mache ich hier noch einmal?

Ein Hauch von Schicksal

Überlebensgroße DJ-Ötzi-Plakate schmücken schon seit längerem die Südoststeiermark. Vor vier Monaten, beim Oma-Besuch, sind sie mir zum ersten Mal aufgefallen. Am selben Tag, im lokalen Secondhand-Shop, eine batteriebetriebene Anton-aus-Tirol-Figur. Zufall? Schicksal! Die Kassiererin bemerkte das Leuchten in meinen Augen, die Freude über so eine Rarität, und flüsterte mir zu, im Lager hätten sie noch einen zweiten Anton. Und in einer anderen Filiale gebe es noch viel mehr davon. So wurde ich temporär zum Besitzer von acht batteriebetriebenen Anton-aus-Tirol-Figuren, die als Geburtstagsgeschenke für einmal mehr, einmal weniger Begeisterung bei Familie und Freunden sorgten. Für mich war aber klar: Ich muss zum Konzert und mir meinen Anton signieren lassen.

Aus der Ferne sieht man als Erstes seine weiße Strickhaube. DJ Ötzi betritt die Bühne. Die sanften Klänge von Noch in 100.000 Jahren verwandeln das Publikum im Partyzelt innerhalb von Sekunden in eine tobende Menge. Plötzlich ist es ganz voll hier. "Wer von euch lebt gerne?", brüllt er ins Publikum. Pure Lebenslust hallt ihm entgegen. Fast schon feministisch wird seine emotionale Ansprache vor dem Lied Ein Mann für Amore. Frauen solle man unterstützen, heißt es, nicht nur beim Geschirrspülerein- und -ausräumen, sondern auch sonst. Applaus. Alle Hände nach oben!

"Zickezacke, zickezacke! Hoi, hoi, hoi!" Kaum jemand beherrscht die Klaviatur der Gefühle so wie DJ Ötzi, emotionale Balladen wechseln sich mit Partykrachern ab, dazwischen werden alte Freunde gegrüßt. Herta. Hannes. Felix. Martin. Egal wer diese Leute sind, alle sind hier. Jedes Lied kennt man und auch wenn nicht, kann man mitsingen. Das mag vielleicht überraschen, aber "würdevoll" ist der Begriff, der am besten beschreibt, was auf der Bühne passiert. Hier steht ein Mann, der viel erlebt, immer weitergemacht hat – und authentisch seiner Leidenschaft nachgeht. Wer kann das schon von sich behaupten? Dass er weder der kreativste Texter noch der beste Sänger ist, spielt keine Rolle. Einer ist er nämlich ganz sicher, der beste DJ Ötzi.

Mission: Anton

Der Überhit Ein Stern kommt, DJ Ötzi badet in der Menge. Die Chance – jetzt nach vorne kämpfen, ganz nah an ihn ran. Mit meinem Anton über dem Kopf nähere ich mich, hoffe, dass er mich sieht. Die Figur registriert, die er vielleicht selbst seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hat. Zu spät. Er ist wieder auf der Bühne. Ich bin schon so weit vorn, denke ich mir, dränge noch ein bisschen. Bis in die Row Zero. Wie große DJ-Ötzi-Fans sind eigentlich die anderen hier? Eine Frau schaut meinen Anton an, sagt irgendetwas, ich nicke. Ein Mann sagt irgendetwas anderes. Ich nicke. "Prost, ihr Säcke", ruft DJ Ötzi, übrigens strenger Anti-Alkoholiker, ins Publikum. "Prost, du Sack", antworten wir in der Row Zero.

Eine weiße Haube von der Gipfeltour.
Beim Merchandisestand gab es nicht nur die signierte Biografie "Lebensgefühl", sondern auch Gipfeltour-Hauben.
Julian Baumann

Von hier kann man seine Band richtig gut sehen. Der Gitarrist rockt, die Art von rockig wie ein Religionslehrer nach zwei Bier beim Skikurs in Obertauern, wenn er die Gitarre holt und Nickelback covert. Sieben Sünden beginnt, der nächste Hit, und ich frage mich, ob DJ Ötzi eigentlich den Film Sieben von David Fincher gesehen hat, in dem es um einen Serienmörder geht, der nach den sieben Todsünden mordet, ob ihn das inspiriert hat, aber eigentlich ist das egal, weil es in dem Lied um etwas ganz anderes geht und sowieso fast alle DJ Ötzi-Lieder Coverversionen sind. Etwas Vertrautes reißt mich plötzlich aus dem Gedankenstrom.

"Anton Anton Anton
Anton Anton Anton
Anton Anton Anton
Anton Anton Anton
Anton Anton Anton"

"Ich bin so schön
Ich bin so toll
Ich bin der Anton aus Tirol
Meine gigaschlanken Wadeln
San der Wahnsinn für die Madeln
Mei Figur a Wunder der Natur"

Meinen Anton reiße ich in die Luft, schreie, tanze, lache, DJ Ötzi registriert mich. DJ Ötzi registriert mich! Zweimal blinzelt er in meine Richtung. Er macht exakt dieselbe Handgeste wie die Figur, Peace mit der einen Hand, Daumen nach oben mit der anderen. In einem Kommentar zum dazugehörigen Youtube-Video wird Anton aus Tirol als Österreichs größter Beitrag zum kulturellen Fortschritt der EU bezeichnet. Spontan fällt mir da auch nichts Wichtigeres ein. Es wird ruhig. DJ Ötzi setzt zu einer weiteren Ansprache an. Er geht in meine Richtung. Er spricht mich an. Nur mich. Nimmt mir die Figur aus der Hand. "Host an Stift, i unterschreib dir des", sagt er. "Anton, Gerry oder DJ Ötzi?", fragt er. "Alle drei", stammle ich wortlos.

Mit Sex Is On Fire, einem Cover der Kings of Leon, geht es weiter, während ich noch ganz benommen bin. Danach Thunderstruck von AC/DC und Seven Nation Army von den White Stripes. Der Gitarrist ist in seinem Element. Bevor es wirklich endet, stellt DJ Ötzi noch seine Band vor: Jeder ist der oder die Beste oder Geilste. Der an der Gitarre ist der Geilste. Alles ist geil. Noch eine Zugabe: Hey! Baby. Uhh, ahh! Eine der ersten CDs, die ich jemals besessen habe. Ganz am Ende wirft er seine legendäre weiße Strickmütze ins Publikum. Ich fange sie nicht, aber das ist egal. Wenn alle Menschen ein bisschen mehr wie DJ Ötzi wären, dann wäre die Welt eine bessere. Davon bin ich überzeugt. (Jakob Thaller, 4.9.2023)