Das hätte Donald Judd wohl nicht gedacht. Die drei Brunnen, die der US-amerikanische Künstler und Designer Anfang der 1990er-Jahre knapp vor seinem Tod für die Schweizer Stadt Winterthur entwarf, werden an heißen Sommertagen hauptsächlich zum Planschen verwendet. Oder hatte er eine Vorahnung? Schließlich laden seine badewannenartig elliptischen Betontröge in der Fußgängerzone der Altstadt förmlich zum Baden ein.

"Die Brunnen in der Steinberggasse markieren den Verlauf des ehemaligen Stadtbachs, der hier bis 1803 in Richtung Neumarkt durchfloss", erklärt Stadtführerin Ursula Saner Davare. Die Becken sind alle unterschiedlich hoch, damit die Wasserspiegel in der Gasse mit einem leichten Gefälle auf gleicher Höhe sind. So weit das künstlerische Konzept.

In Winterthur bei Zürich haben Bewohnende irgendwann begonnen, die Brunnen zu Badeplätzen zu machen. Die vom US-Künstler Donald Judd gestalteten Becken in der Steinberggasse eignen sich dafür besonders gut.
Harald Sager

Die Brunnen wurden aber schon bald nach ihrer Einweihung zum Planschbecken für Bewohnerinnen und Besucher. In der warmen Jahreszeit kommen die Menschen nach Feierabend in die Steinberggasse alias "Steibi", schnappen sich ein Bier, einen Aperol oder ein Eis von einem der Lokale ringsum und lassen die Füße ins Wasser baumeln. Manche ziehen sich auch Badebekleidung an und hüpfen gleich ganz hinein. Dasselbe geschieht im neobarocken Brunnen mit der Fischmädchenfigur, im Biedermeier-Brunnen, dem ehemaligen Dorfbrunnen und in etlichen anderen in der Stadt.

Nur im seichten Zierbrunnen vor dem Musikkollegium tollen fast ausschließlich Kleinkinder herum – als Erwachsener müsste man sich flach auf den Rücken legen, damit einen das Wasser bedeckt. Die Winterthurer sind versessen auf ihre kleinen Erfrischungsoasen – vermutlich weil sie keinen See oder Fluss in der Nähe haben. Die Eulach durchquert die Stadt zwar, verläuft aber zu einem Gutteil unterirdisch und bietet keine Badeplätze.

Die in Winterthur gelebte Kultur des Brunnenbadens war Ausgangspunkt der Schweizer Kampagne "Fountain Dip", die 2023 ins Leben gerufen wurde. Dabei werden ausgewählte Brunnen in zehn Schweizer Städten zu Treffpunkten und Event-Locations gemacht. Beim Füße-Dippen oder beim Vollbad im Brunnenwasser werden zu bestimmten Zeiten Konzerte gegeben, oder DJs legen auf, dazu gibt’s Getränke und Happen – kurz, es wird Party gemacht. Die Botschaft: Seht her, wir Schweizer haben auch in den Städten Wasser in Hülle und Fülle. Städtetourismus kann auch bei steigenden Temperaturen ein Vergnügen sein – vorausgesetzt natürlich, er findet in der Schweiz statt. Denn tatsächlich ist das Brunnenbaden in den meisten Ländern nicht gestattet.

Mittagspause mit Wickelfisch

Umkleidekabinen braucht es dafür keine. Brunnenbadende ziehen sich, ein Badetuch umgewickelt, am Beckenrand um und lassen ihre Kleidung daneben liegen. Viele Schweizer Städter sind das nicht anders gewohnt. Manche gehen auch in der Mittagspause in Basel und in Schaffhausen im Rhein, in Bern in der Aare und in Zürich in der Limmat schwimmen. Dafür benötigen sie nichts weiter als ihr Badezeug und einen "Wickelfisch", einen wasserdichten, kunstvoll verschlossenen Sack für die Kleidung, den sie ins Wasser mitnehmen, um an anderer Stelle wieder herauszuklettern. Das Improvisierte, Informelle ist Teil des Vergnügens.

Der Zürcher Brunnenbade-Treffpunkt ist wirklich nicht viel mehr als ein "Dip". Die Europuddle genannte Anlage, die eher nach einer groß geratenen Pfütze aussieht, ist kaum tiefer als 20 Zentimeter. Das ist die Höhe, bei der für Kleinkinder und Angeheiterte keine Gefahr des Ertrinkens mehr bestehen soll. Eine behördliche Auflage für die geringe Wassertiefe war hier nötig, weil der "Brunnen" lediglich eine von einem Wasserspiel gespeiste schiefe Ebene ist, die für jeden zugänglich ist. Dafür liegt der Europuddle im Zentrum der Europaallee, eines neuen, architektonisch ambitionierten Ausgehviertels und in jeder Hinsicht trendigen Stadtteils längs des Hauptbahnhofs. In den Europuddle kann man aber höchstens seine Füße hineinstrecken – wie steht es also um engagierteres Brunnenbaden in Zürich?

Mittlerweile findet die Idee an vielen Orten in der Schweiz Nachahmer.
Mittlerweile findet die Idee an vielen Orten in der Schweiz Nachahmer.
Harald Sager

"Wir besitzen 1281 Brunnen in der Stadt, darin zu baden ist nicht üblich – wenn auch nicht ausdrücklich untersagt", sagt Fremdenführerin Annamaria Palmitter. Aber warum gilt das in Zürich als exotisch, liegt doch die Brunnenbademetropole Winterthur gleich ums Eck? "Nun, wir haben die Limmat, den Schanzengraben und zahlreiche Badis – hübsche, altmodische Freibäder. Vor allem aber den Zürichsee, zu dem wir innerhalb der Stadtgrenzen ungehindert Zugang haben. Da ist das Bedürfnis nach Brunnenbaden nicht so groß!", gibt Palmitter als ebenso einfache wie logische Antwort.

Basler Rheinschwumm

Basel ist dagegen nicht ganz so privilegiert wie Zürich, was natürliche Wasserplätze betrifft. Aber die Stadt liegt immerhin am Rhein, und die Basler lieben ihren Rheinschwumm. "Dafür haben wir den Wickelfisch erfunden! Wir drücken ihn während des Schwimmens wie einen Polster an die Brust und lassen uns die Strömung hinuntertreiben", sagt Elsbeth Döbelin bei ihrer Führung durch die Altstadt. Auch Brunnenbaden wird in Basel seit gut zwanzig Jahren betrieben. "Ein paar Leute fingen damit an, und da es nicht verboten war, bürgerte es sich eben ein", sagt Döbelin. Der erste Platz, der dafür in Beschlag genommen wurde, war der Gemsbrunnen, ein schönes achteckiges Bauwerk aus Kalkstein mit einer gusseisernen Gämse obenauf. Inmitten des historischen Häuserensembles wirkt er wie ein Dorfbrunnen. Anfangs gab es noch Anrainerbeschwerden wegen Lärmbelästigung zu später Stunde, aber das erledigte sich rasch durch Einführung einer Sperrstunde.

Auf einem Rundgang durch die Baseler Altstadt begegnet man immer wieder Brunnenbadenden. Doch die alten Becken wie der Gemsbrunnen sind nicht offiziell Teil der Schweizer Fountain-Dip-Initiative. Dafür hat man den Zschokke-Brunnen beim Eingang des Kunstmuseums Basel auserkoren. Der Platz ist groß genug, das Museum gilt als hipper Ort, und es gibt keine unmittelbaren Anrainer, die sich an Events stören könnten.

Brunnen in Winterthur vor dem Musikkollegium und in der Steinberggase.
Brunnen in Winterthur vor dem Musikkollegium und in der Steinberggase.
Winterthur / Ivo Scholz

Dementsprechend dicht gruppieren sich Loungemöbel um jenen Brunnen, der nach dem Bildhauer Alexander Zschokke benannt wurde. Auch hier gibt es Drinks, Snacks und Konzerte lokaler Musiker, oder DJs legen auf.

Ein ähnliches Setting findet sich beim Brunnen Monument Brunswick, am Grabmal des Herzogs Karl II. von Braunschweig in Genf. In dem großen Garten, dem Jardin des Alpes, läuft Musik bis Mitternacht, und man holt sich Tapas und Getränke vom angrenzenden Cottage Café. Die Füße im Wasser, öffnet sich der Blick auf die Promenade und den See, den berühmten Springbrunnen und den noch bekannteren Montblanc im Hintergrund. "Ganz ins Wasser zu gehen ist aber nicht gestattet – weder hier noch in den anderen Brunnen in Genf", stellt Julia Cuénod von Genf-Tourismus klar. Das wäre auch schwer möglich, denn in puncto Seichtigkeit kann es das Zierbecken mit dem Zürcher Europuddle aufnehmen.

Wer in der französischen Schweiz Erfrischung sucht, dem sei Rafting auf der Arve empfohlen. Der raue Gebirgsfluss entspringt am Montblanc und mündet in Genf in die Rhône. Ein zusätzlicher Vorteil an heißen Sommertagen: Das Wasser wird nie wärmer als 15 Grad. (RONDO, Harald Sager, 8.9.2023)