Der eine (Kabarettist Markus Koschuh) hält sich für einen politischen Menschen, der andere (Tirols Landeshauptmann Anton Mattle, ÖVP) für lustig. Im sommerlich leeren Landtagssitzungssaal in Innsbruck treffen die beiden im Rahmen der "2+1-Gespräche" aufeinander. Es geht auch um die Frage, mit welcher Partei eine Politik der Mitte zu machen ist. Regieren mit der FPÖ kommt für Mattle nicht infrage. Und auch Babler müsse "noch ein paar Runden drehen".

Landeshauptmann und Kabarettist sitzen auf Stühlen und sprechen miteinander
Tirols Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP) und der Kabarettist Markus Koschuh in den Hallen des Hohen Tiroler Landtags.
Fabian Mühleder

STANDARD: Sind Sie lustig, Herr Landeshauptmann?

Mattle: Ja, schon. Und ich kann herzhaft lachen. Aber in vielen politischen Situationen ist Ernst angesagt.

STANDARD: Zum Beispiel?

Mattle: Im Kampf gegen die Teuerung, die doch tiefere Auswirkungen hatte als gedacht – bis in den Mittelstand hinein.

STANDARD: Hier rückt das Thema Wohnen immer wieder ins Scheinwerferlicht. In Tirol wohnt es sich besonders teuer. Herr Koschuh, in Ihrem Programm "Wohnmacht" gehen Sie hart ins Gericht mit der Politik. Wie lauten Ihre Vorschläge?

Koschuh: Zuschüsse ändern an den hohen Wohnpreisen nichts. Beihilfen landen letztlich beim Vermietenden. Stattdessen muss man Grundstücke verbilligen und den Banken endlich Daumenschrauben ansetzen.

Mattle: Die Wohnbauförderung ist extrem wichtig, und Instrumente wie Eigenmitteldarlehen helfen den Menschen, die Einstiegshürden auf dem Weg zum Eigentum zu nehmen. Die Probleme sind vielschichtig. In Tourismusregionen verschärfen Freizeitwohnsitze die Situation. Strikte Kontrollen wirken präventiv.

Koschuh: Im städtischen Bereich liegen die Probleme woanders. In Innsbruck wurde 2022 der Wohnungsnotstand ausgerufen.

Mattle: Vor allem in der Stadt muss genutzt werden, was vorhanden ist. Die Leerstandsabgabe halte ich für ein gutes Instrument. Das Modell "Sicheres Vermieten" bietet die Möglichkeit, Verantwortung an das Land abzutreten, so wird Leerstand mobilisiert. Im Sinne des Klimaschutzes müssen wir nachverdichten, statt neu zu bauen.

STANDARD: Die Letzte Generation demonstrierte am Montag in Innsbruck gegen die zunehmende Bodenversiegelung. Sie sorgte für Behinderungen im Frühverkehr.

Mattle: Ich halte von diesen Initiativen nicht viel, sie machen Klimaschutz unsympathisch. Weite Teile der Bevölkerung haben die Zeichen der Zeit erkannt und sind bereit, sich für den Schutz des Klimas zu engagieren – allerdings nicht in dieser Form, nicht in dieser Radikalität. Ich bin für reden statt kleben.

STANDARD: Im Zukunftsplan 2030 sieht die ÖVP härtere Strafen für Klimakleber vor. Die Volkspartei will einen Tatbestand im Strafgesetzbuch schaffen. Unterstützen Sie das?

Mattle: Das kommt auf die Formulierung an. Die Versammlungsfreiheit ist ein hohes demokratisches Gut. Nichtsdestotrotz bringen die Klimaproteste viele Ärgernisse. Es braucht einen strengen rechtlichen Rahmen, damit die Proteste geordnet ablaufen. Rettungsorganisationen dürfen nicht blockiert werden.

Koschuh: Darauf wird geachtet, das halte ich für eine Scheindiskussion. Und an den Bergen können sie sich ja schlecht festkleben. Die rumpeln uns ja eben wegen des Klimawandels um die Ohren. Auch ich finde die Proteste teils lästig, sie haben mich aber auch nachdenklich gestimmt.

Mattle: Ich muss korrigieren: Die Durchlässigkeit des Verkehrs war und ist nicht immer gegeben. Wir müssen die Gesellschaft mitnehmen, jede politische Umsetzung erfordert demokratische Mehrheiten. Natürlich drängt die Zeit. Aber bei aller Geschwindigkeit: Rechtsstaatlichkeit ist ein hohes Gut.

Koschuh: Stellen Sie sich doch mit Protestierenden auf die Brennerautobahn, dann hätten wir das Thema Transit gleich mit dabei.

Ein gestikulierender Politiker
Tirols Landeshauptmann Mattle nimmt den Klimawandel ernst, ist aber für "reden statt kleben".
Fabian Mühleder

STANDARD: Apropos Transit: Kurz schien da etwas in die Gänge gekommen zu sein. Die Länderchefs von Bayern und Südtirol und Sie einigten sich auf ein intelligentes Verkehrsmanagementsystem. So richtig Fahrt aufgenommen hat die Sache aber nicht.

Mattle: Die Zeit arbeitet für uns. Eine Verkehrsgestaltung mit buchbaren Slots ist der erste Schritt. Dann können wir über eine Begrenzung der Fahrten eine Verlagerung erzwingen. Bis die Zulauftrassen für den Brenner-Basistunnel stehen, sind das die großen Meilensteine.

Koschuh: Wie oft hieß es schon, dass ein weiterer Etappensieg beim Verkehr erzielt wurde? Wäre das die Tour de France, würden wir niemals ins Ziel kommen – bei so vielen Etappen. Als Kabarettist stelle ich mir immer die Frage: Woher kommt das Problem? Die Antwort lautet: von unserem Konsumverhalten.

Mattle: Stimmt. Tirol ist im Vergleich mit großen Nationen ein erfolgreiches, aber kleines Exportbundesland, doch von Skandinavien bis Palermo wollen alle durch Tirol.

STANDARD: Weil's so billig ist.

Mattle: Bei der Korridormaut kommen wir im Moment nicht weiter. In Italien fließen externe Kosten wie Umweltschäden nicht in die Maut ein. Wir müssen Waffengleichheit schaffen – gleiche Strecke, gleiche Maut. In der Schweiz kostet ein Kilometer 85 Cent, in Tirol auch. In Bayern und Südtirol sind es 22 Cent.

Koschuh: Einen Vorteil hat das: Im verkehrsbelasteten Wipptal sind die Grundstückspreise niedriger als im Rest Tirols.

Kabarettist Markus Koschuh.
Nimmt sich kein Blatt vor den Mund: Kabarettist Markus Koschuh.
Fabian Mühleder

STANDARD: Das Wahlvolk scheint die Bemühungen nicht zu honorieren. SPÖ und ÖVP liegen in Umfragen abgeschlagen hinter der FPÖ. Die ÖVP muss sich erneuern. Täte ihr die harte Oppositionsbank nicht einmal ganz gut?

Mattle: Es ist möglich, dass sich eine Partei im Rahmen des Regierens erneuert. Die Situation für die Parteien der Mitte ist schwierig. Was populistisch klingt, findet aktuell einen starken Zulauf. Dabei hat Österreich das hohe Maß an sozialer Sicherheit und Wohlstand nur durch eine Politik der Mitte erreicht. Mit extremen Positionen sind wir noch nie weit gekommen.

STANDARD: Sie sprechen immer wieder von einer "Politik der Mitte", regieren selbst mit der SPÖ. Braucht es auch im Bund wieder eine große Koalition?

Mattle: Der neue SPÖ Vorsitzende Andreas Babler ist noch sehr jung im Amt, da schadet es nicht, noch ein paar Runden zu drehen, um sich zu orientieren.

STANDARD: Weg vom linken Rand hin zur Mitte?

Mattle: Babler hat unterschiedliche Signale gesendet. Aber nach einem Monat hat man noch nicht alle Facetten einer Tätigkeit so interpretiert, wie es gesamtgesellschaftlich notwendig wäre.

STANDARD: Sie gehen einen Schritt weiter als die Bundespartei und lehnen nicht nur eine Koalition mit der FPÖ unter Beteiligung von Parteichef Herbert Kickl ab, sondern auch bei Beibehaltung des blauen Parteiprogramms. Haben Sie dafür parteiintern eine auf den Deckel bekommen?

Mattle: Die Volkspartei ermöglicht eine gewisse Bandbreite, ich bekomme dafür keinen Gegenwind aus Wien. Mit dem Rechtspopulismus will, kann und mag ich nichts zu tun haben, das widerspricht meinem Weltbild. Wir dürfen Politik nicht an einzelnen Personen festmachen, sondern müssen auch darauf schauen, wofür die Partei steht.

STANDARD: Was stört Sie konkret?

Mattle: Ich empfinde Europa als etwas ganz Wertvolles. Österreich war, ist und soll ein offenes Land sein, von einer "Festung Österreich" zu sprechen geht mir zu weit. Dass sich die FPÖ gegen die Luftraumüberwachungsinitiative Sky Shield ausspricht, halte ich für einen Fehler, weil sich auch die Schweiz beteiligen will.

Eine Tirol-Fahne
Im Gespräch ging es um landes- und bundespolitische Themen: vom Grundverkehr bis zum Projekt Ballhausplatz.
Fabian Mühleder

STANDARD: Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ist im September gleich in zwei Filmen auf der Kinoleinwand zu sehen. Werden Sie sie sich anschauen?

Koschuh: Das Geld spare ich mir. Ich habe mir die Biografie zu Gemüte geführt, das reicht.

Mattle: Ich werde erst einmal die Kritiken lesen, ich bin kein klassischer Kinogeher. Dass es jetzt gleich zwei Filme über einen sehr jungen Mann, der eine Zeitlang auch Bundeskanzler in Österreich war, gibt, ist interessant. Er muss auch seine Talente gehabt haben.

STANDARD: Glauben Sie an ein politisches Comeback von Sebastian Kurz?

Mattle: Die politische Zeit von Sebastian Kurz war. Jetzt ist die Zeit von Karl Nehammer.

Koschuh: Kurz? Ja! Als Bürgermeister von Innsbruck!

STANDARD: Dort steht im Frühjahr 2024 die Gemeinderats- und Bürgermeisterdirektwahl an. Es wird über eine Zusammenlegung der Listen ÖVP und "Für Innsbruck" gemunkelt. Wären Sie dafür?

Mattle: Ja, Innsbruck ist eine urbürgerliche Stadt. Das bürgerliche Lager braucht eine starke Stimme.

Koschuh: Und ich kauf mir in bester Tradition eine große Packung Popcorn und schau dem ÖVP-Gemetzel in Innsbruck genüsslich zu. (Maria Retter, 6.9.2023)