Róisín Murphy
Róisín Murphy geht gern in die Disco, aber Tanzen muss nicht sein.
Nik Pate

Zur Halbzeit des Albums bricht das Kind in der Frau endgültig durch, und Róisín Murphy gibt den bösen Gollum aus Herr der Ringe. Sie brabbelt eine halbe Minute lang ein Mantra bezüglich "Raum und Zeit". Das ist als Pausensnack durchaus erfrischend. Immerhin hat man jetzt schon fünf Stücke lang auf einen Gassenhauer gewartet. Der würde sich auf einem Album, das die irische Sängerin 2023 Hit Parade nennt, eigentlich anbieten.

Róisín Murphy

Allerdings legt es Murphy mit dieser sommerlichen Arbeit für vorzeitige Herbsteinbrüche eher auf Sitzdisco an. Statt es im Schaumbad auf der Tanzfläche einer Disco in ihrer Wahlheimat Ibiza ordentlich krachen und bei der Polonaise die Löcher aus dem Käse fliegen zu lassen, sitzt sie lieber auf dem Sofa in der VIP-Lounge und wachelt mit den Armen im Takt nach mehr Freizeitgetränken.

Zu Disco und House passen bekanntlich Gin und Tonic. Mit der Frage, ob die Drinks lieber mit Gurke oder Zitrone serviert werden sollen, hat man auch schon ein manchmal durchaus emotional gestaltetes Konversationsthema, das man am Tisch seinen 23 oder 24 besten Freunden und Freundinnen auf der Partyinsel zubrüllen kann.

Amtliche Bässe

Laut geht es auf Róisín Murphys neuem Album also schon zu. Hit Parade ist während der letzten Jahre im mittels Elektropost erfolgten Austausch mit dem recht wandlungsfähigen Hamburger Produzenten und Remixer DJ Koze entstanden. Zumindest die Bässe rumpeln demnach amtlich aus den Boxen.

Früher, zwischen 1995 und 2003, war Róisín Murphy Sängerin des musikalisch von Mark Brydon geleiteten Popduos Moloko. Mit sich oft erst nach einer gewissen Zeit erschließenden Hits wie Sing It Back oder The Time Is Now konnte man damals allerdings im Bereich einer avantgardistisch gedeuteten Popmusik mit leicht merkbaren Hooks sowie Feenstaub versprühenden Melodien tatsächlich auch in den Charts punkten. Seither arbeitet Murphy solo mit wechselnden Produzenten zusammen.

Stimmlich bietet die 50-Jährige zwischen besagtem Gollum, böser Hexe, unbedarfter Tussi und Alice im Wunderland ohnehin ein breites Spektrum. Die Mixtur aus Funk, House und immer wieder Böllerdisco wurde von Murphy zuletzt 2020 auf Roisin Machine in Richtung kräftiger Beats mit positiver Studienzugangsberechtigung und sperrigen Einschüben gedeutet.

Auf Hit Parade läuft mittlerweile die B-Seite des Albums. In Fader oder Free Will kann man sogar Songstrukturen erkennen, die man sich auch freiwillig zu Hause in der Hausmeisterpanier statt in der Ausgehschale in der Disco anhört.

Róisín Murphy

Can’t Replicate hätte so auch Giorgio Moroder vor einem halben Jahrhundert für Donna Summer produzieren können, wenn nicht I Feel Love den zwingenderen Drive gehabt hätte. Im kurzen Hörspiel Crazy Cats Reprise gibt Murphy die klischeehaft unterbelichtete US-amerikanische Hausfrau. Am musikalisch interessantesten ist der Abschlusssong Eureka geraten, der das Raum-Zeit-Gefüge tatsächlich mit Temposchwankungen etwas dehnt und an einen psychedelischen Drogennebel für ganz Eilige erinnert.

It’s Not Right But It’s Okay hat Whitney Houston 1998 gesungen. Im selben Jahr ist auch Sing It Back von Róisín Murphy erschienen. Nur falls wer fragt: seufz. (Christian Schachinger, 6.9.2023)