Aus der Studie "Neue Klasse" wird 2025 BMWs Erstling einer neuen Ära.
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Detroit im Jänner, Genf im Frühjahr, Frankfurt und Paris biennal alternierend im Herbst, kurz danach dann alle zwei Jahre noch Tokio: So war der Jahresrhythmus der weltbedeutenden Branchenmessen noch zur Jahrtausendwende getaktet. Dann mengte sich Seoul als Sitz der durchstartenden Autonation Südkorea hinzu und danach eh schon Peking und Schanghai.

Inzwischen rauschten die Alternativantriebs- und Elektronikrevolutionen über die Branche, die klassische Automesse lief sich tot, auch München als Nachfolger von Frankfurt läuft alles andere als rund – das einzige Land, in dem das alte Konzept noch gut, nämlich richtig gut funktioniert, ist China.

Naheliegend, den kleinen Rundgang mit den wichtigsten IAA-Neuheiten geografisch gesehen von West nach Ost abzuhandeln. Beginnen wir also mit Frankreich, dem westlichen Nachbarn des Austragungslandes und der neben Deutschland einzigen verbliebenen potenten Autonation in Europa, und enden in China.

Der Scénic ist Bestandteil der "Nouvelle Vague"-Neuheitenflut, mit der Renault in den nächsten Jahren punkten will. Mit 4,47 m Länge bleibt er halbwegs kompakt, und anders als bei vielen Elektroautos gibt es beim Kofferraumvolumen keine Abstriche.
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Peugeot und Citroën schwänzen, Renault aber nutzt die Bühne. Winziger Messestand, prominenterer innerstädtischer Auftritt am Odeonsplatz. Wichtigste Modellneuheit, naturellement: Scénic E-Tech Electric. Nach dem Mégane der zweite Renault auf gemeinsamer E-Plattform mit Nissan – was auch den mit dem Ariya identen Radstand (279 cm) erklärt. Für Renault-Markenchef Fabrice Cambolive ist der Neue "eine Einladung zum Reisen", wichtig wird sein, einen Teil der seit 1996 über 5,3 Millionen Scénic-Kunden mitzunehmen in die elektrische Ära. Immerhin: Anders als beim Espace vermittelt der Scénic noch einen Hauch von Verwandtschaft zu den Vorgängern. Fesch ist er geworden, beim Design zeigt er buchstäblich Kante, und mit 545 bis 1670 Liter Kofferraum toppt er den allerdings sechs Zentimeter kürzeren konventionell motorisierten Vorgänger (506 bis 1554), alles andere als selbstverständlich bei E-Mobilen.

Bei diesem Rafale handelt es sich um keinen französischen Kampfjet, sondern um die SUV-Coupé-Version des neuen Espace. Markante Kanten zeichnen Renaults neue Designlinie aus.
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Apropos: Den Fronttriebler gibt's mit zwei Batterien und in zwei Leistungsstufen: 60 und 87 kWh sowie 125 und 160 kW, zugehörige Reichweiten: 420 und 620 km. Kluge Idee am Rande: Das Panoramaglasdach lässt sich segmentweise verdunkeln oder erhellen. Und, wie Cambolive in München betonte: 24 Prozent der Gesamtmasse von 1842 kg entfallen bereits auf Rezyklate. Sonst noch zu sehen bei Renault: Rafale (SUV-Coupé-Version des Espace) sowie Kangoo mit langem Radstand.

Damit kommen wir zu den Hausherren aus Deutschland, alphabetisch sortiert. Vision Neue Klasse: Damit hat BMW (Innenstadt-Auftritt am Max-Joseph-Platz) einen echten Showstopper enthüllt. Heißt als Serienmodell womöglich i3 und leitet 2025 eine rasant getaktete Modellflut auf der eigens dafür kreierten E-Plattform ein. "30 Prozent mehr Reichweite, 30 Prozent schnelleres Laden, 25 Prozent mehr Effizienz" verspricht BMW – und dass man sich mit der Neuen Klasse quasi neu erfinde. Neue Klassiker braucht das Land, das weiß man spätestens, seit die weisen Schulbehörden Goethe, Schiller und Co entsorgt haben. Das Design zitiert vage die Historie, weist dabei zugleich in eine Zukunft ohne Schreckmomente wie derzeit häufig, Stichwort: Monsternieren. Technische Inhalte stehen noch aus, vage wird von 750 km Reichweite gemunkelt, die Leistung wird gewiss markengerecht dynamisch bereitgestellt.

Großer Messeauftritt auch für den neuen 5er, den es unter der Kennung i5 erstmals auch rein elektrisch gibt. Gute Nachricht: BMW hat das Kapitel "elegant" also doch noch drauf.
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Deutlich mehr weiß man vom neuen 5er, der auf Mischplattform-Basis auch elektrisch erhältlich ist: i5, ein weiteres Glanzlicht des IAA-Auftritts. Die 5,06 m lange, wohltuend elegant designte ökokorrekte Limousine kostet 69.950 (250 kW) bzw. 99.950 Euro (442 kW, Allrad), und der Akku reicht einmal für maximal 582, einmal für 516 km Reichweite.

Mini Cooper SE und der Countryman dritter Generation feiern Weltpremiere. Den Kleinen gibt's ausschließlich elektrisch, den Großen sowohl verbrennungsmotorisch als auch elektrisch – ganz wie den BMW X1, mit dem er sich die Plattform teilt.
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Auf dem Max-Joseph-Platz weiters zu sehen die beiden neuen Minis: Mini Cooper E und SE sowie Countryman, beide ab Frühjahr in Österreich. Der Dreitürer (135 kW: 40,7-kWh-Akku, 305 km Reichweite; 160 kW: 54,2-kWh-Akku, 402 km) tritt rein elektrisch auf, der SUV nach Muster BMW X1 sowohl verbrennungsmotorisch als auch rein elektrisch – da als Countryman SE all4 mit 230 kW und 433 km Reichweite. Der Countryman ist übrigens um 13 cm gewachsen und neuerdings 4,43 m lang.

Kommenden Sommer kommt mit dem Explorer der erste Ford auf VW-Elektroplattform MEB zu uns.
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Mit Ford begeben wir uns auf den Königsplatz und finden dort unter anderem: Explorer, Mustang Mach-E Rally, E-Tourneo Courier und F-150 Lightning (337 kW), allesamt vollelektrisch. Spannendster Neuzugang ist klarerweise der Explorer – erster Ford auf der MEB-Plattform von VW, und mit 4,46 m Länge liegt der E-SUV mit dem traditionsreichen Namen größenmäßig zwischen ID.3 und ID.4. Von drei Leistungsstufen und zwei Allradlern ist die Rede – 125, 210 und 250 kW – und von mutmaßlich bis zu 500 km Reichweite. Marktstart? Es wird wohl Sommer werden.

Abteilung Elektro-Hypercar, Teil 1: Vision One-Eleven. Die Flügeltürer-Studie interpretiert gekonnt den C 111 neu.
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Mercedes hat zwar auf der Messe nur einen mickrigen Stand, anders sieht es aber in den Residenzhöfen aus. Serienhighlight ist, analog zum 5er bei BMW, die neue E-Klasse, wobei es sogar ein Debüt gibt: E-Klasse All-Terrain, die rustikale Kombi-Version also. Für Publikumsinteresse sorgen aber speziell die beiden Studien: Concept CLA Class und Vision One-Eleven. Beim E-Supersportler handelt es sich um eine außerordentlich gelungene Hommage an das Experimentalfahrzeug C 111 aus den 1970ern, mit Flügeltüren wie weiland.

Concept CLA Class: Vorreiter einer neuen Modellfamilie, sagt Mercedes – auf einer neuen Elektro-Plattform.
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Von erheblicher Serienrelevanz ist hingegen die CLA Class – von diesem Konzeptfahrzeug lässt sich ein Hinweis auf die kommende elektrische C-Klasse sowie zugehörige Derivate ableiten. Design muss man mögen, aber das gilt ja überall. Technische Basis ist die modulare Architektur MMA, ausgelegt auf 800 Volt und Reichweiten über 750 Kilometer.

Das IAA-Highlight von Opel ist die gefällige Studie "Experimental". Auch sie zeigt viel Kante.
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Auf dem Odeonsplatz zeigt Opel den Elektro-Kombi Astra Sports Tourer Electric, mit 516 bis 1553 l Kofferraum und Technik à la 5-Türer (115 kW, 416 km Reichweite, ab Frühling 2024). Das Hauptinteresse weckt aber die Studie "Experimental", mit der der deutsche Stellantis-Ableger einen Blick in die Zukunft freigibt, vom Design bis zu technischen Inhalten.

Womit wir beim VW-Konzern wären. Auf der Messe ist so weit alles Relevante auf einem großen Stand vereint, in der Stadt im öffentlichen Raum – IAA-Jargon: Open Space – verteilen sich die Marken dann auf Wittelsbacher-Platz (Audi, Porsche), Residenzhöfe (Cupra) und Odeonsplatz (VW).

Zur Pressekonferenz betonte Konzernchef Oliver Blume erneut, der Hauptfokus des deutschen Unternehmens werde künftig auf China liegen, dem "größten und kompetitivsten Markt der Welt". Dazu werde das Engagement mit chinesischen Partnern ausgebaut, Stichwort: "In China für China", und der Konzern geht dabei sogar so weit, für dortige Fahrzeugmodelle Plattformen chinesischer Hersteller zuzukaufen. Da läuten bei vielen die Alarmglocken. In Anlehnung an Tesla und die oft beanstandete Behäbigkeit des Wolfsburger Riesen hieß es noch: "Wir gehen auf China-Tempo – und sind auf dem richtigen Kurs."

Der Audi Q6 e-tron Prototyp wird in Bälde zum Serienmodell, das es dann, wie inzwischen üblich, als normalen Elektro-SUV gibt und als SUV-Coupé.
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Die Markenwelt im Einzelnen. Bei Audi steht die Einführung der gemeinsam mit Porsche entwickelten PPE-Architektur (Premium Plattform Elektro) bekanntlich unmittelbar bevor, damit man sich was Konkretes vorstellen kann, haben sie den noch getarnten Q6 e-tron mitgebracht und uns ins fixundfertige Cockpit lugen lassen. Zu erwarten ist folglich ein E-SUV der Größenordnung Viermeter­achtzigplusminus, das Serienmodell startet im astronomischen Frühjahr 2024, entsprechend stehen die Preise noch in den Sternen.

Seat- und Cupra-Chef Wayne Griffiths präsentiert den Cupra Dark Rebel. Eine radikale Elektro-Studie ohne Aussicht auf Serienreife – soll vorwiegend das Image der noch jungen Automarke anschärfen.
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Cupra rückt einerseits den Tavascan ins Rampenlicht – erster Elektro-SUV der Marke, erstes VW-Konzernauto, das nur in China gefertigt wird –, holt andererseits den Dark Rebel aus der Welt der Computerspiele ins echte Leben. Teufel aber auch, der ist scharf wie Rasierklinge. Verwegenes Hackebeildesign, interessantes Shooting-Brake-Konzept und natürlich nur eine: Studie – die allerdings aufzeigt, wie weit Cupra gehen könnte.

Abteilung Elektro-Hypercar, Teil 2: Porsche Mission X. Anders als der Vision One-Eleven setzt der Zuffenhausener auf Schmetterlingstüren, und anders als beim Mercedes sind die Aussichten auf Serienfertigung durchaus realistisch.
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Kommen wir zu Porsche. Schmetterlingstüren geben den Einstieg in den Elektro-Supersportwagen Mission X frei, ein atemberaubendes Gerät, mit dem die sich da zum 75. Geburtstag beschenken. Noch steht die Serienfreigabe offiziell aus, man darf aber getrost davon ausgehen, dass das was wird – wozu sonst hätten die Zuffenhausener die Hauptkriterien des Lastenhefts schon kommuniziert. Sie lauten: schnellstes straßenzugelassenes Auto auf der Nordschleife, rund ein Kilogramm Leistungsgewicht pro PS, deutlich mehr Abtrieb als der 911 GT3 RS und doppelt so schnelles Laden wie im Taycan Turbo S. Beim Design schwingt ein wenig 918 Spyder (2013) mit, soll kein Schaden sein, und wie viel von der Technik Eigenentwicklung ist und was sich Porsche von der Beteiligung bei Rimac abschaut, wird wohl niemand je erfahren.

Ein bisschen Retro und recht viel Zukunft: VWs ID GTI Concept ist eine der sympathischsten Studien der IAA, sie weist auf das kommende kleinere E-Mobil der Marke hin.
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Bei VW zeichnet sich eine Designwende ab, erste Fingerübung des neuen Chefstilisten Andreas Mindt ist die knackige Studie ID GTI Concept. So in etwa wird man sich dann den für Ende 2025 avisierten kleinen ID vorstellen dürfen, für den der Einstiegspreis von 25.000 Euro weiterhin offizielle Gültigkeit hat. Der noch camouflierte Tiguan lässt bereits die Konturen der Neuauflage erahnen, wichtigstes Serienmodell auf der IAA ist aber der neue Passat, den es – anders als den neuen Škoda Superb – nur mehr als Variant geben wird.

Und das hier ist der neue Passat. Wächst auf knapp fünf Meter Länge und kommt nur noch als Kombi, der bei VW Variant heißt.
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Der Regenschirm in der Tür verrät es schon: Den Hauptteil der Entwicklung wird Škoda gestemmt haben, auch die Abmessungen entsprechen bestimmt weitgehend der Superb-Neuauflage. Der auf 4,92 m Länge gewachsene, enorm geräumige Kombi schluckt 690 (40 Liter mehr als zuletzt) bis 1920 Liter Gepäck, und im Antriebskapitel sind drei Diesel (90, 110, 142 kW), ein 48-Volt-Mildhybrid (110 kW) und zwei Plug-in-Hybride (150 und 200 kW) gemeldet – mit jetzt circa 100 km E-Reichweite dank neuer 19,7-kWh-Batterie.

Weil alle immer nach Elektro-Kombis rufen: Der ID.7 kommt 2024 zunächst als Fließheck-Limousine in den Handel, im Herbst folgt dann der Kombi. Wird also vielseitiger als der Passat, von dem auch die rustikale Alltrack-Version entfallen wird.
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Die E-Version des Passat steht auf MEB-Plattform, heißt ID.7 und startet, wie jener (und auch der Tiguan), im ersten Quartal '24 mit einem Ab-Preis von unter 60.000 Euro, der Kombi folgt im Herbst.

Mit dem Cyberster bringt MG bald einen echten Aufreger in Stellung. Der Elektro-Roadster aus Fernost wird dann das Image-Aushängeschild der China-Marke, das auf die britische Vorgeschichte Bezug nimmt.
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Damit noch rasch ein Blick auf die Hersteller aus China. Doppelt so viele Fernost-Autobauer wie 2021 haben gemeldet, darunter die Forthing, Leapmotor (Xpeng), SAIC und Seres. Für Österreich relevant sind BYD und MG, und wenn wir es von hinten aufziehen: In kürzester Zeit hat MG sich als Volumenmarke etabliert, liegt heuer bereits bei 1,1 Prozent Marktanteil, bis Ende August wurden 2.782 Autos verkauft. Der MG4 ist bereits da und gut verfügbar, aber in etwa einem Jahr folgt ein richtig prestigeträchtiges Modell, der Elektro-Roadster Cyberster, ein richtiger Hingucker. BYD entwickelt sich ebenfalls rasant, der IAA-Debütant Seal U fährt bereits Anfang 2024 in Österreich vor. Und mit dessen Eckdaten – 4,79 m lang, 570 bis 1.449 l Kofferraum, Frontantrieb, 160 kW und bis zu 500 km Reichweite – verabschieden wir uns von der IAA 2023.

Und der Seal U (vorne) schließlich ist der SUV zur gleichnamigen Limousine (hinten). Der Fronttriebler erweitert in wenigen Monaten das rasant wachsende Portfolio von BYD.
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