1978 hoppelte der Golf Rabbit in Österreich los – und wurde sogleich zum Absatzturbo.
Andreas Stockinger

"'Ihr könnt doch nicht das Auto einfach umbenennen – das geht einfach nicht!' Der empörte Anruf kam vom Regionalleiter von VW in Wolfsburg, als er das mitbekommen hat", schildert Hermann Becker, was sich vor 45 Jahren ereignete. Die Rede ist vom Rabbit-Coup, mit dem Porsche Austria das seltene Kunststück gelang, aus einem Mangel Begehrlichkeit zu schaffen – Grundstein für 40 Jahre in Folge Marktführerschaft des Golfs in Österreich. Die Zeiten sind vorbei, die Mobilitätswende wirbelt alles durcheinander.

Wir sitzen in Ernst Piëchs Museum fahr(T)raum in Mattsee, kurz davor bin ich bei Herrn Becker daheim reingeschneit, thematisch passend mit dem Rabbit Golf VIII, und habe ihn ans Steuer gebeten. Gemeinsam sind wir nach Mattsee rübergefahren, wo ich ihn zunächst zum Eindruck der aktuellsten Ausgabe "seiner" Erfindung, dazu gleich mehr, befrage.

Einst und jetzt

Das habe natürlich mit dem Rabbit von 1978 nichts mehr zu tun, im Vergleich dazu sei das hier ein Luxusfahrzeug. In der Tat: elektrische Außenspiegelverstellung und Fensterheber, Lenkrad höhen- und tiefenverstellbar, Klimaanlage (deren leidige Touch-Bedienung ist ein anderes Kapitel), Sitzpositionsspeicher, zahllose Sicherheitsassistenten, automatische Handbremse, verschiebbare, höhenverstellbare Mittelarmlehne. Sachen wie Lenkradheizung oder induktive Handy-Ladezone waren weiland noch nicht mal in der Luxusklasse vorstellbar, und das Navigationssystem war noch analog, in Form von Straßenkarten und -atlanten (funktioniert aber angeblich noch heute, ganz ohne Software-Update). Allerdings sind für diesen Rabbit 25.990 Euro hinzublättern.

Auch der aktuelle Rabbit soll den Golf-Absatz ankurbeln. Die einstige Marktposition wird er aber nie mehr erreichen, Hauptgründe: SUV-Boom, Angebotssegmentierung, Mobilitätswende.
Foto: Stockinger

"6-Gang-Schaltung, Einliter-Turbo-Dreizylinder, 110 PS, 6,2 l / 100 km Testverbrauch – ein erster Eindruck?", fahre ich in der Befragung fort. Herr Becker räuspert sich kurz: "Der Motor schnurrt wie ein Kätzchen, läuft fantastisch. Ein Auto mit einem Komfort und in einer Qualität, die man früher der Oberklasse zugeordnet hätte." Nun ja, hier spricht ein VW-Urgestein. Ich für meinen Teil bin kein Freund des VW-Dreizylinders. Stimmt schon, er passt nicht übel zum Golf, aber der 1,5-Liter-Vierzylinder ist ein ganz anderes Kaliber, und damit sind wir schon im Antriebskapitel, jenem Punkt, der 1978 zum Rabbit führte.

Alles begann "mit einer Katastrophe". Becker war damals seit zwei Jahren Produktmanager bei Porsche Austria, vor seiner Demissionierung 25 Jahre Leiter der Öffentlichkeitsarbeit, er galt als Doyen dieser Zunft. "Es gab beim Golf damals zwei Motoren: einen mit 50 und einen mit 70 PS. Der mit Abstand gefragteste war der mit 70. Eines Tages erreicht uns die Information aus Wolfsburg, dass der 70-PS-Motor ein halbes Jahr nicht lieferbar sei. Hintergrund war ein Liefervertrag mit Chrysler über 30.000 Motoren, bei dessen Nichteinhaltung ein Pönale fällig geworden wäre."

Hermann Becker und der aktuelle Rabbit vor dem grandiosen Museum fahr(T)raum in Mattsee.
Foto: Stockinger

VW wollte als Ersatz den 1,3-Liter-60-PS-Motor liefern. Problem: "Der passte schlecht in die heimische Steuerklassifizierung und lag auch versicherungsseitig ungünstig." Jedenfalls und wie gesagt: Katastrophe, es ging ja richtig um Stückzahlen, im Neuzulassungsgesamtmarkt 1978 (158.279 Stück) belegte der Golf mit 14.864 Einheiten klar die Spitzenposition. Gemeinsam mit Wolf-Dieter Hellmaier, damals zuständig für den Fahrzeugimport und zuletzt langjähriger Geschäftsführer von Porsche Austria bzw. der Porsche Holding, eilten sie rüber zum Chef, Gerhard Schneider-Manns Au. Dessen Reaktion: "Überlegt euch was. Morgen in der Früh möchte ich die Lösung haben."

Was tun? Beim gemeinsamen Nachdenken am Abend hatte Hellmaier den richtigen Einfall – in den USA heiße der Golf Rabbit, warum nicht den 60-PS-Golf so nennen? "Ich wusste sofort: Das ist es! Im Nu hatte ich die Kampagne gescribbelt, ganz reduziert, nur mit Hase, VW-Logo und Rabbit-Schriftzug (mit rascher Hand wirft er während der Schilderung im fahr(T)raum das Gemeinte auf ein Blatt Papier, siehe Bild unten). Am nächsten Morgen ging ich gleich mit diesem Entwurf zu unserer Grafikerin, Monika Marchl. In einer Stunde hatte sie alles fertig. Und um neun Uhr früh, als der Schneider-Manns Au ins Büro kam, hatten wir eine fix-und-fertige Kampagne – für die bekam Frau Marchl dann den Staatspreis Werbung –, und der Chef sagte nur: "Macht es."

Rapid? Rabatt?

Damals sprach man in Österreich noch Deutsch, in der Händlerschaft regte sich Widerstand. "Die haben gefragt: Rapid? Rabatt? Was soll das?", doch als die Kampagne einschlug wie eine Bombe, war die Sache vom Tisch. So lief der Hase also. Kaninchenbau, Alice im Wunderland – Becker: "Dass ein Gedanke, aus einer Not geboren, zu so einem Erfolg führen würde, hatten wir uns damals nicht erwartet. Vielleicht haben wir aber auch die Schwachstellen des 60-PS-Golfs überschätzt."

Rabbit-Skizze, von Hermann Becker beim Gespräch rasch hingeworfen. Viel anders wird das damals nicht ausgesehen haben, Grafikerin Monika Marchl bastelte daraus seinerzeit in kürzester Zeit eine komplette Werbekampagne.
Foto: Stockinger

Die sofortige Akzeptanz und die von der Kampagne ausgelöste Sympathiewelle machte den Rabbit zum Verkaufshit, der von Wolfsburg gestützte günstige Preis und die gute Ausstattung waren zusätzlich förderlich, und seither nutzt man in Österreich das Markenzeichen Rabbit in der zweiten Lebenshälfte einer Golf-Generation zur Stabilisierung der Absatzkurve. Beispiel: "Beim Auslauf des Golf III (Anm.: 1991 bis 1997) erzielten wir die höchsten Marktanteile aller Zeiten. Bei allen anderen Ländern in Europa sackte da der Marktanteil schon massiv ab."

Vorlage für Witzbolde

Die Sache mit dem Tierchen rief prompt Witzbolde auf den Plan, bald waren statt eines Karnickels zwei aufeinander zu sehen, dazu der Schriftzug "Injection" (Einspritzung). Dass für Israel ein Sondermodell "Rabbi" geplant gewesen sein sollte, hält Becker (lachend) für einen Schmäh, dass es 1978 zu jedem Rabbit ein Becker-Autoradio gratis dazugab, entbehrt jeder Grundlage, und die Sache mit dem weißen Iltis erzählen wir Ihnen ein andermal.

Und heute? Ist der Golf weit entfernt von der einstigen Marktposition, selbst innerhalb der VW-Palette, daran wird auch der jüngste Rabbit nichts ändern. Allerdings: Einen Rabbit-Impuls könnte auch der ID.3 gut brauchen. (Andreas Stockinger, 9.9.2023)