Ein Video der Freiheitlichen Jugend sorgt seit Tagen für scharfe Kritik. Von "Faschisierung" ist die Rede, von Anklängen an die NS-Ästhetik und rechtsextremer Ideologie. Tatsächlich wird darin wenig ausgelassen. Bücher von rechtsextremen Ideologen werden beworben, Bilder von rechtsextremen Ikonen eingeblendet sowie Journalisten und Wissenschafterinnen und Wissenschafter als Gegner markiert. Selbst der ÖVP fiel auf, dass sich die Freiheitliche Jugend nicht mehr vom "Auftreten der Identitären" unterscheide, wie Generalsekretär Christian Stocker in einer Aussendung schrieb.

Haijawi-Pirchner blickt bei einer Pressekonferenz auf ein Foto eines Waffenfundes bei Rechtsextremen im Hintergrund
DSN-Chef Omar Haijawi-Pirchner stellt jahrzehntealte politische Gepflogenheiten auf den Kopf. Das Foto zeigt ihn bei einer Pressekonferenz im Juni.
Foto: APA / Alex Halada

Das alles stört FPÖ-Parteichef Herbert Kickl nicht, im Gegenteil. Das Video sei "großartig", die Kritik "eine Pseudoaufregung" und "heuchlerische Doppelmoral", wie er Boulevardmedien sagte. Für ihn sei der "eigentliche Skandal" nicht das Video, sondern die Aktivierung des Verfassungsschutzes.

Screenshot einer Szene aus dem FPÖ-Video
Das Video der Freiheitlichen Jugend.
Screenshot: FPÖ.TV

Er spricht in einem Interview mit "Oe24" vom "tiefen Staat", wo der Verfassungsschutz politisch instrumentalisiert werde. Im Zuge einer Pressekonferenz richtete die freiheitliche Klubobmannstellvertreterin Susanne Fürst dem Verfassungsschutz aus, er soll sich gefälligst aus der Tagespolitik heraushalten und dürfe "im polit-medialen Alltag keine Schlagzeilen produzieren". Bei dem Termin ging es um angebliche "linksextreme Netzwerke". Fürst verteidigte das Video der Freiheitlichen Jugend und den Begriff "Bevölkerungsaustausch" – die zentrale Verschwörungserzählung der Identitären.

Staatsschutz wurde aktiv

Tatsächlich ist der Verfassungsschutz, die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), aktiv geworden und hat Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Wien erstattet. Es geht um den Verdacht auf Verstoß gegen das Strafgesetzbuch und das NS-Verbotsgesetz.

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) wollte in einem Interview mit der Nachrichtenagentur APA nicht sagen, ob er die Freiheitliche Jugend als "rechtsextrem" eingestuft hat. Er vertraue hier voll und ganz der Expertise und den Erhebungen des Staatsschutzes, lautete die vorsichtige Antwort des Ministers.

Haijawi-Pirchner bei einer Pressekonferenz
Der Leiter der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) Omar Haijawi-Pirchner bei einer Pressekonferenz. Er ist ein Feindbild der rechtsextremen Szene.
Foto: APA / Alex Halada

Bruch mit Gepflogenheiten

Dass der Verfassungsschutz Erhebungen und Anzeigen gegen die FPÖ-Jugend durchführt, ist etwas Neues und stellt jahrzehntealte politische Gepflogenheiten auf den Kopf. Bisher waren die im Parlament vertretenen Parteien für den Staatsschutz tabu. Die Freiheitlichen gehören seit dem Jahr 1956 zur politischen Landschaft in Österreich, ungeachtet dessen, dass sie von ehemaligen Nationalsozialisten und SS-Männern gegründet worden waren und sogenannte Einzelfälle augenscheinlich zur DNA der Partei gehören. Die ÖVP regiert aktuell in drei Bundesländern mit den Freiheitlichen, selbst Funktionäre der SPÖ tun sich schwer, die Freiheitlichen als "rechtsextrem" zu bezeichnen. Seitens der DSN heißt es dazu: "Wir agieren nicht politisch", sondern im Rahmen von Gesetzen.

Deklarierte Freiheitliche

Als im Jahr 2007 Fotos auftauchen, die den damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache in jüngeren Jahren bei Wehrsportübungen im Neonazi-Milieu zeigen, sprach der damalige SPÖ-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer von einer "Jugendtorheit". Damit beendete er mehr oder weniger die Diskussion. Später tauchten weitere Informationen über Straches Jugendzeit in der rechtsextremen Szene auf, die wieder an ihm abprallten.

In den Reihen der Polizei, des Bundesheeres und im Verfassungsschutz sind deklarierte Freiheitliche zu finden. Das macht die "Erhebungen" gegen die Freiheitliche Jugend brisant. Das ist auch in der DSN ein Thema.

Schwierige Nähe

Schon bisher aber zogen Freiheitliche immer wieder die Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes auf sich. Etwa wenn sie bei Veranstaltungen oder Demonstrationen von Rechtsextremen auftauchten. In seinem kürzlich erschienenen Buch "Überraschungsangriff" schreibt der ehemalige Verfassungsschutzchef Peter Gridling, dass es ihn und seine Beamten und Beamtinnen nicht wunderte, als Kickl "im Oktober 2016 am Kongress der 'Verteidiger Europas' als Festredner auftrat". Einer Veranstaltung, "die hauptsächlich von Teilnehmern aus rechtsradikalen und rechtsextremistischen, aber auch von prorussischen Szenen besucht wurde". Für Gridling war "insbesondere Kickls Nähe zu den Identitären" schwierig. So bezeichnete Kickl "die Identitären als eine NGO von rechts". "Eine Einschätzung, die wir nicht teilen konnten", schreibt Gridling.

Kickl (links) blickt zu Gridling (rechts)
Herbert Kickl und der ehemalige Verfassungsschutzchef Peter Gridling bei einer gemeinsamen Pressekonferenz im Jahr 2018. Heute warnt Gridling.
Foto: Reuters

Tatsächlich werden die Identitären seit über einem Jahrzehnt vom Verfassungsschutz überwacht und in den jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnt. Auch in jenem, als Kickl Innenminister war. Aktivisten und Aktivistinnen der rechtsextremen Gruppe begehen Straftaten, bei ihren Demonstrationen und Veranstaltungen tauchten Personen aus dem militanten Neonazi-Milieu auf. Rechtsterroristen, darunter jener Mann, der im Jahr 2019 im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen ermordete, spendeten ihnen Geld. Ebenso jener Terrorist, der 2019 den CDU-Politiker Walter Lübcke erschoss.

Abwehramt schleuste Spitzel ein

Das Abwehramt des Bundesheeres hatte im Jahr 2018 mindestens einen Informanten bei den Identitären eingeschleust. "Sandro", so der Deckname der Quelle, lieferte dem Bundesheernachrichtendienst "sehr gute Informationen", wie aus einem nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Bericht des Verteidigungsministeriums hervorgeht. Heute will das Bundesheer keine Identitären als Soldaten.

Die Identitären zählen zur sogenannten Neuen Rechten. Vereinfacht stehen sie für einen (aktivistischen) Rechtsextremismus ohne Hakenkreuz, der größtenteils kompatibel mit dem NS-Verbotsgesetz ist. In Österreich traten die Identitären in Erscheinung, nachdem zuvor die Sicherheitsbehörden gegen die militante Neonaziszene vorgegangen waren. Ihr Wortführer, Martin Sellner, kommt aus diesem Milieu. Zu ihrem Markenzeichen gehört die Verschwörungserzählung von einem angeblichen "Großen (Bevölkerungs-)Austausch", der nach einem geheimen Plan durchgeführt werde. Es ist eine Erzählung, die auch vom Attentäter von Christchurch aufgegriffen wurde, ebenso von der Freiheitlichen Jugend. Diese hat sogar eine Website mit diesem Titel gestartet; deren Inhalte halten keinem Faktencheck stand.

Geistige Brandstifter

In Deutschland werden Personen und Organisationen der Neuen Rechten vom Verfassungsschutz überwacht, da sie "geistige Brandstifter" seien, die "den Boden für Gewalt bereiten".

Vom Verfassungsschutz wird auch die AfD-Jugend überwacht. Die AfD selbst gilt als rechtsextremer Verdachtsfall. Aus einem 2019 von Netzpolitik.org geleakten Gutachten geht hervor, dass der deutsche Verfassungsschutz Anhaltspunkte dafür sieht, dass die AfD verfassungsfeindlich ist.

In dem Gutachten werden auch Kontakte zu österreichischen Identitären angeführt. Sellner wird in dem Papier gleich zehnmal erwähnt. So ist etwa zu lesen: "Auch die 'Identitäre Bewegung Österreich' und deren führender Vertreter Martin Sellner werden durch das Teilen und Verfassen von Beiträgen durch AfD-Mitglieder unterstützt."

Unterlagen des Landesamtes für Verfassungsschutz Niederösterreich.
Screenshot: Sulzbacher

Der österreichische Verfassungsschutz überwacht offiziell Klimaaktivistinnen und -aktivisten. Da weder das Herbeiführen von Verkehrsstaus noch die Forderung nach Tempo 100 auf Autobahnen Gefährdungen für den Staat darstellen, werden dafür immer wieder Kontakte in die "linksextreme Szene" ins Treffen geführt. Folgt man diesem Argumentationsmuster, könnte auch gleich die FPÖ überwacht werden. (Markus Sulzbacher, 14.9.2023)