Mit dem neuen ORF-Beitrag von allen hat die Bundesregierung die Finanzierungsvariante mit der "größtmöglichen Unzufriedenheit" gewählt, sagt Niki Haas. Den Medienanwalt hat die FPÖ ins oberste ORF-Gremium, den Stiftungsrat, entsandt. Wie FPÖ-Chef Herbert Kickl plädiert Haas im STANDARD-Interview für eine Budgetfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Medienhauses: einen ORF, auf "Kernaufgaben" reduziert. Die aktuelle Regierung habe es verabsäumt, die Aufgaben des ORF neu zu definieren, bevor sie in diesem Sommer eine neue Finanzierung beschloss.

ORF-Auge-Logo vor ORF-Zentrum
"Größtmögliche Unzufriedenheit" mit dem ORF-Beitrag sieht FPÖ-Stiftungsrat Niki Haas.
APA Eva Manhart

"Mit ORF-Finanzierung große Chance verpasst"

STANDARD: Sie sind von der FPÖ in den Stiftungsrat entsandt, die den ORF-Beitrag strikt ablehnt. Wie sehen Sie die neue ORF-Finanzierung ab 2024?

Haas: Konkret wurde ich von der FPÖ vorgeschlagen und von der Bundesregierung mit Beschluss bestellt, aber man kann so sagen, ich sei von der FPÖ entsandt worden. Im Zusammenhang mit der neuen ORF-Finanzierung haben die politischen Entscheidungsträger meines Erachtens eine große Chance verpasst.

STANDARD: Nämlich?

Haas: Sinnvoll wäre gewesen, umgehend nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom Sommer 2022 eine breite Diskussion zu einer Neubestimmung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu beginnen. Es hätte definiert werden müssen, welche Aufgaben der öffentlich-rechtliche Rundfunk heute zu erfüllen hat und in welchem Umfang und in welcher Form dieser aufgestellt sein sollte.

STANDARD: Welche Aufgaben sind das?

Haas: Ein Blick über die Grenzen wäre angebracht gewesen und hätte gezeigt, dass in vielen europäischen Staaten die öffentlich-rechtlichen Medienunternehmen sich immer mehr auf die Kernaufgaben konzentrieren und darauf fokussiert ausgestaltet werden. Dies wäre meines Erachtens auch für Österreich der richtige Weg. Ein kompakter, gezielt auf die öffentlich-rechtliche Kernkompetenz fokussierter ORF. Nach der politischen Diskussion hätte man eine große ORF-Gesetzesreform in Angriff nehmen können, um genau diese Punkte umzusetzen.

ORF-Stiftungsrat Niki Haas
ORF "auf Kernaufgaben konzentrieren", schlägt der freiheitliche ORF-Stiftungsrat und Anwalt Niki Haas vor.
privat

STANDARD: Für welche Aufgaben braucht es aus Ihrer Sicht also öffentlich-rechtlichen Rundfunk?

Haas: Die Aufgabe öffentlich-rechtlichen Rundfunks oder öffentlich-rechtlicher Medien allgemein hat sich in den letzten Jahrzehnten massiv gewandelt. Anfänglich war dieses System für das staatliche Rundfunkmonopol konzipiert. Nach der Rundfunkliberalisierung und Einführung des dualen Systems, seitdem es also neben dem staatlichen Rundfunk auch private Rundfunkveranstalter gibt, hätten die relevanten Regelungen viel stärker an das neue System angepasst werden müssen. Öffentlich-rechtliche Medien sollen vor allem identitätsstiftend wirken. Die Kernaufgaben sind einerseits die unabhängige und objektive Information, um dem Publikum möglichst sachlich die relevanten nationalen und internationalen Nachrichten und sonstigen aktuellen Themen näherzubringen. Weiters soll dem Publikum auch Sport, Kultur und Unterhaltung geboten werden – mit einem starken Österreich-Fokus.

STANDARD: Worauf sollte der öffentlich-rechtliche Rundfunk verzichten?

Haas: Wie viele andere Gebühren- und bald Abgabenzahler sehe ich nicht ein, weshalb jahrzehntealte US-Serien vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk übertragen werden sollen. Zudem gilt es auch zu hinterfragen, ob zum Beispiel sehr teure Unterhaltungsshows und andere überteuerte Produktionen sowie Luxusgagen für manche Mitarbeiter, die häufig als "Stars" geführt werden, in Zeiten der notwendigen Sparmaßnahmen sowohl im Staat als auch in der Bevölkerung noch ins System passen. In ganz Europa wird bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkunternehmen über Verschlankung und Fokussierung auf die wesentlichen Aufgaben diskutiert. Auch in Österreich wird man sich dieser Diskussion nicht entziehen können, weil es schlicht ein Thema der Zeit ist, dem man sich stellen muss.

"Zurzeit scheint es ja, als würden alle die von der Bundesregierung gewählte Finanzierungsform massiv kritisieren – die Mitbewerber genauso wie viele Bürger und Unternehmer."

STANDARD: Eine Reduktion des ORF-Angebots würde die Akzeptanz des ORF und seiner öffentlichen Finanzierung verbessern?

Haas: Der ORF hätte die Kritik, die ein relevanter Teil der Bevölkerung aus verschiedenen Gründen hegt, ernster nehmen und vorab darauf reagieren müssen. Erst hätte wieder eine höhere Zustimmung des Publikums gewonnen werden müssen, im Anschluss daran wäre wohl auch eine neue Finanzierungsform positiver angenommen worden. Zurzeit scheint es ja, als würden alle die von der Bundesregierung gewählte Finanzierungsform massiv kritisieren – die Mitbewerber genauso wie viele Bürger und Unternehmer. Aufgrund der breiten Ablehnung besteht aus Unternehmenssicht natürlich die Gefahr, dass es bald zu einer anderen gesetzlichen Regelung der Finanzierung kommen könnte, was wieder zu Umstellungen führen würde. Mit der jetzigen Regelung hat die Bundesregierung wohl die Variante gewählt, welche die größte Unzufriedenheit hervorruft.

STANDARD: Ab 2024 kommt eine Haushaltsabgabe namens ORF-Beitrag, eingehoben unabhängig von Empfang und Empfangsgeräten für jeden Hauptwohnsitz und jedes Unternehmen. Welche Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Österreich wäre aus Ihrer Sicht angebracht – wenn es ihn geben soll?

Haas: Ich hätte eine Finanzierung aus dem Bundesbudget als beste Lösung erachtet. So käme es automatisch zu einer sozialen Staffelung – wer mehr Steuern zahlt, trägt zugleich auch einen größeren Teil zur Finanzierung bei. Die Haushaltsabgabe ist hingegen nicht sozial gerecht. Mit der kommenden Regelung muss die alleinerziehende Supermarktkassiererin gleich viel zahlen wie der wohlhabende Bankdirektor. Dieser Umstand wurde von der Bundesregierung gar nicht bedacht oder verdrängt.

"Einfluss der Regierung zumindest verringert"

STANDARD: Am Konzept der Budgetfinanzierung für öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird kritisiert, dass diese potenziell zu höherer Abhängigkeit von der (Regierungs-)Politik führen würde. Der ORF-Chef müsste womöglich Jahr für Jahr zur Regierung oder zum Finanzminister pilgern und sie um Geld ersuchen – und Regierungen haben immer Wünsche an Medien und ihre Berichterstattung. Wie sehen Sie das?

Haas: In den Staaten, in denen diese Finanzierungsform gewählt wurde, funktioniert sie sehr gut – ich hätte zum Beispiel nicht gehört, dass die Niederlande mittlerweile zur Diktatur geworden wären oder, vielleicht etwas weniger plakativ formuliert, besondere Defizite im Zusammenhang mit der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung hätten. Wenn beispielsweise eine Finanzierung für längere Perioden beschlossen würde, könnte dadurch der Einfluss einer Bundesregierung zumindest verringert werden. Letztlich können die politischen Entscheider die Regelungen der Finanzierung mit einer entsprechenden Mehrheit im Nationalrat immer abändern. Das ist schließlich die Abbildung des Willens der Wähler in einem demokratischen System, die das Medium auch größtenteils finanzieren. Die Wähler haben in einer Demokratie das Recht, über die Ausformung und Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Medien zu bestimmen.

STANDARD: Sie sind seit mehr als einem Jahr Mitglied des Stiftungsrats. Haben Sie den Eindruck, dass dieses Gremium und seine Mitglieder unabhängig von (partei)politischen und wirtschaftlichen Interessen und Wünschen agieren, wie es ein Verfassungsgesetz und das ORF-Gesetz verlangen? Der Verfassungsgerichtshof prüft ja gerade Politik- und Regierungseinfluss auf die ORF-Gremien.

Haas: Wie die Entscheidungen bei meinen Stiftungsratskollegen zustande kommen, weiß ich nicht. Ich stimme immer nach meiner Überzeugung ab, welche Entscheidung für das – vor allem langfristige – Wohl des Unternehmens die beste ist. Ich suche zu den relevanten Themen das Gespräch mit Mitarbeitern aus dem Unternehmen, aber auch mit anderen kompetenten Personen und Insidern. (Harald Fidler, 8.9.2023)