Glosse Choreographie Holzinger Harfe
Musste sich für ein stummes Ensemblemitglied besonders ins Zeug legen: Florentina Holzinger, glückliche Bahnkundin im Norden Deutschlands.

Die Deutschen Bundesbahnen, jeder Zugreisende weiß es, pfeifen aus dem letzten, rußgeschwärzten Loch. Über jeden ICE, der trotz Schrottreife doch noch losrollt, freut man sich wie eine Schneekönigin. So auch Starchoreografin Florentina Holzinger. Österreichs heiß gehandelter Theaterstar reiste kürzlich, nach glücklicher Beendigung eines Gastspiels in Hamburg, zurück nach Berlin. Die Reisegesellschaft umfasste laut Erlebnisbericht in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit 17 Mitwirkende: Holzinger selbst, 15 Performerinnen sowie eine elektrische Harfe.

Die Harfe – sie misst rund eineinhalb Meter Höhe – war mit jedem Zoll keine Schwarzfahrerin. Brav hatten ihre Mitstreiterinnen für sie eine Fahrkarte gelöst, einen Sitzplatz reserviert. Harfen gelten als unhandlich. Sie sind wegen jeder Zugluft verstimmt. Da, als Fahrgast im Abteil, erregte Holzingers Harfe umgehend den Unwillen des Schaffners. Die straff Bespannte müsse runter vom Sitz, aber dalli! Das DBB-Organ erwies sich gegenüber Erklärungsversuchen als unzugänglich. Eine Unzahl von Bahngästen ohne Sitzplatzreservierung stehe sich die Füße in den Bauch.

Zum Kondukteur gesellte sich, wie Holzinger der Zeit des weiteren mitteilte, alsbald eine handverlesene Schar schwer bewaffneter Bundespolizeibeamten. Der ICE war zu diesem Zeitpunkt außerplanmäßig in Uelzen zum Stehen gekommen.

Gezückte Handys

Die Choreografin nahm ihre Schutzfunktion wahr. In ihrem Ensemble befinden sich Vulnerable, Personen mit besonderen Bedürfnissen. Handys wurden zur Dokumentation der Amtshandlung gezückt, erregte Worte gewechselt, ein Handyaufnahme musste wieder gelöscht werden. Ein Mitreisender äußerte die moralphilosophisch schwerwiegenden Worte: "Wer ist hier wichtiger: ein Mensch oder eine Harfe?" Die solcherart Angesprochene schwieg zu alledem hartnäckig. Harfen sind hochmütig.

Nach 45 aufreibenden Minuten verließ der überfüllte ICE 1707 wieder die Hansestadt Uelzen. Der Zorn aller war unterdessen abgeflaut. Die Harfe war wohlauf geblieben. Holzinger probt in Berlin gerade eine Performance mit dem Titel Schrottetüde. Dem Vernehmen nach handelt es sich bei dem Werk um ein Ballett für ICE-Zuggarnitur und elektrische Harfe. Letztere möchte endlich ihr Schweigen brechen. (Ronald Pohl, 7.9.2023)