STANDARD-Sommergespräch im Volksgarten: Petar Rosandić alias Kid Pex und Außenminister Alexander Schallenberg.
STANDARD-Sommergespräch im Volksgarten: Petar Rosandić alias Kid Pex und Außenminister Alexander Schallenberg.
STANDARD / Regine Hendrich

Regenwolken standen über der Meierei im Wiener Volksgarten, als Petar Rosandić und Außenminister Alexander Schallenberg einander begrüßten. Schönwettergespräch war ohnehin keines zu erwarten zwischen dem ÖVP-Politiker und dem Obmann von SOS-Balkanroute, der seine Anklagen als Rapper Kid Pex mitunter in deftige Texten verpackt. Auf zwei Dinge konnten sich die Herren aber einigen: auf ihre Leidenschaft fürs Diskutieren und darauf, dass man mit Freude an dem, was man tut, viel erreichen kann. Zum Schluss gab es noch zwei Bücher als Geschenke von Rosandić an Schallenberg: "Das Fluchtparadox" von Judith Kohlenberger und "Fratelli tutti" von Papst Franziskus.

STANDARD: Herr Schallenberg, mögen Sie Rap?

Schallenberg: Es ist nicht ganz meines. Hip-Hop ja, Eminem ja. Es kommt auch immer auf das Lied an. Bitte nicht persönlich nehmen, aber ich wechsle gern zwischen den Musikrichtungen, je nach Tagesverfassung und Laune.

STANDARD: Herr Rosandić, im Rap wird der Zorn über Missstände auf dieser Welt deutlich. Muss man Missstände überzeichnen um Denkgrenzen verschieben zu können?

Rosandić: Rap ist dazu da, um seine Meinung hinzuspucken, es heißt ja in der Rap-Terminologie "to spit". Das, was man vielleicht in der Kindheit oder Jugend unterdrücken musste, was die Elterngeneration – in meinem Fall die Kriegs- und Gastarbeitergeneration – unterdrückt hat, spricht dann die nächste Generation aus. Das ist wichtig.

STANDARD: Gibt es Zeilen in Ihren Texten, die an Minister Schallenberg gerichtet sind?

Rosandić: Nein, dem Herrn Minister habe ich noch keine Zeile gewidmet.

Schallenberg: Jetzt bin ich aber gekränkt. (lacht)

Rosandić: Ich glaube, das ist eher gut. (lacht)

Videoporträt über Kid Pex: "Ich bin das Lieblingskind der österreichischen Rechten"
DER STANDARD

STANDARD: Herr Rosandić, durch Ihren politischen Aktivismus sind mittlerweile politische Themen mehr in den Fokus gerückt. Welche sind das?

Rosandić: Zuwanderung, Rassismus, politische Zustände, Rechtspopulismus und Aufstieg von Rechtspopulisten, aber ich schreibe natürlich auch Lieder, die die private Seele widerspiegeln. Ich habe den Eindruck, dass es in unserer Gesellschaft eine unsichtbare Werteskala gibt. Manche Sprachen, manche "Migrationshintergründe" werden mehr geschätzt als andere. Sie haben vorher erwähnt, dass ihre Mutter aus der Schweiz kommt. Es wäre interessant zu wissen, was Sie in der Kindheit oder in der Jugend erlebt hätten, wenn Ihre Mutter aus Albanien oder der Türkei käme.

Schallenberg: Da haben Sie sicher nicht unrecht. Wobei ich glaube, dass das auch einem Wandel der Zeit unterworfen ist.

STANDARD: Zuwanderung ist jedenfalls ein riesengroßes Thema in Europa? Die EU-Asylreform vom Juni nannten Sie "bahnbrechend", Herr Schallenberg. Was daran ist bahnbrechend?

Schallenberg: Wir versuchen auf europäischer Ebene eine Migrations- und Asylpolitik aufzubauen, die den Namen auch verdient. Das Wichtigste ist die Genfer Flüchtlingskonvention. Menschen, die verfolgt werden und deren Leib und Leben gefährdet sind, haben ein Recht auf Schutz.

Aber es gibt auch eine immense Zahl von Menschen, die da eben nicht darunterfallen, sondern schlicht Wirtschaftsmigranten sind und den Status damit nicht verdienen. Wir schaffen es aber nicht, sie zurückzuführen. Wir haben in der Vergangenheit versucht, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Wir haben die ganze Zeit über die Verteilung der Flüchtenden geredet, statt anzusetzen, bevor diese Menschen sich den Schleppern und Menschenhändlern ausliefern. Das kann nicht im Sinne Europas sein.

Im Juni wurden wichtige Punkte beschlossen: erstens, dass es EU-Finanzmittel für einen robusten Außengrenzschutz geben wird, zweitens, dass wir beginnen müssen, Asylverfahren an den Außengrenzen durchzuführen, und dass wir uns drittens das Konzept der sicheren Drittländer noch einmal genauer anschauen und mit ihnen zusammenarbeiten müssen.

STANDARD: So viel zur Theorie, Herr Rosandić kennt die Praxis.

Rosandić: Ja, Herr Minister. Es freut mich, dass Sie die Genfer Flüchtlingskonvention als Fundament hervorheben. Denn leider wird die in Ihrer Partei immer wieder infrage gestellt.

Ich bin in den letzten fünf Jahren immer wieder bei Flüchtlingen in Bosnien-Herzegowina und kann sagen, dass hier – außerhalb der EU – ein rechtsfreier Raum gezüchtet wird. Es existieren tausende Dokumentationen zu Pushbacks etc., die auch an Sie übergeben wurden. Österreich spielt in meinen Augen dabei eine sehr, sehr unrühmliche und traurige Rolle.

Das Lager Lipa beispielsweise (in Bosnien-Herzegowina, Anm.) hat keine Rechtsgrundlage. Und da baut man auch noch ein illegales Gefängnis rein. Es arbeiten viele vom Krieg traumatisierte Polizisten dort. Und von wegen Wirtschaftsmigration: Wir reden hier von aktuell 70 Prozent Afghanen und Afghaninnen, vor allem viele Minderjährige. Weder die Ansätze Ihrer Partei noch der EU sind eine Lösung.

Flüchtlinge in Bosnien-Herzegowina bei Lipa gehen die Straße entlang.
Flüchtlinge in Bosnien-Herzegowina bei Lipa.
AP

Schallenberg: Man muss mit diesen Vorwürfen sehr vorsichtig sein. Nichts ist perfekt. Aber wir versuchen, das System so aufzubauen, dass es wieder dem entspricht, was mit der Genfer Flüchtlingskonvention intendiert war. In Österreich gab es letztes Jahr die höchste Zahl an Asylanträgen in Kontinentaleuropa, über 112.000. Ungefähr drei Viertel wurden zuvor nicht registriert, obwohl wir von Schengen-Staaten und Schengen-assoziierten Staaten umgeben sind. Da stimmt was nicht im System! Im Rechtsstaat Österreich werden sie registriert, und wenn sie Asyl verlangen, bekommen sie ein individuelles Asylverfahren.

Rosandić: Oder werden in Zukunft ein Asylverfahren in Drittstaaten – sprich im rechtsfreien Raum – durchmachen.

Schallenberg: Das denken wir an, ja. Die Idee ist, dass wir den Menschenhändlern das Handwerk legen und dass die Menschen sich gar nicht erst auf die lebensgefährliche Überfahrt übers Mittelmeer machen. So könnten sie möglichst nah an ihrem Heimatland schon die Möglichkeit haben, ein Asylverfahren durchzuführen und zu erfahren, ob sie eine Chance haben oder nicht.

Rosandić: Das klingt alles sehr nett. Österreich ist ein Rechtsstaat, ja. Aber die Staaten nicht, mit denen Österreich intensiv und immer öfter zusammenarbeitet, die sich eben nicht an das Recht halten, siehe Ungarn.

Schallenberg: Man kann sich seine Partner nicht aussuchen. Ich kann nicht nur mit der Schweiz und Liechtenstein arbeiten.

Rosandić: Ja, aber die Operation Fox? Bei der es Pushbacks an der ungarisch-serbischen Grenze gibt, bei der Schlepper festgenommen und von Ungarn gleich wieder freigelassen werden? Bei der man junge österreichische Polizisten an der ungarisch-serbischen Grenze gemeinsam auf Streife mit Orbáns Grenzjägern schickt?

Schallenberg: Das muss ich richtigstellen. Unsere 50 österreichische Polizisten sind in keiner Form bei illegalen Maßnahmen beteiligt, das ist Humbug.

Rosandić: Wenn ich die Verletzungen der Menschen in den wilden Camps entlang der serbisch-ungarischen Grenze sehe, mache ich mir große Sorgen wegen Polizeigewalt. Schauen wir uns Orbáns Grenzjäger an: Die werden unter anderem in Bierzelten rekrutiert und nach einer nur sechswöchigen Ausbildung mit einer Waffe an die Grenze gestellt. In Streifen mit der österreichischen Polizei. Das wird wie ein Bumerang zurückkommen.

Schallenberg: Lassen Sie sich das bei aller Emotionalität bitte erklären: Die sind nicht gemeinsam auf Streife. Sie haben im Ausland keine Befehlsgewalt.

Rosandić: Das hat aber das Innenministerium bestätigt. Außerdem: An der ungarisch-serbischen Grenze haben wir zwei durchgehende elektrische Zäune, trotzdem kommen 100.000 Leute durch. Glauben Sie nicht, dass es da Korruption und Bestechung an der Grenze gibt? Die, die Kohle haben, kommen weiter, die anderen nicht.

Schallenberg: Sie müssen sich schon entscheiden: Was ist jetzt das Problem? Dass es angeblich Pushbacks gibt oder dass sie Menschen durchlassen? Beides gleichzeitig geht sich intellektuell nicht aus.

Rosandić: Wieso schicken wir Menschen in rechtsfreie Räume? Wieso gibt es Phänomene wie das ICMPD (Internationales Zentrum für die Entwicklung von Migrationspolitik, geleitet von Ex-ÖVP-Obmann Michael Spindelegger, Anm.), welches nachweislich ein illegales Gefängnis mitten in einem Flüchtlingscamp im Nirgendwo ohne soziale Infrastruktur, neben einem Minenfeld, baut?

Herr Spindelegger ist aus Ihrer Partei. Und das ICMPD wird auch mit österreichischem Geldern unterstützt. Ich wurde wegen meiner Kritik an Lipa vom ICMPD mit einer Slapp-Klage eingedeckt, ein Versuch, unsere NGO mundtot zu machen.

Schallenberg: Hier will ich etwas richtigstellen: ICMPD ist eine internationale Organisation mit 20 Mitgliedsstaaten. Und inwiefern wurden Sie mundtot gemacht? Sie haben den Prozess doch erstinstanzlich gewonnen, oder? Eine Organisation hatte sich angegriffen gefühlt und hat ihr Recht auf Klage wahrgenommen. Das nennt sich Rechtsstaat.

Rosandić: Durch die Klage wurde eine kleine, ehrenamtlich tätige Organisation unter Druck gesetzt. Über 50 Organisationen in Österreich haben gesagt, dass das eine Slapp-Klage ist. Auch der Richter hat auf das Ungleichgewicht hingewiesen. Ich stehe sogar auf der Liste gefährdeter Human Rights Defender.

Schallenberg: ICMPD trifft seine Entscheidungen unabhängig.

STANDARD: Wir haben auch von Serbien gesprochen. Die serbische Regierung ist ein Verbündeter des Kreml, Serbien entfernt sich immer weiter von der Demokratie. Müsste Österreich gegenüber Serbien nicht eine klarere Sprache sprechen?

Schallenberg: Die legitime Frage, die man sich stellen muss, gerade als Europäische Union: Wie konnte so eine Entwicklung eintreten? Wie kann es sein, dass es in Serbien Umfragen gibt, bei denen eine Mehrheit die EU-Perspektive nicht mehr unterstützt?

Das hat sicher mit einer enormen Enttäuschung und Frustration zu tun. Wir haben Serbien vor über 20 Jahren die EU-Vollmitgliedschaft in Aussicht gestellt. Was ist geschehen? 20 Jahre lang nichts. Daher bin ich der Meinung, dass wir jetzt einen Gang zulegen müssen. Der russische Angriff auf die Ukraine hat, wenn man so will, ein Fenster für die Staaten des Westbalkans geöffnet. Wir wollen kein Alternativmodell zum freien, pluralistischen, rechtsstaatlichen Leben mitten in Europa. Für mich ist die EU-Erweiterung unser geostrategischer Lackmustest.

Rosandić: Man hätte vor 20 Jahren schon die Zivilgesellschaft gegen nationalistische Stimmen unterstützen können. Jetzt ist es vielleicht für vieles zu spät. Es gibt so viele mutige Menschen, die gegen die Regierung in Serbien protestieren. Und was sehen Sie dann? Dass beim "Migrationsgipfel" in Österreich dem Herrn Vučić und dem Herrn Orbán der rote Teppich ausgerollt wird.

Schallenberg: Migranten kommen eben nicht durch den Schwarzwald, sondern durch die ungarische Tiefebene. Wir suchen auch den Dialog mit der Türkei. Ursula von der Leyen war gerade zu Gesprächen in Tunesien. Was ist die Alternative zum Dialog mit gewählten Politikern? Überlassen wir die Menschen den Menschenhändlern?

Rosandić: Kommen Sie mit nach Lipa, und Sie werden sehen, dass um die mehr als 120 Millionen der EU nicht einmal der Weg ins Camp asphaltiert wurde. Und dann 900 Millionen für Tunesien? Wie viele davon werden in irgendwelchen korrupten Strukturen untergehen, wenn das schon in Bosnien und Herzegowina nicht klappt?

Schallenberg: Wir haben in den letzten Jahrzehnten sehr viel zur Stabilisierung von Bosnien und Herzegowina beigetragen, haben viel in die Zivilgesellschaft investiert. Aber Transformationsprozesse können nicht von außen kommen, sie müssen immer auch von der eigenen Bevölkerung getragen werden.

STANDARD: Ich mache jetzt hier einen ganz harten Schnitt. Wir haben alle im beruflichen Alltag mit sehr ernsten Themen umzugehen. Wie können Sie am besten einen Ausgleich finden?

Rosandić: Wenn man wie ich oft an der EU-Außengrenze aktiv ist, dann ist das schwierig. Aber ich lerne, mit den vielen belastenden Eindrücken umzugehen. Auch gibt mir mein Glaube Kraft.

Schallenberg: Man verliert auch als Politiker nicht seine Emotionalität, man versteckt sie nur. Ich liebe das, was ich tue. Das gibt Energie.

STANDARD: Dann schließe ich jetzt den Kreis mit einem Zitat von Herrn Rosandić: "Ohne Empathie kann unsere Gesellschaft nicht überleben." Danke für das interessante Gespräch. (Manuela Honsig-Erlenburg, 11.9.2023)

STANDARD-Sommergespräch im Volksgarten: Petar Rosandić alias Kid Pex und Außenminister Alexander Schallenberg.
Zum Schluss gab es auch versöhnliche Töne.
STANDARD/Regine Hendrich