Karner, Kickl, Teichtmeister
Das Teichtmeister-Urteil empört Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) wie auch FPÖ-Chef Herbert Kickl.
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Das Urteil gegen den Schauspieler Florian Teichtmeister wird von Therapeutinnen als vernünftig und von Juristen als eher streng eingeschätzt. Dennoch hat sich danach ein Sturm der Entrüstung über die Tatsache erhoben, dass Teichtmeister nicht ins Gefängnis muss, sondern seine Therapie in Freiheit fortsetzen kann. Was für bisher Unbescholtene bei solchen Delikten absolut üblich ist, wird vom Boulevard sowie Politikerinnen und Politikern rechts der Mitte als Justizskandal gebrandmarkt. In diesen von FPÖ-Chef Herbert Kickl angeführten Chor fallen auch führende Stimmen aus der ÖVP wie Innenminister Gerhard Karner und Generalsekretär Christian Stocker ein.

Internationaler Rechtsextremismus

Dass ein scheinbar mildes Urteil für einen Mann, der über Jahre zehntausende missbräuchliche Darstellungen von Kindern gesammelt und konsumiert hat, bei vielen Menschen ein ungutes Gefühl hinterlässt, ist verständlich. Aber dass die größte Regierungspartei diese Emotionen aufgreift und damit nun die Justiz attackiert, ist beklemmend. Denn der Schutz von Kindern vor Gewalt und sexuellem Missbrauch, ein eminent wichtiges gesellschaftliches Anliegen, wird von Rechtsextremisten in aller Welt dazu missbraucht, politische Gegner zu attackieren und desavouieren.

Das zentrale Narrativ der QAnon-Verschwörungstheorie, die aus den USA nach Europa übergeschwappt ist, besteht aus der Legende, dass eine satanistische liberale Elite Kinder entführt, foltert und ermordet, um aus ihrem Blut ein Verjüngungsserum zu gewinnen. Die über soziale Medien verbreitete Legende, wonach die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton in einen Kinderpornoring verwickelt sei, brachte im Dezember 2016 einen Mann dazu, mit einem Gewehr eine Pizzeria zu stürmen, wo er eingesperrte Kinder vermutete – das sogenannte Pizzagate. Ebenso heftet die deutsche AfD Kinderschutz ganz hoch auf ihre Fahnen – und suggeriert damit, dass die Vertreter der demokratischen Parteien Kinderschänder decken und Sexualverbrechen tolerieren.

Diese Obsession mit der Gefahr, der Kinder ausgesetzt sind, hat in Europa antisemitische Wurzeln. Jahrhundertelang waren es vor allem Juden, vor denen Kinder angeblich geschützt werden mussten, auch in der NS-Propaganda. Das dürfte Kickl zwar egal sein, aber Karner und andere VP-Vertreter sollten auch aus diesem Grund nicht leichtsinnig auf diesen Zug aufspringen.

Kinderschutz als politisches Kampfthema

Es ist auch in der ÖVP bekannt, dass höhere Strafandrohungen gegen Pädophilie wenig helfen, dass Männer, die Missbrauchsbilder konsumieren, vor allem Therapie benötigen, dass das österreichische Strafrecht nicht der Rache dient, sondern der Prävention. Die Verschärfung der entsprechenden Gesetze, die heuer noch kommen soll, wird so wie frühere Anhebungen der Strafrahmen in der Praxis nichts nützen. Da kann ÖVP-Staatssekretärin Claudia Plakolm noch so aggressiv ihre grüne Regierungskollegin Alma Zadić attackieren.

Wer Kinderschutz zum politischen Kampfthema macht, begeht selbst Missbrauch an Kindern. Die FPÖ wird sich von moralischen Bedenken nicht davon abhalten lassen, den Zorn des Mobs, der Teichtmeister mit dem Tod droht, zu nutzen und weiter anzuheizen. Aber von anderen Parteien kann man mehr Verantwortungsbewusstsein erwarten. Sonst droht auch in Österreich ein völliger Niedergang der politischen Kultur. (Eric Frey, 7.9.2023)