Malina Volkstheater
Im zweiten Teil des Volkstheater-Abends wird in einer tollen Sequenz samt Krokodil das Verhältnis zum Vater an die Oberfläche geschwemmt.
APA/VOLKSTHEATER/MARCEL URLAUB

Grau in grau: So präsentiert sich gemeinhin das Wien der Nachkriegsjahrzehnte. Auf der Bühne des Volkstheaters ist es an diesem Abend aber LSD-bunt – und das, obwohl hier ein Leben zwischen weiblicher Unterwerfung und Depressionen, väterlicher Gewalt und Selbstzerstörung geschildert wird. Mit der Dramatisierung von Malina, Ingeborg Bachmanns viel zitiertem, aber wenig gelesenem einzigen Roman, hat sich Regisseurin Claudia Bauer an eines der schwierigsten – und von Rauchschwaden vernebeltesten – Werke der österreichischen Nachkriegsliteratur gewagt. Statt in Ehrfurcht zu erstarren, wirft sie einen frech-forschen und beinahe heiteren Blick darauf.

Ingeborg Bachmann, eine Untergangskomödiantin – wer hätte das gedacht? Im ausladenden grauen Reifrock, mit blondem Bob und gestreifter Krawatte steht sie da, ihre Unsicherheit in einem zu schnellen Redefluss überspielend: "Ich nehme keine Drogen, ich nehme Bücher zu mir", sagt sie und zieht dann wieder an ihrer imaginären Zigarette. Wobei an diesem Abend neben der verhuscht-nervösen Bachmann der famosen Bettina Lieder gleich noch sechs weitere Bachmann-Doubles die von Patricia Talacko mit drei Sperrholzhütten ausgestattete Bühne bevölkern. Sie sind eins, aber zeigen unterschiedliche Facetten.

Malina Volkstheater
Graue Bachmanns, wohin man blickt: Glücklicherweise hat Regisseurin Claudia Bauer im Volkstheater viele Farbakzente parat.
Marcel Urlaub

Im Roman ist das ähnlich: Auch hier verschwindet die namenlose Ich-Erzählerin zwischen den Zeilen, verliert sich in Traum- und Albtraumsequenzen, bis sie sich am Ende ganz aufgibt. Ihr Mitbewohner Malina ist zwar ihr männliches Gegenüber, aber dann vielleicht doch nur ein Teil von ihr selbst bzw. ihr Alter Ego. In der Fassung von Claudia Bauer und ihrem Dramaturgen Matthias Seier wird er von je einem der Bachmann-Doubles gegeben (meist von Nick Romeo Reimann). Das mag verwirrend sein, entspricht aber der komplexen Struktur des 1971 erschienenen Romans, in dem Nah- und Fernsicht fließend ineinander übergehen. Das erzeugt eine mitunter ironische Distanz, die sich Bauer zu eigen macht.

Mit dem ungemein erfolgreichen Jandl-Abend humanistää! hat die Regisseurin vor zwei Saisonen am Volkstheater gezeigt, wie viele Register sie zu ziehen weiß. Der heitere Grundton Jandls ist bei Malina zwar dem melancholischen Sound Bachmanns gewichen, Bauers mit Projektionen und Puppen spielende Zugangsweise ist aber auch an diesem Abend ein musikalischer. Immer wieder stimmen die Spieler eines der von Peer Baierlein auf Grundlage des Romans oder von Gedichten komponierten Lieder an. Je länger der Abend geht, desto öfter übernimmt auch die Mezzosopranistin Johanna Zachhuber. Sie taucht dann noch ein Stück tiefer in die Seelennöte der Protagonistin ein, Realität und Phantasmagorien verschwimmen eindrücklich. Die Schwere der Szenerie wird aber schnell wieder durchbrochen.

Ivan der Schamanenkönig

Im zweiten Teil wird in einer tollen Sequenz samt Krokodil das Verhältnis zum Vater an die Oberfläche geschwemmt, der Missbrauch und die NS-Vergangenheit. Bauer scheint der Tragik dieses weiblichen Autorenschicksals aber nicht zu trauen, sie inszeniert einen Ausflug an den Wolfgangsee als humoreskes Zwischenstück und fokussiert immer wieder auf Ivan, den Nachbarn aus der Ungargasse. Er ist in Gestalt von Samouil Stoyanov Sehnsuchtsmann und Schamanenkönig in einem. Vor allem aber ist Stoyanov das heimliche Zentrum des Abends, ein komischer Wiener Strizzi samt Blümchenhemd und oranger Brille, der diese Bachmann erdet, aber auch zur Ekstase treibt.

Ivan ist eine einzige Projektion, und das nimmt Bauer durchaus wörtlich, indem sie viele Szenen mit Handkameras filmen und an die Sperrholzwände werfen lässt. Die weibliche Subordination scheint in dieser kauzigen Beziehung aufgehoben, aber vielleicht wollte Bauer auch einfach nur wegkommen von der herkömmlichen feministischen Lesart des Romans. Ihr gelingt ein bei aller Verkürzung vielschichtiger Abend, der zwar nicht an Bauers Jandl-Erfolg herankommt und Exegeten verschnupft zurücklassen wird, der das Klischee von der Leidensfrau Bachmann aber auffächert und weniger grau erscheinen lässt. (Stephan Hilpold, 10.9.2023)