Neun Monate ist es her, da wandte sich Christoph Klein, ein in Salzburg lebender, selbstständig tätiger und in Österreich sozialversicherter Deutscher, an den STANDARD. Als rechtlich gleichgestellter EU-Bürger und Beitragszahler im Land sehe er nicht ein, warum er zur Fremdenpolizei pilgern müsse, um ein Foto für seine E-Card registrieren zu lassen – sonst bekomme er keine Sozialversicherungskarte ausgestellt.

Vier Wochen lang, so Klein, habe er auf seinen diesbezüglichen Polizeitermin warten müssen. Auf der Inspektion dann habe eine Mitarbeiterin das Foto einfach entgegengenommen, mit dem Hinweis, er werde seine E-Card in wenigen Wochen zugeschickt bekommen. Das sei dann auch so geschehen.

Eine Hand hält eine E-Card mit Foto
Das Foto auf der E-Card ist seit 2022 Pflicht. Es sollte den sogenannten Sozialbetrug hintanhalten.
Der Standard/Beigelbeck

Warum also dieser sicherheitspolizeiliche Umweg?, fragte sich Klein. Dass EU-Bürgerinnen und -Bürger ihr Konterfei bei der Polizei einreichen müssen, sei eine "offenkundige Vertragsverletzung gegen geltendes Unions- und Primärrecht". Er wandte sich mit dem Problem an Solvit, eine kostenfreie Beratungsstelle der EU-Kommission, wo man sich um die "Lösung von Problemen durch möglicherweise fehlerhafte Anwendungen von EU-Vorschriften" bemüht.

Seit Jänner keine Lösung gefunden

DER STANDARD wiederum fragte im für die E-Card zuständigen Gesundheits- und im für Polizeiangelegenheiten verantwortlichen Innenministerium an. Im Rahmen interministerieller Gespräche arbeite man daran, den Kreis der Einreichstellen auszuweiten, hieß es hier wie dort. Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) versprach explizit baldige Abhilfe.

Das jedoch ist bis heute nicht geschehen. Den STANDARD erreichten neue Beschwerden von EU-Bürgern, auch eine Nachfrage in der Ministerien ergab: Weitergekommen ist man seit heurigem Jänner in dieser Sache nicht. Vielmehr verweist ein Ressort aufs andere. Man sei nach wie vor "in Austausch mit dem Innenministerium", hieß es im Gesundheitsressort. "Eine Gesetzesänderung ist in Ausarbeitung", war wiederum aus dem Innenministerium zu erfahren. Nachsatz: "Diesbezügliche Auskunftsersuchen wären an das Gesundheits- und Sozialministerium zu richten."

Beschwerde direkt an EU-Kommission

Zeit ließ man sich auch bei der EU-Beschwerdestelle Solvit. Erst Anfang Juni erreichte Beschwerdeführer Klein von dort eine Antwort. Nach Prüfung des Sachverhalts schlage man vor, die Europäische Kommission direkt auf das Problem mit dem E-Card-Foto aufmerksam zu machen. Solvit nämlich lägen "derzeit bereits einige Anfragen mit einer ähnlichen Problematik vor. Je mehr Fälle bekannt werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Europäische Kommission diese Rechtsverstöße auch weiterverfolgt." Die Kommission könnte in Österreich etwa Erkundigungen in Sachen Vertragsverletzung anstellen.

Besagte Polizeiüberprüfungspflicht für Fotos auf E-Cards von Nichtösterreichern stammt aus dem Jahr 2019. Eingeführt wurde sie unter Türkis-Blau im Rahmen einer ASVG-Novelle, die ab 2022 Fotos auf E-Cards vorschreibt, egal ob sie einem Inländer oder einem Ausländer gehören. Damit sollte dem sogenannten Sozialbetrug per Versicherungskarte Einhalt geboten werden.

FPÖ ortete "Sozialbetrug"

Die in Regierungsverantwortung stehende FPÖ ortete dieses Delikt vor allem bei nichtösterreichischen Staatsangehörigen. Viele Ausländerinnen und Ausländer würden mit einer fremden E-Card zum Arzt gehen und sich so Leistungen erschleichen, behaupteten die Blauen. Der österreichische Staat werde dadurch jährlich um 30 Millionen Euro geschädigt. Die Summe hielt einem Realitätstest nicht stand. Nur knapp 9.900 Euro seien ihr durch E-Card-Betrug 2016 entgangen, rechnete die damalige Wiener Gebietskrankenkasse vor.

Mit dem Thema E-Card-Betrug machten die Freiheitlichen gegen Einwanderer Stimmung. Ein Video aus dem Jahr 2018 zeigt einen "Ali", der mit "Mustafas" E-Card zum Zahnarzt geht. Der Clip sticht durch einen höhnischen Ton heraus und wurde vielfach als rassistisch kritisiert. 2022 urteilte der Verfassungsgerichtshof, die Aufnahme sei "diskriminierend" und daher "gesetzwidrig". (Irene Brickner, 12.9.2023)