Hoan Ton-That ist vor einem neutralen Hintergrund abgebildet, trägt ein Hemd, ein Halstuch und ein Jackett.
Hoan Ton-That, CEO von Clearview AI, spielt an der vordersten Front im Kampf um den Einsatz von Gesichtserkennungssoftware.
AP/Seth Wenig

Die Vorstellung ist weiterhin etwas gruselig: Man geht durch die Straßen, und durch eine Kamera blickt man zu den Menschen, die einem am Bürgersteig entgegenkommen, umrandet von Zahlen und Fakten. Egal ob echter Name, Social-Media-Konten, Fotos, alles ist auf Knopfdruck abrufbar. Schon heute ist diese Technologie vorhanden, jedoch wird sie kaum eingesetzt. Das könnte sich bald ändern.

Hoan Ton-That ist laut "Forbes" Chef eines der "umstrittensten Unternehmen der Welt". Seine Softwarefirma Clearview AI kann Gesichtern bereits jetzt Namen zuordnen. Die neueste Version seiner App funktioniert mittlerweile auch mit einer Augmented-Reality-Brille des Unternehmens Vuzix. Sie verbindet die Datenbank von Clearview mit einer in der Brille integrierten Kamera. Konkret können damit einer Person Namen, Social-Media-Profile und andere Informationen zugeordnet werden – und das nur mit einem einzelnen Foto. Clearview AI hatte bereits 2020 mittels Web-Scraping eine Datenbank mit mehr als drei Milliarden Gesichtern erstellt. Heute geht man von mehr als 30 Milliarden Fotos aus.

Die Möglichkeit, in Datenbanken Gesichter zu suchen, um sie dann zuzuordnen, ist aber nicht unbedingt neu. Die aktuelle "Innovation" ist keine technologische, sondern eine ethische. Denn obwohl Meta, Apple und auch Google diese Funktion schon vor Jahren hätten veröffentlichen können, hielt man die Erfindung aufgrund der damit verbundenen Gefahren zurück. Die großen Unternehmen versuchten, Gesichtserkennungssoftware nur für spezielle, eher harmlose Anwendungen zu verwenden: beispielsweise als Sicherheitstool zum Smartphone-Entsperren oder als Organisationstool zum Kategorisieren von Fotos.

Man sieht die Software am Smartphone. Der Unternehmer blickt in die Kamera.
Hoan Ton-That, CEO von Clearview AI, demonstriert die Gesichtserkennungssoftware des Unternehmens anhand eines Fotos von sich selbst in New York.
AP/Seth Wenig

Meta agierte vorsichtiger

Wie die "New York Times" berichtete, wurde die Technologie Anfang 2017 das erste Mal intern bei Meta, damals Facebook, vorgestellt. Der Ingenieur Tommy Leyvand hatte sich ein Smartphone auf seine Baseballkappe mit Gummibändern gespannt, mit der Kamera nach außen gerichtet. Nach wenigen Sekunden verkündete eine Stimme im Smartphone die jeweiligen korrekten Namen der Anwesenden. Die Gesichtserkennung war perfekt. Leyvand arbeitet mittlerweile am Vision-Pro-Headset, der ersten komplett neuen Apple-Produktkategorie seit Jahren.

Auch wenn die Technologie für blinde oder sehbehinderte Menschen hilfreich sein könnte, so etwas zu veröffentlichen war selbst Facebook zu riskant. Die für Facebook-Fotos genutzte Gesichtserkennung hatte 2015 in Illinois bereits rechtliche Konsequenzen nach sich gezogen, dafür waren Strafzahlungen in Höhe von 650 Millionen US-Dollar fällig. Das Gesichtserkennungssystem für Fotos wurde deshalb mittlerweile abgeschaltet.

Das Headset ist im Showroom von Apple zu sehen. 
Sollten auch Augmented-Reality-Brillen wie die Apple Vision Pro Gesichtserkennungsfunktionen bekommen, würde das große datenschutzrechtliche Fragen aufwerfen. Das Headset wurde im Juni 2023 vorgestellt.
AP/Jeff Chiu

Bald auch für private Nutzer?

Meta arbeitet bekanntlich seit einigen Jahren an Augmented-Reality-Brillen. In einer internen Sitzungsaufzeichnung, die der "New York Times" vorliegt, wurde die Gesichtserkennungsfunktion dazu im Detail besprochen. Man könnte Menschen virtuell ein "kleines Namensschild anheften", sagt in der Aufzeichnung Andrew Bosworth, Chief Technology Officer von Meta. In früheren, öffentlichen Äußerungen zeigte sich Bosworth aber verhaltener und meinte, dass die Gesichtserkennung "sehr umstritten" sei. Auf Nachfrage, ob man eines Tages Gesichtserkennungssoftware in die eigenen Virtual-Reality-Brillen einbauen könnte, erwiderte ein Pressesprecher von Meta, man würde die Möglichkeit nicht ausschließen. Möglich wäre es in jedem Fall.

Mittlerweile ist das Tabu schon gebrochen. Kleinere Unternehmen wie Clearview AI gehen skrupelloser vor, große Unternehmen wie Meta überdenken ihre Position. So könnten nicht nur Unternehmen oder, wie aktuell möglich, Regierungen, sondern auch Privatnutzer Zugang zu solchen Tools bekommen. Was das rechtlich und ethisch bedeutet, muss dann wohl noch intensiver diskutiert werden. (Sebastian Lang, 12.9.2023)