Wald, Wolken, Klimawandel
Wälder spielen durch ihre Emission von gasförmigen Kohlenwasserstoffen eine wichtige Rolle bei der Wolkenbildung. Wie wichtig dabei sogenannte Sesquiterpene sind, haben nun Schweizer Forschende herausgefunden.
IMAGO/Jan Eifert

Je nachdem, wie sich die Treibhausgasemissionen der Menschheit weiter entwickeln werden, können wir bis zum Jahr 2100 mit mehr oder weniger starker globaler Klimaerwärmung rechnen. Die aktuellen Prognosen des Weltklimarats IPCC reichen von einem günstigen Szenario mit "nur" 1,5 Grad Celsius Erwärmung bis 4,4 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Ära. Wirklich in Stein gemeißelt sind diese Vorhersagen freilich nicht, bei einem Worst-Case-Szenario könnten die Durchschnittstemperaturen ebenso gut bei über fünf Grad Celsius oder unter vier Grad Celsius liegen.

Diese graduellen Unsicherheiten liegen daran, dass viele der komplexen Prozesse in der Erdatmosphäre im Detail noch nicht ausreichend verstanden sind. Ein wichtiger Aspekt dabei ist das Zusammenspiel der verschiedenen atmosphärischen Gase und Schwebstoffe. Ihre Erforschung widmet sich das internationale Cloud-Projekt (Cosmics Leaving Outdoor Droplets) am Kernforschungszentrum Cern in Genf. Ein Forschungsteam unter Federführung des Paul Scherrer Institut (PSI) im Schweizer Villigen hat nun Kohlenwasserstoffe, die von Pflanzen emittiert werden, als wesentlichen Faktor der Wolkenbildung identifiziert.

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Wolken reflektieren Sonnenstrahlung

Was sich in den Wolkendecken abspielt, ist ein wesentlicher Faktor bei der Klimaentwicklung, denn mehr Wolken reflektieren mehr Sonnenstrahlung, und das kann einen kühlenden Effekt auf die Erdoberfläche haben. Um die Wassertröpfchen, aus denen Wolken bestehen, zu bilden, braucht Wasserdampf Partikel, an denen er kondensieren kann, sogenannte Kondensationskeime. Das sind komplexe Aerosole, winzig kleine, feste oder flüssige Schwebstoffe mit einem Durchmesser zwischen 0,1 und zehn Mikrometern, die sowohl durch Prozesse in der Natur als auch durch uns Menschen verursacht und in die Luft emittiert werden.

Diese Partikel können Salz aus dem Meer, Sand aus der Wüste, Schadstoffe aus Industrie und Verkehr oder Rußpartikel von Feuern enthalten. Etwa die Hälfte der Kondensationskeime entsteht erst in der Luft, indem sich verschiedene gasförmige Moleküle verbinden und dabei in den festen Aggregatzustand übergehen, ein Phänomen, das Fachleute "Nukleation" oder "New Particle Formation" (NPF) nennen. Solche Partikel sind zu Anfang noch winzig, kaum größer als ein paar Nanometer, können mit der Zeit aber durch die Kondensation gasförmiger Moleküle wachsen und zu Kondensationskeimen werden.

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Duftende Wolkenkeime

Der Hauptteil der vom Menschen emittierten Gase, die zur Partikelneubildung beitragen, ist Schwefeldioxid in Form von Schwefelsäure, das vor allem aus der Verbrennung von Kohle und Öl stammt. Zu den wichtigsten natürlichen Gasen, die eine Rolle spielen, gehören sogenannte Isoprene, Monoterpene und Sesquiterpene. Das sind Kohlenwasserstoffe, die vor allem von der Vegetation freigesetzt werden. Sie sind wesentliche Bestandteile der ätherischen Öle, die wir riechen, wenn zum Beispiel Gras geschnitten wird oder wir im Wald spazieren gehen. Wenn diese Substanzen in der Luft oxidieren, bilden sie Partikel.

Während die Konzentration des Schwefeldioxids in der Luft in den letzten Jahren durch strengere Umweltgesetze deutlich geringer geworden ist und auch weiterhin abnehmen wird, nimmt die Konzentration der Terpene zu, weil Pflanzen unter Stress mehr davon freisetzen, etwa durch steigende Temperaturen und zunehmende Wetterextreme wie Dürren. Genauere Klimaprognosen hängen also insbesondere davon ab, herauszufinden, welcher dieser Faktoren überwiegt und ob die Wolkenbildung zunehmen oder abnehmen wird.

Potente Partikelbildner

Welche Rolle dabei die Sesquiterpene spielen, war bisher noch weitgehend unklar. "Das liegt daran, dass sie recht schwer zu messen sind", sagt Lubna Dada, Atmosphärenwissenschafterin am PSI. "Zum einen, weil sie sehr schnell mit Ozon reagieren, und zum anderen, weil sie viel seltener vorkommen als die anderen." Dennoch kommt diesen Substanzen bei der Wolkenbildung eine entscheidende Bedeutung zu, wie ein Team um Dada in einer aktuellen Studie nachweisen konnte.

Laut den im Fachjournal "Science Advances" präsentierten Ergebnissen bilden Sesquiterpene bei gleicher Konzentration zehnmal mehr Partikel als Isoprene und Monoterpene. Um das herauszufinden, hat Dada mit ihren Kolleginnen und Kollegen die Cloud-Kammer am Kernforschungszentrum Cern genutzt. In dem hermetisch abgeschotteten Raum lassen sich verschiedene atmosphärische Bedingungen simulieren. "Mit fast 30 Kubikmetern ist diese Klimakammer im Vergleich zu ähnlichen Einrichtungen weltweit die reinste ihrer Art", sagt Dada. "So rein, dass sie die Untersuchung von Sesquiterpenen auch dann ermöglicht, wenn die geringe Konzentration in der Atmosphäre nachgestellt wird."

Cern, Cloud-Experiment, Atmosphärenforschung, Wolkenbildung
Das Cloud-Experiment am Kernforschungszentrum Cern in Genf ermöglicht die Simulation verschiedener atmosphärischer Bedingungen.
Foto: Cern

Simulation der vorindustriellen Zeit

Konkret haben die Forschenden die biogene Partikelbildung in der Atmosphäre nachgestellt, wie sie in vorindustrieller Zeit stattfand, als es noch keine menschlichen Schwefeldioxid-Emissionen gab. Im Vergleich zu heute lässt sich so der menschliche Einfluss klarer herausarbeiten und in die Zukunft projizieren. Dabei zeigte sich, dass in reiner Luft die Oxidation einer natürlichen Mixtur von Isopren, Monoterpenen und Sesquiterpenen eine große Vielfalt von organischen Verbindungen produziert – sogenannte ULVOC (Ultra-Low-Volatility Organic Compounds).

Diese Moleküle sind wenig flüchtig und bilden daher sehr effizient Partikel. Der enorme Effekt der Sesquiterpene offenbarte sich, als die Forschenden ihnen Isopren und Monoterpene hinzumischten: Schon bei nur zwei Prozent Zugabe verdoppelte sich die Rate der Partikelneubildung. "Erklären lässt sich das damit, dass ein Sesquiterpen-Molekül 15 Kohlenstoffatome enthält, während Monoterpene nur zehn und Isopren fünf enthalten", sagt Dada.

Bessere Prognosen

Aufgrund dieser Ergebnisse schlagen die Forschenden vor, neben Isopren und Monoterpenen künftig auch die Sesquiterpene als eigenen Faktor in die Klimamodelle aufzunehmen, um die Prognosen zu verbessern. Immerhin dürften die steigenden biogenen Emissionen infolge von Klimastress bei gleichzeitiger Abnahme der Schwefeldioxid-Konzentration in der Atmosphäre künftig immer wichtiger werden. Allerdings betonen die Wissenschafter, dass für die weitere Verbesserung der Vorhersagen zur Wolkenbildung auch noch andere Studien notwendig sind – einige davon sind am Labor für Atmosphärenchemie bereits in Planung. (tberg, red, 13.9.2023)