Marakko
Französische Retterinnen und Retter sind unerwünscht, dabei ist die Not groß.
EPA/MOHAMED MESSARA

Die französische Außenministerin Catherine Colonna nennt es einen "deplatzierten Streit", und sie hat völlig recht: Weil Marokko und Frankreich diplomatisch seit Monaten über Kreuz liegen, verzichtet König Mohammed VI. bis auf weiteres auf das Hilfsangebot. Dabei wäre die französische Rettungsmaschinerie sehr umfangreich und sehr erfahren. Die Helferinnen und Helfer kennen Land und Leute, sie sprechen die Sprache der Betroffenen. Am Samstagmorgen hoben die ersten Flugzeuge Richtung Marokko ab – aber sie blieben spätestens in Marrakesch stecken. Die Politik will die Hilfe nicht.

Es muss schlecht stehen um die Freundschaft zweier "Bruderländer" (so Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin), wenn die Hilfe für verschüttete Dörfer ausbleibt, weil sich zwei Staatsoberhäupter nicht verstehen. Die Beziehung zwischen Mohammed und Emmanuel Macron sei "glacial", eisig, hört man. Während Spanien seine ehemalige Westsahara unlängst als marokkanisch anerkannt hat, will die einstige Kolonialmutter in Paris die Dinge – mit Recht – nicht überstürzen.

Mohammed und Macron

Macron will sich zudem mit Algerien, dem marokkanischen Erzfeind, 60 Jahre nach dem Algerienkrieg aussöhnen und günstige Lieferverträge für Öl und Gas eingehen. Die französischen Visa für Marokkaner kürzte Macron hingegen um die Hälfte. Das sorgte für viel Unmut in einem Land, in dem die arme Bevölkerung meist nur einen Weg zu mehr Wohlstand kennt – Frankreich.

Beidseits spielen Gefühle von Nationalstolz und gleichzeitig auch von nationaler Demütigung hinein: In Marokko stört man sich daran, dass Frankreich zuerst gar nicht erst fragte, ob seine Hilfe erwünscht sei. Die Franzosen wiederum sind eingeschnappt, weil Rabat nicht sie zu Hilfe holt, sondern ausgerechnet die Briten, mit denen Paris unter anderem seit Kolonialzeiten eine Rivalität verbindet.

Bei Mohammed mögen auch persönliche Gründe mitspielen. Der 60-jährige König wurde unlängst schwankend in einer Pariser Nacht gefilmt – worauf sein Pressedienst erklären musste, das habe nichts mit Alkoholkonsum zu tun. Hintenrum verlangte er von Macron – vergeblich – die Sperrung des Videos. Am Samstag berichtete zudem die Pariser Zeitung Le Parisien, Mohammed habe während des Bebens in Frankreich geweilt. Das war für die königliche Kommunikation natürlich verheerend.

Gewünscht oder nicht, läuft so vieles schief zwischen Paris und Rabat. Mohammed und Macron haben zudem ähnliche Charaktere: Beide stellen ihre Reputation in den sozialen oder klassischen Medien gerne über das Los der einfachen Leute. Auch insofern ist das Politverständnis in Marokko und Frankreich ähnlicher, als man glaubt.

Ohne jede Hilfe

Das Resultat ist auf jeden Fall gravierend. In Marokko sind wohl zehntausende Bewohner abgeschnittener Dörfer seit drei Tagen ohne jede Hilfe. Die französische Spezialtruppe der "Feuerwehrleute für internationale Einsätze" hatte bei dem letzten Großbeben in der Türkei bewiesen, dass sie schnell zu handeln vermag. Sie könnte in Marokko längst an der Arbeit sein.

Macron hatte am Sonntag erklärt, die französischen Retterinnen und Retter starten "in der Sekunde", in der Marokko um ihre Hilfe ersucht. Bis zum grünen Licht aus Rabat werden aber wohl noch weitere wertvolle Sekunden verstreichen. Politik kann auch sehr absurd sein. (Stefan Brändle, 11.9.2023)

Video: Marokko nimmt Erdbeben-Hilfe von nur vier Ländern an
AFP