Björk
Björk gibt sich stilistisch wandlungsfähig, gesanglich eher gar nicht.
Santiago Felipe

Es beginnt im Wald der Elfen bei Mutter Natur. Dort wachsen die narrischen Schwammerln und tanzen von Feenstaub benetzte güldene Zauberwesen herum. Zu siebent blasen sie die Flöten, ein Instrument, das so alt ist wie die Welt. Gleich als Erstes kommt es nach der Stimme und der Trommel Klang. Sieh, da hinterm Vorhang schlägt ein Mann die Pauken! Ein Waldgeist zupft die Harfe, ein andrer bedient behände ein elektrisches Manual. Wir wollen es Computer nennen. Gespeist wird seine Energie wohl aus der Kraft der Sonne. Nun passt gut auf, gleich kommt der Puck. Und mächtig erhebt er seine Stimme!

Das isländische Gesamtkunstwerk Björk erscheint das erste Mal seit 25 Jahren auf einer Wiener Bühne und erinnert in der eineinhalbstündigen Märchensause Cornucopia doch sehr an eine Inszenierung von William Shakespeares Sommernachtstraum. Die wirkt ein wenig so, als habe man der Leitung dieses Zauberspiels ein wenig LSD in eine nun im Schrank fehlende Tasse geschüttet. Wie aber heißt es im Sommernachtstraum so versöhnlich: "Wo Feuereifer patzt, sieht Achtung nur den Willen, nicht die Tat."

Ein Füllhorn des Glücks

Björks Show nennt sich also Cornucopia. Und das mit Blumen und Früchten gefüllte Füllhorn als mythologisches Symbol des Glücks steht für Fruchtbarkeit, Reichtum und Überfluss. Björk beschwört in einer Zeit der Hoffnungslosigkeit und einer Welt am Abgrund der Klimakrise die Hoffnung und die Chance. Das Pariser Abkommen wird in einer auf die Bühne projizierten Textbotschaft im Mittelteil beschworen, aber der Optimismus kann uns retten. Gegen Ende meint auch Greta Thunberg in einer Videobotschaft vor den Zugaben: "A change is gonna come." Das sowieso, möchte man in die Standing Ovations des Publikums rufen. Die Natur und ihr beständiges Überleben durch Mutationen werden uns, so oder so, überleben. Björk gibt sich zuversichtlicher: "Imagine a future. Be in it."

Björk ist für ihr Leben möglicherweise nur eine Gesangsmelodie mitgegeben worden, diese nutzt sie aber, recht kräftig in den Saal bellend und gellend, um über die Kraft der Mutterschaft als Ursprung von allem, die wunderbare Welt der Pilzkulturen, Utopia, zukünftige halb pflanzliche, halb menschliche Mutanten und eben das Prinzip Hoffnung zu singen: "Hope is on my side!"

björk

Bei Shakespeare lesen wir: "Harmonischer klang nie ein Misston in der Welt, so weich der Donner." Björk macht Tabula Rasa. Ihre Band, unter anderem das siebenköpfige isländische Flöten-, Klarinetten- und Gesangsseptett Viibra und der auf der Bühne auch mit Wasser herumplätschernde österreichische Ausnahmeperkussionist Manu Delago, spielt sich durch Deutungen ihrer in den letzten neun Jahren erschienenen und zunehmend sperriger werdenden Alben Utopia (Flöten und Vogelgezwitscher), das Scheidungsalbum Vulnicura und das aktuelle Klarinettenalbum Fossora. In dem geht es um den Tod ihrer Mutter, die täglichen Sorgen und Freuden der eigenen Mutterschaft sowie die Welt der Pilze.

björk

Die Pilze sind zwar sesshaft, gehören aber interessanterweise nicht zur Welt der Pflanzen, das sie keine Photosynthese betreiben. Sie ernähren sich, näher an der Welt der Tiere, durch die Aufnahme organischer Substanzen. Bei Björk in den künstlerisch-avantgardistisch gestalteten und oft auch mindestens ästhetisch befremdlichen CGI-Filmen, die gezeigt werden, sieht man die Schwammerln auf menschlichen Körpern ausschießen und sich vereinigen. Sporen spritzen durch die Gegend. Mischwesen wandeln beständig ihre Form. Im Song Pagan Poetry wird das Ganze noch zusätzlich sexuell sehr stark befeuert. Da kann die Einnahme der auf dem Mutterkorn-Pilz (aha!) beruhenden Droge LSD schnell einmal zum Horrortrip werden.

björk

Musikalisch bewegt sich Björk, die auch in einer Hallkammer aus dem Land der Hobbits singt und in Wien nur einmal das avantgardistische Kostüm wechselt, längst in einer eigenen Welt. Alte Hits wie Isobel im schrillen Flötenarrangement oder Venus as a Boy sind spärlichst gesät.

Es ist eine seltsame und wunderschöne Welt: Heutzutage scheint Björk eher Wert darauf zu legen, ein Ensemble für Neue Musik oder das Festival Wien Modern ins Berliner Berghain zu bringen. Dort spielt es gemeinsam mit einem DJ mit Böllertechno und Gebläse zwischen E und U auf. Leider bleibt oft die Plattennadel hängen, und man stolpert und brüllt sich halt so durch. Ene, mene, E und U – und drauß' bist du! Aber schließen wir doch mit Shakespeare und dem Sommernachtstraum: "Nichts kann ganz und gar daneben gehn, um das sich Pflicht und Einfalt ehrlich mühn." (Christian Schachinger, 20.9.2023)