Gertie Fröhlich
Die 2020 verstorbene Gertie Fröhlich konnte man keiner Kategorie zuordnen – und das wollte sie auch nicht.
Estate Gertie Fröhlich / Stefan Fuhrer

Die Liste der Personen, die über die Jahre in der Wohnung von Gertie Fröhlich in der Sonnenfelsgasse 11 ein und aus gingen, liest sich wie das Who’s who der Wiener Kulturszene. Darunter waren Persönlichkeiten wie Maria Lassnig, Martin Kippenberger, Franz West, Kiki Kogelnik oder Helmut Qualtinger.

Die Türe war nie abgeschlossen, es herrschte ein Kommen und Gehen. Manche schauten vorbei, um schnell zu duschen, andere blieben monatelang. Marieli Fröhlich, die Tochter der Künstlerin, erinnert sich, dass es wegen des Trubels oft kein warmes Wasser gab. Das Apartment galt als wichtiger Szenetreffpunkt der Nachkriegsavantgarde, die Gastgeberin als begnadete Netzwerkerin.

Aquarell
Gertie Fröhlich malte oft fliegende Frauen– ein Symbol der Befreiung und des Ausbruchs aus gesellschaftlichen Zwängen."Fliegende", 1980
Estate Gertie Fröhlich

Nachdem es ihr selbst verwehrt geblieben war, überzeugte sie Otto Mauer davon, die legendäre Galerie St. Stephan 1954 in der ehemaligen Neuen Galerie von Otto Kallir in der Grünangergasse zu eröffnen. Und stellte so die Weichen für die Karrieren der wichtigsten österreichischen Avantgarde-Künstler wie Arnulf Rainer, Josef Mikl, Wolfgang Hollegha oder Markus Prachensky.

Fliegende Frauen sind frei

Dass die 1930 geborene und 2020 verstorbene Künstlerin aber viel mehr war als eine gewiefte Vermittlerin, zeigt nun die beeindruckende Ausstellung Schattenpionierin im Museum für angewandte Kunst (Mak). In nur zwei Räumen wird die erste institutionelle Retrospektive dieser spannenden Frau gezeigt – und ein unerwartetes Gesamtwerk präsentiert. Durch die Kooperation von Kuratorin Kathrin Pokorny-Nagel und Fröhlichs Tochter entstand eine wissenschaftliche und persönliche Präsentation. Kurz bleibt einem der Atem weg.

Fröhlich, die 1944 als Deutschsprachige mit ihrer Familie aus der Slowakei vor den Partisanen nach Oberösterreich fliehen musste, schuf nicht nur Auftragswerke wie Grafiken, aufwendige Tapisserien und ikonische Plakate für das Filmmuseum Wien, sondern auch zahlreiche Aquarelle und Zeichnungen.

Plakatentwurf von Gertie Fröhlich
20 Jahre lang entwarf Gertie Fröhlich Plakate für das Filmmuseum. Auch das Wappentier Zyphius stammt von ihr.
Estate Gertie Fröhlich

Sie selbst hatte ebenfalls an der Akademie der bildenden Künste bei Albert Paris Gütersloh studiert und sich nie von vorherrschenden Stilen mitreißen lassen. Weder Abstraktion noch Pop-Art flossen in die stets gegenständlichen Arbeiten der Gertie Fröhlich ein. Vielmehr ließ sie sich von der Mythologie, dem Unterbewusstsein oder volkstümlichen Inhalten inspirieren. Oft stehen weibliche Figuren im Zentrum, viele von ihnen stellte die Künstlerin fliegend dar – ein Symbol der Befreiung und des Ausbruchs aus gesellschaftlichen Zwängen.

Während viele ihrer feministischen Kolleginnen den weiblichen Körper künstlerisch zurückeroberten, widmete sich Fröhlich der weiblichen Psyche und ihrer Darstellung. Ein Grund, weswegen die Ausstellung erst jetzt organisiert wurde, ist wohl auch die spätestens seit der Venedig-Biennale 2022 internationale Präsenz von Künstlerinnen, die sich solchen surreal und fantastischen Motiven zuwandten.

Ausstellungsansicht Mak
Die frisch restaurierten Tapisserien von Fröhlich sind das Highlight der Schau.
Stefan Lux/MAK

Wandteppiche bis Eat-Art

Neben dem griechischen Minotaurus, der in Zeichnungen immer wieder auftaucht, schuf Fröhlich für das Filmmuseum das (immer noch bestehende) Fantasiewesen Zyphius als Wappentier. 20 Jahre lang hatte die Künstlerin die Plakate des Museums gestaltet und so auch den Wiener Außenraum geprägt. Dass viele ihrer Auftragswerke als eigene Kunstwerke gelten, zeigen vor allem zwei monumentale Wandteppiche, die in mystische Landschaften entführen und für das Bildungshaus St. Virgil in Salzburg entworfen wurden. Frisch restauriert sind sie das Highlight der Schau.

Wie weit Fröhlichs Stilvielfalt ging, verdeutlicht ihr Beitrag für André Hellers Künstlerpark Luna Luna in Hamburg, zu dem er 1987 dreißig Kunstschaffende einlud, darunter auch sie. Neben Jean-Michel Basquiat und Keith Haring stellte sie dort essbare Eat-Art-Lebkuchen aus.

Der in der Schau gezeigte Film von Tochter Marieli Fröhlich beschreibt ihre Mutter als eigenwillige Persönlichkeit, die man in keine Kategorie einordnen konnte. Und das wollte sie auch nicht. So war sie Insiderin der Kunstwelt und zugleich Außenseiterin, wurde ihr Werk doch erst spät gewürdigt. Für ihre Unabhängigkeit als Mäzenin bezahlte sie mit ihrem eigenen Ruhm. Diese "Schattenpionierin" wird nun verdient ins Licht geholt. (Katharina Rustler, 13.9.2023)