Das Bild zeigt einen Screenshot aus
Die Netrunnerin Songbird spielt eine Schlüsselrolle im neuen DLC zu "Cyberpunk 2077".
Screenshot/CD Projekt Red

Eigentlich hätte das Action-Rollenspiel "Cyberpunk 2077" der nächste große Kracher von CD Projekt Red werden sollen. Ein futuristisch anmutendes zweites Standbein neben der "Witcher"-Saga sozusagen. Was der polnische Entwickler aber nach jahrelanger Entwicklungszeit Ende 2020 veröffentlichte, sorgte anfangs besonders bei Konsolenspielern für Enttäuschung. Eine mangelhafte Umsetzung für die ältere Konsolengeneration hatte sogar zur Folge, dass Sony das Spiel für ein halbes Jahr aus dem Playstation-Store nahm und auf Wunsch den Kaufpreis zurückerstattete. Höchststrafe.

Bestandsaufnahme 2023: Einen Aktionsplan mit umfangreichen Updates später und in der aktuellen Konsolengeneration angekommen, konnten viele ursprüngliche Mängel von "Cyberpunk 2077" beseitigt werden. Die Abenteuer von Protagonist V zählen abgesehen davon optisch zu den eindrucksvollsten Spielerlebnissen, die derzeit realisierbar sind, das gilt insbesondere für PC-Systeme mit leistungsstarker Hardware. In Kombination mit einer auffallenden Präsenz bei Sales konnte sich das Spiel mittlerweile auch weit mehr als 20 Millionen Mal verkaufen. "Cyberpunk 2077" hat sich also gewissermaßen zurückgekämpft.

Auf dieser Basis aufbauend soll nun gleich ein finaler Doppelschlag erfolgen: Bevor CD Projekt Red für "Cyberpunk 2077" am 26. September den einzigen kostenpflichtigen DLC unter dem Titel "Phantom Liberty" veröffentlicht, rollt der Entwickler ein kostenloses "Update 2.0" für das Hauptspiel aus, um seiner ursprünglichen Vision von Night City noch ein Stück näherzukommen. Der STANDARD konnte beides vor dem offiziellen Release testen.

Das Update für alle

"Update 2.0" gilt für alle Spielerinnen und Spieler, die "Cyberpunk 2077" bereits besitzen, und umfasst allein schon eine Fülle von Veränderungen. Am auffälligsten ist zu Beginn bei einem Blick ins Menü das erneute Zurücksetzen der Charaktereigenschaften, weil der ursprüngliche Talentbaum komplett überarbeitet worden ist. Je nach Verteilung der Attributspunkte können in den bekannten fünf Talentkategorien (Konstitution, Reflexe, technische Fähigkeit, Intelligenz und Coolness) weitere Ebenen für stärkere Fähigkeiten freigeschaltet werden.

Das Bild zeigt einen Screenshot aus
"Phantom Liberty" lädt wieder dazu ein, hinter die neonbunte Fassade von Night City zu blicken.
Screenshot/CD Projekt Red

Die Struktur macht auch tatsächlich einen wesentlich aufgeräumteren und logischeren Eindruck: Aktive Fertigkeiten bilden den "Stamm" nach oben hin, meist passive Fertigkeiten verästeln sich seitlich und sind visuell kleiner gestaltet. In der "Krone" befinden sich die stärksten Vorzüge der Talente, für die nicht weniger als 20 Vorteilspunkte benötigt werden. Spielerinnen und Spieler müssen sich also gut überlegen, welchen Talent-Mix und nicht zuletzt welchen Spielstil sie bevorzugen, weil sich nicht alles hochleveln lässt. Das Levelcap wurde für "Phantom Liberty" übrigens auf 60 erhöht.

Im kostenlosen Update ebenfalls inkludiert ist ein neues System für Cyberware, das die Rüstungswerte von V mit der installierten Cyberware der einzelnen Körperteile und nicht mit der Kleidung in Beziehung setzt. In der Praxis macht auch die Tüftelei rund um diverse Implantate wesentlich mehr Sinn als zuvor und erfordert eine gewisse Kompromissfindung, weil nicht alle Slots wahllos vollgestopft werden können. Gut so.

Night City läuft runder

Weitere Änderungen in den Straßen von Night City zieht ein neues Fahrzeugkampfsystem nach sich, das es V nicht nur ermöglicht, selbst aus offenen Fenstern zu ballern, sondern auch Waffen direkt am Fahrzeug zu bedienen – oder vom Beifahrersitz nahegelegene Fahrzeuge zu hacken, um sie anschließend zu manipulieren. Dieses System kann insbesondere unter Berücksichtigung des neuen "Wanted"-Systems Sinn machen. Je nach Schwere und Zahl der verübten Delikte in Night City nehmen nämlich unterschiedliche Polizeieinheiten des NCPD die Verfolgung auf – bis schließlich schwer gepanzerte Einheiten der MaxTac Squad zum Einsatz kommen. GTA lässt grüßen.

Das Bild zeigt einen Screenshot aus
Das neu erkundbare Viertel "Dogtown" ist an allen Ecken und Enden einfach nur heruntergekommen.
Screenshots/CD Projekt Red

Insgesamt gesehen stellen all diese Veränderungen das bisherige Spiel nicht unbedingt auf den Kopf, sorgen aber unterm Strich dann gefühlt doch für ein runderes, stimmigeres Spielerlebnis als es zuvor der Fall war. Das Verhalten von NPCs und Gegnern im Spiel ist nach wie vor nicht beeindruckend – es steht aber auch dem Drang nicht im Weg, die schillernden Neon-Fassaden der Spielwelt in all ihren Facetten zu erkunden oder sich mit unterschiedlichen Kampfstilen darin auszutoben. Kurzum: Das kostenlose Update zu "Cyberpunk 2077" nimmt man zwar gerne an. Alleiniger Grund, sich dafür erneut in den Porsche von Johnny Silverhand zu schwingen und die Straßen von Night City zu verunsichern, ist es jedoch nicht. Das Fleisch hängt eindeutig an den Knochen des kostenpflichtigen "Phantom Liberty".

Neue Abenteuer in Dogtown

Das führt auch schon zum besagten DLC für 30 Euro. Egal, wie weit Spielerinnen und Spieler in "Cyberpunk 2077" fortgeschritten sind, die Abenteuer von "Phantom Liberty" lassen sich in jeder Phase des Hauptspiels beginnen. Die neuen Missionen sind im Prinzip wie ein umfangreicher Nebenstrang zu betrachten, der am Ende ein neues Schicksal für V aufzeigen oder den Protagonisten wieder zum Hauptstrang zurückführen kann. Knapp 20 Stunden Spielzeit, die für den Test aufgewendet wurden, reichten aus, um unterschiedliche Handlungsstränge von "Phantom Liberty" durchzuspielen, einige der optionalen Nebenmissionen zu bestreiten und auch nochmal den einen oder anderen Abstecher ins bekannte Night City zu machen.

Das Bild zeigt einen Screenshot aus
Keine Überraschung: Die Präsidentin der New USA beherrscht den Umgang mit Waffen.
Screenshot/CD Projekt Red

Mit dem bis dato noch "unbekannten" Night City ist Dogtown gemeint. Der streng abgeschottete Bezirk ist über weite Strecken der neue Schauplatz, in dem sich "Phantom Liberty" abspielt. "Bezirk" ist noch höflich formuliert, vielmehr ist es eine heruntergekommene Zone, in der eine Miliz den Ton angibt. Unter dem Kommando von Kriegsveteran Kurt Hansen hat man in einem ehemaligen Football-Stadium eine Kommandozentrale errichtet und will von dort aus mit der New USA (NUSA) abrechnen.

Was für ein Zufall, dass das Flugzeug der Präsidentin von den NUSA dann ausgerechnet über diesem Gebiet abstürzt. Hier kommt auch V ins Spiel: Der Protagonist von "Cyberpunk 2077" wird von einer Netrunnerin namens Songbird kontaktiert, um ihr bei der Rettung der Präsidentin zu helfen. Im Gegenzug verspricht sie, das Problem mit dem Arasaka-Biochip in seinem Gehirn lösen zu können. Kein Wunder also, dass sich V wenige Minuten später durch eine verfallene Parkgarage hangelt, um die Grenzkontrollen nach Dogtown zu umgehen und der Präsidentin zu Hilfe zu eilen.

Das Bild zeigt einen Screenshot aus
Idris Elba übernimmt die Rolle des Geheimagenten Solomon Reed.
Screenshot/CD Projekt Red

Ohne die Geschichte von "Phantom Liberty" über diese ersten Minuten hinaus zu spoilern, sei an dieser Stelle verraten, dass sich "Cyberpunk 2077" hier so präsentiert, wie es sich manche von Anfang für das Spiel gewünscht hätten. In einem Spannungsfeld meist interessanter Charaktere entwickelt sich ein unterhaltsamer Agententhriller, der kaum Wünsche offenlässt – und natürlich auch kleine Plot-Twists parat hält. Neben Keanu Reeves in der großartigen Rolle von Johnny Silverhand findet übrigens ein weiteres prominentes Gesicht Platz in der neuen Erzählung: Idris Elba übernimmt die Rolle des mysteriösen Geheimagenten Solomon Reed.

Abwechslung im Fokus

Großer Wert wurde in "Phantom Liberty" auch auf Abwechslung gelegt. Abgesehen davon, dass die Kampfmechaniken, ein neuer Fähigkeitenbaum und das Herumexperimentieren damit schon Spaß machen, wurde das Spiel mit unterschiedlichen und expliziten Stealth-Passagen angereichert. Es soll eben auch einen "Agenten-Touch" haben – zumindest, was man in Videospielen darunter versteht. In den meisten Fällen klappt das ganz gut und kann beim Infiltrieren eines Hochhauses sogar weitgereisten Spielern ein Lächeln auf die Lippen zaubern.

Screenshot zu
Natürlich darf im neuen DLC auch Keanu Reeves in der Rolle von Johnny Silverhand nicht fehlen.
Screenshot/CD Projekt Red

Selbst die Bosskämpfe, von denen es im DLC ein paar gibt, unterscheiden sich spielerisch meist sehr stark voneinander. Manche davon wurden im Test als richtig stimmig und cool empfunden, andere wiederum eher nervig. Unfair geht es jedenfalls nie zu, und dass die eine oder andere Passage im Spiel polarisieren dürfte, zeugt wenigstens von Charakter. Auch Geschmackssache: Der Schwierigkeitsgrad ist nicht unbedingt als hoch einzustufen. Ein bis zwei Wochenenden Spaß lassen sich aber so oder so aus dem Add-on herausholen.

Noch immer ein Grafikkartenfresser

Aus technischer Sicht ist bemerkenswert, dass "Phantom Liberty" in der PC-Version selbst gestandene Grafikkarten ins Schwitzen bringt. Natürlich werden zukünftige Treiber-Updates Verbesserungen mit sich bringen. Erste Benchmarks legen allerdings nahe, dass man sich in hohen Auflösungen zumindest von aufwendigen Effekten wie Raytracing verabschieden muss, wenn man nicht auf RTX-40er-Karten von Nvidia oder auf die neuesten RX7000-Karten von AMD zurückgreifen kann.

PC-Systemanforderungen von
Wer das optische Maximum ausreizen will, braucht teure Hardware. "Phantom Liberty" läuft aber auch auf durchschnittlicher PC-Hardware passabel.
CD Projekt Red

Insbesondere Nvidias DLSS 3 mit Frame Generation soll in diesem Zusammenhang einen entscheidenden Vorteil bringen. Annehmbar spielen lässt sich "Phantom Liberty" aber auch mit älteren Grafikkarten, wie ein Blick auf die offiziellen Systemanforderungen zeigt. Theoretisch reicht auch eine GeForce GTX 1060 oder eine Radeon RX 580, wenn man sich mit der einfachsten Darstellung zufriedengibt. Die aktuelle Konsolengeneration dürfte aus technischer Sicht ungefähr den "Hoch"-Settings vom PC ohne Raytracing entsprechen, getestet konnte sie allerdings nicht werden.

Das Bild zeigt einen Screenshot aus
Für den Test kam eine GeForce RTX 4090 von Asus zum Einsatz. Wenig überraschend gab es keinerlei Probleme bei der Darstellung.
Screenshot/CD Projekt Red

Fazit

"Cyberpunk 2077" hat eine bemerkenswerte Reise hinter sich. Nach einer Erstveröffentlichung, die man durchaus als Fehlstart bezeichnen kann, kämpfte sich Entwickler CD Projekt Red zurück und besinnt sich in "Phantom Liberty" wieder auf alte Stärken: Mit dem Update 2.0 wird das Spielerlebnis zwar nicht revolutioniert, es hinterlässt aber einen deutlich runderen und zugänglicheren Eindruck. Der DLC selbst überzeugt durch eine unterhaltsame Story, abwechslungsreiche Spielmomente und interessante Charaktere. Popcorn-Gaming von seiner besten Seite also.

Unabhängig davon, dass "Phantom Liberty" technisch herausfordernd bleibt und sich leider nur auf Highend-Grafikkarten von seiner besten Seite zeigen kann, stellt das neue Kapitel im Leben von V eine robuste und ansprechende Ergänzung der Cyberpunk-Welt dar. Ob all diese Veränderungen unterm Strich genügen, um dem anfänglichen Hype rund um das Hauptspiel gerecht zu werden, darf an dieser Stelle bezweifelt werden. Ein starker Pulsschlag von Night City und ein weiterer Schritt in die richtige Richtung ist es aber definitiv. (Benjamin Brandtner, 20.9.2023)