Eine Frau ist von hinten zu sehen, wie sie an einer Metallwand klettert.
Die weißen Muskelfasern, die für die Kraft verantwortlich sind, bilden sich mit der Zeit zurück. Dagegen hilft nur ständiges Training.
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Wenn man Deutschlands bekanntestem Sportwissenschafter Ingo Froböse zuhört, bekommt man schnell das Gefühl, dass starke Muskeln ein wahrer Alleskönner in puncto Gesundheit sind. Sie beeinflussen Gefühle, verändern den Stoffwechsel und können vor verschiedenen Krankheiten wie Diabetes, Herzinfarkt oder Adipositas schützen, betont er. In jungen Jahren scheint ihr Erhalt auch ziemlich mühelos. Doch bereits ab dem 30. Lebensjahr werden sie – ohne gezieltes Training – langsam, aber sicher immer weniger. Das kann so weit gehen, dass es im Alter sogar zur sogenannten Sarkopenie kommt, dem krankhaften Muskelverlust. Viele Betroffene könne dann kein eigenständiges Leben mehr führen und benötigen für die kleinsten Handgriffe Hilfe.

Warum die Muskeln so eine wichtige Rolle spielen, erklärt sich, wenn man ihren Aufbau genauer betrachtet. Muskeln bestehen aus verschiedenen Arten von Muskelfasern, erklärt Froböse: "Es gibt die roten Muskelfasern, auch langsame oder Slow-Twitch-Fasern genannt. Die weißen Muskelfasern sind die schnellen oder Fast-Twitch-Fasern." Während Erstere vor allem für die Ausdauer zuständig sind, sind die weißen für die Kraft verantwortlich. Und vor allem die weißen schwinden mit zunehmendem Alter deutlich. Mit fatalen Folgen für die Gesundheit. Für Froböse ist "der Verlust der Muskelkraft die Hauptursache für Pflegebedürftigkeit".

Kommunikation mit Organen

"Viel zu lange wurden Muskeln nur als Bewegungsorgane betrachtet. Und als ästhetisches Abbild der eigenen Fitness. Doch das greift viel zu kurz", betont der Experte. Wer bereits früh beginnt, seine Muskeln zu stärken, mache sich dabei nicht nur fürs Alter fit. Denn immerhin sei die Muskulatur das größte Stoffwechselorgan im Körper. Sie geben sogenannte Myokine ab, die von verschiedenen Organen aufgenommen werden. "Wir wissen noch sehr wenig über die verschiedenen Myokine und Ihre Wirkungsweise. Aber Fachleute gehen davon aus, dass es vermutlich etwa 3.000 unterschiedliche davon in unserem Körper gibt."

Diese Botenstoffe wurden erst im Jahr 2007 entdeckt, von der dänischen Forscherin Bente Klarlund Pedersen von der Universität Kopenhagen. Deshalb ist vieles noch unklar. Aber die Forscherin weiß, dass "Muskeln eben nicht nur zum Laufen oder Stehen da sind, sie unterhalten sich mit anderen Organen".

Und diese Unterhaltung kann ziemlich viel zur Gesundheit und Balance des Körpers beitragen. Man geht davon aus, dass die Myokine bei der Bildung neuer Abwehrzellen eine Rolle spielen, Entzündungen bekämpfen und regulieren sowie Erkrankungen wie Diabetes oder Parkinson hemmen können. Sogar das Erinnerungsvermögen und die Lernfähigkeit kann man mit mehr Muskelmasse optimieren. Klingt nach einem richtigen Wundermittel – aber die Sache hat eine Haken: Die Muskeln kommunizieren nur, wenn wir sie auch richtig nutzen.

Nicht in Watte packen

Schon lange ist klar, dass Bewegung ein entscheidender Faktor für die Gesundheit ist. Doch erst langsam setzt sich die Erkenntnis durch, wie wichtig auch gezieltes Muskeltraining ist. Erst im Jahr 2021 hat die Weltgesundheitsorganisation neue Bewegungsrichtlinien herausgegeben, in denen endlich auch Krafttraining berücksichtigt wird. Neben mindestens 2,5 bis fünf Stunden pro Woche Ausdauersport bei mittlerer Intensität oder 75 Minuten bis 150 Minuten pro Woche Ausdauertraining in höherer Intensität werden nun auch an mindestens zwei Tagen pro Woche muskelkräftigende Übungen empfohlen. Dabei sollten alle großen Muskelgruppen berücksichtigt werden, also Bein-, Arm-, Brust-, Bauch-, Schulter- und Rückenmuskulatur.

So weit, so gut. Aber wie sieht nun das richtige Training aus? Für Froböse ist der Schlüssel vor allem die Intensität. "Viele packen die Muskulatur in Watte. Da wird dann Ausdauertraining gemacht und halt ein bisschen Kraft dazu." Das reiche jedoch bei weitem nicht aus, um dem Muskel genügend Trainingsreize zu geben.

Wenn es darum geht, Kraft aufzubauen, dann sollte eine Muskelgruppe mit zehn bis zwölf Wiederholungen trainiert werden. Dabei ist es wichtig, dass die Muskulatur bei der letzten Wiederholung ausbelastet, also keine weitere Wiederholung mehr möglich ist. Anfangs reicht bei vielen dafür bereits das eigene Körpergewicht. Später können Gewichte das Training intensivieren. Fortgeschrittene können ein Set mit zwölf Wiederholungen bis zu dreimal ausführen.

Etwas anders sieht das Training mit zunehmendem Alter aus. Weniger Wiederholungen mit viel Gewicht sind vor allem für die weißen Muskelfasern wichtig. Vier bis sechs Wiederholungen sind ideal, und man sollte dabei keine Angst vor viel Gewicht haben. Der Sportwissenschafter betont: "Nur so schafft man es, die weißen Muskelfasern, die bei den meisten älteren Menschen nicht mehr oder nur kaum vorhanden sind, wieder zu aktivieren." Und nur so könne man effektiv der Sarkopenie vorbeugen. Denn der Muskelschwund im Alter entsteht primär aus dem Verlust der weißen Muskelfasern.

Muskelmasse prüfen

Da die Muskulatur in der ärztlichen Diagnostik bisher so gut wie keine Rolle spielt, wissen aber sehr viele Menschen einfach nicht, wie es um ihre Muskelmasse bestellt ist. Idealerweise sollten Männer um die 40 Prozent Muskelmasse besitzen, Frauen zwischen 30 und 35 Prozent. Diese Werte erreichen allerdings nur die wenigsten, sagt Froböse. Wer seine Muskelmasse testen möchte, kann dies in gut ausgestatteten Fitnessstudios oder beim Sportmediziner tun. Und für ältere Personen hat der Experte einen simplen Trick, um herauszufinden, wie es um die Muskelkraft bestellt ist: "Wenn man es nicht schafft, innerhalb von 15 Sekunden fünfmal ohne Hilfe der Arme von der Couch oder von einem Sessel aufzustehen, kann man davon ausgehen, dass man innerhalb der nächsten zwei Jahre pflegebedürftig wird." Die Leistungsfähigkeit der Beinmuskulatur sei nämlich extrem wichtig für die Selbstständigkeit und Mobilität im Alter.

Aber selbst wer diesen Test nicht mehr schafft, kann noch aktiv etwas tun. Denn die Muskulatur ist in jedem Alter trainierbar. Darum betont Froböse auch, wie wichtig es wäre, die Muskulatur in die ärztliche Diagnostik einzubeziehen. "Aber keiner fragt nach der Muskulatur, niemand schaut dort hin. Dabei ist gerade dieser Verlust die Ursache für viele Krankheiten." (Jasmin Altrock, 28.9.2023)