David Sedaris
Mit Wokeness fängt David Sedaris nichts an.
APA/ROLAND SCHLAGER

David Sedaris hat ein Lieblingsstoffgeschäft in Wien. Ein kleines, das von der Zeit vergessen worden ist, wie er sagt. Ein Dutzend Male war er zu Lesungen hier, am Montagabend stellte er im Gartenbaukino seine neuen Bücher Bitte Lächeln! und Kleine Happen (bei Blessing) vor. Diesmal hatte er wegen des engen Zeitplans aber keine Zeit für Shopping. Nahm sich der gebürtige US-Amerikaner beim letzten Wien-Besuch noch einen hölzernen Jesuskopf aus einem Antiquitätenladen mit in seine Wahlheimat England, hat ihn diesmal immerhin der Kauf eines Kaffees bezaubert. Ob er die Bestellung noch einmal auf Deutsch versuchen könne, das er seit ein paar Jahren lernt, fragte er die beiden Damen hinterm Tresen. Er durfte. Gut gelaunt taucht er also leicht verspätet zum Gespräch auf.

STANDARD: Sie sprechen Deutsch?

Sedaris: Ich versuche es zu lernen. Ich mag den Klang und wie es zusammengesetzt wird, und lache viel, weil es für mich manchmal dumm und wie erfunden klingt. Vor ein paar Tagen habe ich mir in Zürich ein Wörterbuch gekauft, konnte darin aber das Wort "again" nicht finden. Da habe ich realisiert, dass es ein Wörterbuch für Bauarbeiter ist. Ich kann nun Wörter wie Wasser-Zement-Verhältnis nachschlagen.

STANDARD: Haben Sie für alles eine Anekdote?

Sedaris: Die meisten Menschen vergessen Dinge, ich trage aber ein Notizbuch mit mir herum und denke ständig daran, dass eine Szene im nächsten Buch auftauchen könnte. Manchmal schaue ich bloß auf meine Notizen und kann schon den ganzen Tag eine Geschichte formen.

STANDARD: Donald Trump steht kommendes Jahr vor Gericht, wird aber vielleicht trotzdem wieder US-Präsident, die Klimakrise trifft uns gerade hart. Verlieren Sie je den Humor?

Sedaris: Mein Vater war ein Trump-Unterstützer, mein Bruder ist einer. Alle Nachrichten, die sie verfolgt haben, kamen aus einer Blase. Ich kenne auch Linke, die das tun, das ist nicht gut. Man kann aber alles mit Humor nehmen. Es ist wohl auch eine Frage des Alters. Wenn man 66 ist, war die Welt immer schon am Rande des Abgrunds. Wenn junge Menschen in den USA sagen, Schwulenrechte seien nie so sehr in Gefahr gewesen wie heute, denke ich, als ich jung war, konnte man nicht im Job offen schwul sein. Aber das Level der Mikroaggression ist heute hoch.

STANDARD: Was meinen Sie damit?

Sedaris: Menschen lieben Inklusion. Wenn ich einen Laden mit einer Regenbogenflagge sehe, die signalisieren soll, jeder ist willkommen, denke ich mir aber: Es ist doch okay, manchmal ausgeschlossen zu sein! Man zerfällt nicht in tausend Stücke, wenn jemand einen nicht mag. Genießt es, zu sein, wie ihr seid, und lernt, mit dem Rest klarzukommen!

STANDARD: Das ist in Zeiten von Wokeness und Cancel-Culture keine sehr populäre Meinung. Spüren Sie das?

Sedaris: Diese Debatten beeinflussen nicht, was ich schreibe. Wohl aber, was erscheint. Ich kann nicht mehr so viele Sachen veröffentlichen wie früher. Auch Verleger wissen nicht mehr, was rassistisch ist, und nehmen deshalb sicherheitshalber an, alles sei rassistisch.

STANDARD: Wir sind übersensibel?

Sedaris: Ich bin immer neugierig zu sehen, was auf der anderen Seite ist. Ich kenne diesen Mann, der gerade in Transition ist, also eigentlich ist es eine Frau. Sie hat mir geschrieben, dass sie nicht als trans Frau identifiziert werden will. Was soll sie tun? Ich habe geantwortet, dann soll sie aufhören, über trans zu sprechen. Ich schreibe zum Beispiel nicht darüber, schwul zu sein. Ich war immer ehrlich, habe mich nie geschämt, aber es auszuwalzen ist nicht mein Ding. Ich schreibe darüber, ein Leben mit jemandem zu teilen, das ist eben mein Freund Hugh. Nur zehn Prozent meines Lesungspublikums in den USA sind queer.

STANDARD: Sie und Hugh sind seit über 30 Jahren zusammen. Ein Tipp?

Sedaris: Reden Sie nie über Ihre Beziehung! Sie welkt, wenn man sie analysiert. Wenn Hugh und ich streiten, denke ich fünf Minuten später ans Einkaufen oder so. Wenn Sie jemanden finden, der alles reparieren kann und kocht, bleiben Sie mit ihm zusammen! Das reicht.

David Sedaris
David Sedaris hat gut lachen: Im neuen Buch erzählt er, wie er sich die Zähne richten ließ.
APA/ROLAND SCHLAGER

STANDARD: Sie schreiben sehr offen über sich. "Kleine Happen" versammelt Tagebucheinträge, in "Bitte lächeln!" erzählen Sie, wie Ihr Vater, als Sie als Kind Bauchschmerzen hatten, Ihren nackten Hintern begutachtet hat oder wie er Ihre Schwester Lisa nackt fotografieren wollte. Oder über Ihre vielen Immobilien ... Braucht es Überwindung, so offen zu sein?

Sedaris: Ich halte es für eine Beleidigung für arme Menschen, wenn Reiche so tun, als hätten sie kein Geld. Aber ich erzeuge ja nur die Illusion, so offen zu sein. Ich gebe nicht meine Seele her. Zugleich würde ich nicht über etwas schreiben, wenn, was ich schreibe, nicht ehrlich wäre. Je peinlicher etwas ist, umso besser können Menschen sich dazu in Beziehung setzen. Wir machen ja alle ziemlich dieselben Erfahrungen.

STANDARD: Worüber schreiben Sie also nicht?

Sedaris: Guter Humor schließt ein bisschen Gemeinheit ein. Als ich jünger war, habe ich aber einmal eine Freundin besucht, auf deren Couchtisch ein Brief von einem Freund lag, in dem es um mich ging. Gott, darin standen Dinge, die mich verletzt haben! Zurückblickend denke ich mir, oh, ja, du hattest recht. Aber ich will nicht, dass sich meinetwegen jemand so fühlt wie ich mich damals. Ich würde nie in einem Buch schreiben, jemand sei langweilig. In mein Tagebuch schreibe ich es natürlich. Und wenn’s sein muss, sage ich jemandem so etwas ins Gesicht.

STANDARD: Wann muss es sein?

Sedaris: Nach einer Lesung habe ich einmal zu einer Frau aus dem Publikum gesagt, dass ich sie grauenhaft finde. Jemand musste es ihr sagen. Als ich noch in der Schule war, hat ein Lehrer eine Klassenkameradin zum Weinen gebracht. Ich habe nichts getan – man muss sich selbst Dinge vergeben, die man mit zwölf Jahren getan hat. Aber ein anderes Kind ist aufgestanden, hat gesagt, es reicht. Da dachte ich: Das ist Mut! Das ist die Art von Mensch, die man sein will.

STANDARD: Schreiben Sie deshalb?

Sedaris: Nein, ich bin ein Feigling.

STANDARD: Vielleicht dann im Alter?

Sedaris: Es ist einfacher, sich seinen Tod vorzustellen, als alt zu sein, nach einem Schlaganfall, einsam. Es sollte einen Tag im Jahr geben, an dem man Verwandte, die "Gemüse" sind, zum Grand Canyon bringt. Man schaltet das Licht aus – wenn sie stolpern und fallen, ist es halt so.

STANDARD: Das dürfte sich nicht etablieren. Trotzdem, wie macht man sein Leben bis zum Canyon besser?

Sedaris: Legen Sie das Handy weg! Es ist so viel einfacher, daran erinnert zu werden, wie beschissen die Welt ist, wenn man am Handy hängt. Mein Rekord beim Signieren von Büchern sind zehneinhalb Stunden, dafür antworte ich nicht auf Tweets. Bis zu einem gewissen Grad kann man sich aussuchen, in welcher Welt man lebt. Ich will keine wütenden Menschen irgendwo. Als ich den Kaffee vorhin noch einmal bestellen durfte, waren die Damen reizend und geduldig. Ich will das! (Michael Wurmitzer, 14.9.2023)