Ursula von der Leyen hinter dem Rednerpult im Europäischen Parlament.
Ursula von der Leyen ließ in ihrer Rede offen, ob sie für eine weitere Amtszeit als Chefin der EU-Kommission zur Verfügung steht.
EPA/JULIEN WARNAND

Wenig subtil war der Seitenhieb, den Ursula von der Leyen am Mittwoch in ihre vierte – und womöglich letzte – Rede zur Lage der Union in Richtung Wien packte. Rumänien und Bulgarien, immerhin seit 2007 im Klub der EU-Staaten, müssten "ohne weiteren Verzug" auch in den Schengenraum aufgenommen werden, forderte die EU-Kommissionspräsidentin vor den Mitgliedern des Europäischen Parlaments in Straßburg. Im Juli hatten sich selbige schon mit großer Mehrheit für die Aufnahme ausgesprochen.

Auch wenn von der Leyen Österreich nicht beim Namen nannte, ist klar, dass die Kritik der schwarz-grünen Bundesregierung galt. Schließlich blockiert Österreich, das die beiden Staaten als Transitraum von Migrantinnen und Migranten betrachtet, seit vergangenem Jahr per Veto die Erweiterung. Von der Leyen, die das EU-Parlament sowie den Europäischen Rat zu mehr Tempo bei der Reform der EU-Migrations- und Asylpolitik mahnte, betonte in ihrer Rede, dass man den Grenzschutz in der Union verstärkt habe. Bulgarien und Rumänien seien hier mit gutem Beispiel vorangegangen. Österreichs Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) konterte von der Leyen: Die Schengen-Erweiterung mache zumindest zum jetzigen Zeitpunkt "keinen Sinn".

Kampf gegen Schlepper

Überhaupt war das Thema Migration eines der Kernthemen in dem knapp einstündigen, teils auf Englisch, teils auf Französisch absolvierten Parforceritt von der Leyens durch die verschiedenen Arbeits- und Problemfelder, mit denen es die EU aktuell zu tun hat. Immer mehr Menschen würden durch Kriege, den Klimawandel und politische Instabilität aus ihrer Heimat vertrieben, betonte sie. Bestehende Gesetze müssten effektiver angewandt werden, die EU-Grenzschutzagentur Frontex mit größeren Befugnissen ausgestattet und Schlepper härter verfolgt werden: "Es ist Zeit, diesem skrupellosen und verbrecherischen Geschäft ein Ende zu bereiten."

Beim Thema Klimaschutz, den die Deutsche mit dem von ihrer Kommission konzipierten Green Deal voranbringen will, kündigte sie Maßnahmen an, die der Industrie helfen sollen, die Klimavorgaben umzusetzen und dabei wettbewerbsfähig zu bleiben: "Wir haben die Klimaagenda zu einer wirtschaftlichen Agenda weiterentwickelt."

Von allzu großen Konzessionen gegenüber jenen, die sich ein Aufweichen des Green Deals wünschten, wollte von der Leyen aber nichts wissen. Vor allem aus den Reihen ihrer eigenen Fraktion, der Europäischen Volkspartei (EVP), waren zuletzt Stimmen laut geworden, die auf Kompromisse mit der Landwirtschaft und der Industrie drängten. "Wir werden auf Kurs bleiben", hielt von der Leyen fest.

Streit über Chinas E-Autos

Gegenüber China wurde von der Leyens Ton beim Thema Elektromobilität aber kämpferischer. Sie warf Peking vor, die Weltmärkte mit billigen, staatlich geförderten Elektroautos zu "überschwemmen" und kündigte eine Wettbewerbsuntersuchung an. Der Preis der chinesischen E-Autos werde durch staatliche Unterstützung gedrückt, was den Markt verzerre: "Wir müssen uns gegen unfaire Praktiken wehren." Man wolle aber mit China im Gespräch bleiben, betonte von der Leyen. Der ehemalige EZB-Präsident Mario Draghi werde zudem einen Bericht über die Wettbewerbsfähigkeit der EU erstellen.

Anders als im Vorjahr stand der russische Überfall auf die Ukraine diesmal nicht am Beginn der Rede zur Lage der Union. Und doch betonte die Kommissionschefin auch am Mittwoch die Solidarität der Europäischen Union mit dem angegriffenen Land – "so lange wie nötig". Die Ukraine, die gemeinsam mit Moldau Mitte 2022 EU-Beitrittskandidatin wurde, habe "große Schritte" gemacht, ein Vollbeitritt bedürfe aber noch "harter Arbeit", erklärte von der Leyen. Was für das kleine Moldau gilt, gilt umso mehr für die Ukraine, die sich im Krieg befindet. Die EU-Kommission werde zudem vorschlagen, dass der vorübergehende Schutzstatus von Flüchtenden aus der Ukraine verlängert wird.

Weil im kommenden Juni Wahlen zum Europäischen Parlament anstehen, ist aber auch ihre eigene Zukunft nicht sicher. Klar ist, dass die 64-Jährige ihre Rede auch dafür nutzte, ihre Bilanz als Kommissionspräsidentin zu verteidigen. Ob die Christdemokratin, die vor vier Jahren zur Kommissionspräsidentin gekürt wurde, noch einmal antritt, ließ sie aber – vorerst – offen. (Florian Niederndorfer, 13.9.2023)