Suche nach Überlebenden
Suche nach Überlebenden in Derna.
AP/Yousef Murad

Benghazi/Tripolis – Rettungsteams suchen in den Trümmern weiter nach Überlebenden, doch die Hoffnung, Menschen lebend zu finden, schwindet. Videos in sozialen Medien zeigen Fahrzeugkolonnen, die Tote abtransportierten, auf anderen Aufnahmen treiben Leichen im Meer. Geborgene Opfer wurden in Leichensäcken in Massengräbern verscharrt. Auch in anderen Teilen des Bürgerkriegslandes herrscht weiter der Ausnahmezustand.

Video: Libyen-Katastrophe "epischen Ausmaßes"
AFP

Die Zahl der Todesopfer in den Überschwemmungsgebieten in Libyen könnte Befürchtungen zufolge noch sehr deutlich steigen. Besonders grauenhaft ist die Lage in der Hafenstadt Derna. "Wir erwarten eine sehr hohe Zahl von Opfern. Ausgehend von den zerstörten Bezirken in der Stadt Derna können es 18.000 bis 20.000 Tote sein", sagte Bürgermeister Abdel-Moneim al-Gheithy dem arabischen Fernsehsender Al-Arabija. Laut der libyschen Hilfsorganisation Roter Halbmond gibt es in Derna mittlerweile mehr als 11.000 Tote.

Uno: Mehrzahl der Opfer hätte vermieden werden können

Die Mehrzahl der Todesopfer bei den Überschwemmungen hätte nach Ansicht der Uno vermieden werden können. Dafür wären ein funktionierendes Warnsystem vor der drohenden Katastrophe sowie ein besseres Krisenmanagement notwendig gewesen, erklärte am Donnerstag die Uno-Weltwetterorganisation (WMO).

Wenn es in dem von jahrelangem Bürgerkrieg zerrütteten Land eine bessere Koordination gegeben hätte, dann hätten Warnungen ausgegeben und die Bevölkerung evakuiert werden können, sagte WMO-Vertreter Petteri Taalas vor Journalisten. "Und wir hätten die meisten der menschlichen Opfer vermeiden können."

Humanitäre Hilfe

Unterdessen gibt es verzweifelte Rufe nach mehr humanitärer Hilfe für die Überlebenden. Allein in Derna sind mehr als 30.000 Menschen obdachlos geworden, wie die Internationale Organisation für Migration auf X (vormals Twitter) mitteilte. 10.000 Menschen galten als vermisst. Im gesamten Katastrophengebiet leben nach Einschätzung des Uno-Nothilfebüros (Ocha) 884.000 Menschen. Mindestens 250.000 von ihnen seien dringend auf Hilfe angewiesen, teilte das Büro am Donnerstag in Genf mit. Dafür seien umgehend 71,4 Millionen Dollar (rund 67 Millionen Euro) Soforthilfe nötig, um die Menschen drei Monate lang zu unterstützen. Ocha appellierte an Regierungen in aller Welt, zügig Geld zur Verfügung zu stellen. Um die Einsätze zu starten, hat Ocha-Chef Martin Griffiths eine erste Tranche von zehn Millionen Dollar (9,32 Millionen Euro) aus einem Notfalltopf freigegeben.

Der Sturm Daniel hatte am Sonntag das nordafrikanische Land erfasst. Nahe Derna brachen zwei Dämme, ganze Viertel der 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner zählenden Stadt wurden ins Meer gespült. Ganze Straßenzüge sind unter meterhohem Schlamm versunken. Die Stadt sei nach Auswertung von Satellitenbildern womöglich zu einem Drittel zerstört worden, berichtete Ocha. Mehr als 2.200 Gebäude dürften durch die Überschwemmungen zerstört oder in Mitleidenschaft gezogen worden sein.

Notfallteam soll in Derna eintreffen

Das deutsche Technische Hilfswerk brachte Hilfslieferungen auf den Weg. Es handelt sich nach Angaben der Organisation um 100 Zelte mit Beleuchtung, 1.000 Feldbetten, 1.000 Decken, 1.000 Isomatten und 80 Stromgeneratoren. Auch die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen kündigte für Donnerstag die Ankunft eines Notfallteams in Derna an. Es bestehe aus Logistikern und medizinischem Personal, gab die Organisation bekannt. Man bringe zudem Notfallausrüstung zur Behandlung von Verletzten und Leichensäcke für Libyens Wohlfahrtsorganisation Roter Halbmond.

Neben Derna sind auch andere Städte wie Al-Baida, Al-Mardsch, Susa und Schahat betroffen. "Wir brauchen einfach Leute, die die Situation verstehen – logistische Hilfe, Hunde, die Menschen riechen können und sie aus dem Boden holen. Wir brauchen einfach humanitäre Hilfe, Leute, die wirklich wissen, was sie tun", sagte ein libyscher Arzt, der in einer Klinik nahe Derna arbeitet, dem britischen Sender BBC.

Satellitenbilder vor und nach der Flutkatastrophe
Satellitenbilder vor und nach der Flutkatastrophe zeigen das Ausmaß der Zerstörung in der Stadt Derna.
via REUTERS/Maxar Technologies

Die Sorge gelte auch den Hunderttausenden von Flüchtlingen und anderen Migranteninnen und Migranten aus mehr als 40 Ländern, für die Libyen das Sprungbrett nach Europa sei, berichtete die Zeitung "Arab News" mit Sitz in Saudi-Arabien. Auch unter diesen Menschen dürfte es Opfer geben, die von den Überschwemmungen mitgerissen wurden, hieß es.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) rechnet mit einem langen Erholungsprozess. "Es wird viele Monate, vielleicht Jahre dauern, bis die Anrainer sich von diesem riesigen Ausmaß an Zerstörung erholt haben", meinte Yann Fridez, Leiter der Libyen-Delegation beim IKRK, am Donnerstag. (APA, red, 14.9.2023)