Franz Grillparzer
Franz Grillparzer (1791-1872), fotografiert von Ludwig Angerer, in den späten Jahren seines Lebens. Da hatte er seine letzte beschwerliche und von der Verdauung her todgefährliche Reise schon gut 30 Jahre hinter sich.
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Am 3. September 1843 befielen den Dichter im heutigen Bratislava am achten Tag seiner Reise, gut 60 Kilometer von Wien entfernt bei einem längeren Zwischenstopp, ernsthafte Zweifel an der Sinnhaftigkeit seines Tuns: "Um halb zwei Uhr nach Mitternacht aufgewacht. Schweiß. Heftiger Puls, aber der Durchfall, der gestern nachmittags heftig geworden war, meldet sich nicht. Sonst recht üble Empfindung. Denke schon an die Möglichkeit, auf dieser Reise zu sterben."

Wie der jetzt bei Jung und Jung wiederveröffentlichte Band Das habe ich mir anders vorgestellt – Tagebuch auf der Reise nach Griechenland von Franz Grillparzer belegt, war der heimische "Nationaldichter" einer, der zwar ungern verreiste. Daheim aber war es dank Arbeitsunterforderung als hoher Beamter, des Misserfolgs seines Lustspiels Weh dem, der lügt! und der wohl nicht gerade runden Beziehung mit seiner Dauerverlobten Katharina Fröhlich auch so bestellt, dass Grillparzer zum Lachen am liebsten in den Keller ging.

Gezeichnet von einer "brütenden Lethargie", in mit 52 Jahren "vorgerücktem Alter" sowie mit "gebrechlicher Gesundheit" geschlagen, machte er sich trotz "hypochondrischer Unentschlossenheit" auf einem Dampfschiff auf. Die Donau hinunter sollte es ans Schwarze Meer gehen, über Konstantinopel nach Troja – und schließlich nach Athen. Das alte Griechenland mit seinen Schätzen lockte. Fünf Wochen später stand er schließlich vor der Akropolis. Nicht einmal eines der größten Monumente der Antike konnte bei ihm ein kleines bisschen Begeisterung auslösen. Grillparzer bot sich ein Anblick der "Zerstörung".

Der Durchfall des Lebens

Wie später in der zu Grillparzers Zeiten noch nicht erfundenen Psychologie festgestellt wurde, liegt das Hauptproblem des Reisens in die Fremde nicht in der Fremde begründet. Blöderweise nimmt man sich auf einer Reise immer selbst mit. So ein bitzelnder Reisebegleiter kann einem die Angelegenheit ganz schön verderben.

Grillparzer besuchte auf seinem Weg zu den alten Griechen also grottenschlechte Opernaufführungen. Die Füße und das Kreuz schmerzten ihn vom Kopfsteinpflaster in der k. u. k. Provinz. Der Regen prasselte auf ihn nieder, Stürme erschütterten die morschen Knochen. Die langweilige Landschaft zog vorbei. Die anderen Reisenden gingen ihm mit ihren hässlichen Fremdsprachen auf die Nerven. Die Quartierpreise waren schon damals völlig überzogen. Bei Konstantinopel schaute es draußen im Gemüse auch nur aus wie in der damaligen Wiener Sommerfrische Weidling bei Klosterneuburg.

Wohl aufgrund einer Ahnung, was da alles an übler Laune und Defätismus auf ihn zukommen werde, hatte sein ursprünglich von Wien an "vorausgesetzter Reisegefährte", ein Freiherr Ferdinand Mayerhofer von Grünbühel, kurzfristig abgesagt. Er stieß erst später dazu. Vor allem die "schmierige orientalische Fettküche" drohte unseren tapferen Helden Grillparzer niederzustrecken. Immer wieder quälten ihn Übelkeit und Durchfall. Er bekämpfte sie mit Rotwein, um das möglicherweise vergiftete Wasser in der Fremde zu meiden. Grillparzer dichtete am 23. September: "Schon bin ich müd zu reisen / Wär’s doch damit am Rand! / Vor Hören und vor Sehen / Vergeht mir der Verstand."

Zum Trost ein gutes Papperl

Es gibt in der Literaturgeschichte kaum einen anderen Menschen, der so ungern von daheim weggefahren ist, wie Franz Grillparzer. Der sollte nach seiner Reise zu Goethe in Weimar, pflichtschuldig nach Italien und dem Abklappern von London, Paris und "Griechenland" seine verbliebenen drei Jahrzehnte lieber zu Hause bleiben und sich von zwei von vier Schwestern Fröhlich leidlich umsorgen lassen. Der Mann war bezüglich Mieselsucht echt hart drauf. Kurz gesagt, dieses Buch ist der auf die Schenkel klopfende Hammer der Saison! Was gibt es Lustigeres als Menschen ohne Humor?

Der Schotte William Lithgow hatte es übrigens schon 300 Jahre früher vorgemacht (siehe: Die wunderbaren Irrfahrten des William Lithgow). Unfreiwillig. Auf der Flucht vor den tobsüchtigen Brüdern einer Angebeteten, die ihm beide Ohren abgeschnitten hatten, floh er sehr weit ins Land der ohrenverdeckenden Turbane in den arabischen Mittelmeerraum. Schwerster Fehler. Lithgow mochte die Fremde nicht. Inklusive Sklaverei, fremder Kulturen, miesem Essen, grauenhafter Sprachen - und schließlich bei der Heimkehr über Spanien auch noch im Folterkeller der Inquisition: der Mann ließ nichts aus. Da fahren wir jedenfalls nicht mehr hin!

Mitte Oktober 1843 geriet Grillparzer in Athen kurz vor der ersehnten Heimreise auch noch in die dortigen Revolutionswirren. Als deutschsprachiger Mensch hatte er Angst, für einen Bayern gehalten zu werden. Einer von denen regierte damals reichlich umstritten einen Teil des Landes. Das aber ist eine andere Geschichte. Grillparzer reiste nach einer längeren, selbstverständlich unerträglichen "Quarantäne" über Triest heim nach Wien und fügte sich dort ins Biedermeier. Sein abschließendes Urteil: "War froh, wieder fortzukommen. Warum? Weil ich mich nicht freute, herzukommen." Hoffentlich gab es, endlich wieder daheim, im November 1843 bei der Verlobten zum Trost ein gutes Papperl. Das sich für uns Überlebende des Auslands mit seiner Fremde aufdrängende Wiener Schnitzel wurde übrigens schon 1831 das erste Mal in einem österreichischen Kochbuch erwähnt. (Christian Schachinger, 15.9.2023)