Kaum mehr als ein Jahr ist es noch bis zur nächsten Präsidentenwahl in den Vereinigten Staaten. Angesichts des globalen Vormarschs der Demokratiefeinde, des russischen Vernichtungskrieges in der Ukraine und der ökonomischen Sorgen vieler Bürger sollte es an Themen nicht mangeln. Doch von Tag zu Tag wird klarer, dass der Wettstreit um das Weiße Haus von zwei Strafprozessen überlagert wird – einem gegen den mutmaßlichen republikanischen Kandidaten Donald Trump. Und einem gegen den Sohn des demokratischen Amtsinhabers.

Hunter und Joe Biden.
Hunter Biden (links) wird im Wahlkampf zu einer Belastung für seinen Vater Joe.
AP/Andrew Harnik

Die nun eröffnete Anklage gegen Joe Bidens Sohn Hunter kommt nicht überraschend. Sie ist die Folge eines im Juni geplatzten Versuches, dessen Vergehen in der Zeit seiner Drogenabhängigkeit außergerichtlich auszuräumen. Konkret wirft die Ermittlungsbehörde dem 53-Jährigen vor, dass er beim Kauf eines Revolvers im Oktober 2018 fälschlich behauptete, keine Drogen zu konsumieren, und die Waffe dann elf Tage illegal besaß, bis seine damalige Geliebte sie entdeckte und im Müll entsorgte.

Video: Hunter Biden wegen illegalen Waffenbesitzes angeklagt.
AFP

Fatale Verknüpfung

Verglichen mit Trumps unerhörtem Versuch, das Ergebnis einer demokratischen Wahl eiskalt und notfalls mit Gewalt ins Gegenteil zu verkehren, klingt das beinahe marginal. Doch wäre es fatal, die öffentliche Wirkung eines Hunter-Biden-Prozesses in der heißen Wahlkampfphase zu unterschätzen. Nicht nur könnte der Staatsanwalt weitere Verfahren gegen den präsidialen Problemsohn eröffnen – etwa wegen verspätet gezahlter Steuern und fragwürdiger Geschäfte mit ausländischen Geldgebern. Vor allem werden Republikaner und rechte Medien alles tun, um Joe Biden mit dem Fehlverhalten seines Sohnes zu verknüpfen und so die Erzählung vom "kriminellen Biden-Clan" zu befeuern.

Die vom ultrarechten Republikaner-Flügel erzwungene Eröffnung eines Impeachment-Verfahrens gegen den Präsidenten ist der erste Schritt. Anlass sind die windigen Geschäfte Hunter Bidens in der Ukraine und in China zur Zeit der Vizepräsidentschaft seines Vaters, dessen Namen er offenbar zu Geld machte. Für eine Verwicklung von Joe Biden in die Deals gibt es jedoch keinerlei Belege. Die mit großem Getöse eröffnete Untersuchung ist eine reine "fishing expedition": der Auswurf eines großen Netzes, das irgendetwas zutage fördern soll.

Es wird sehr wahrscheinlich etwas hängenbleiben – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung angesichts der schockierenden Bilder vom koksenden Hunter Biden mit Prostituierten, des Dauerspotts über ein kriminelles Familiensyndikat und der emotionalen Unfähigkeit Joe Bidens, sich von seinem gestrauchelten Sprössling zu distanzieren. Der 53-Jährige ist längst zu einer schweren Bürde für den Vater geworden. Nun droht sein schlagzeilenträchtiger Prozess die politischen Erfolge des Präsidenten zu verdunkeln und die kriminellen Machenschaften des republikanischen Herausforderers zu relativieren. Irgendwie, so scheint es, sind ja alle Politiker korrupt – zumindest haben viele in den USA diesen Eindruck. Dieses Narrativ ist unfair und falsch. Für die angeschlagene amerikanische Demokratie ist es brandgefährlich. (Karl Doemens, 15.9.2023)