Im Gastblog schreibt Volker Schönwiese über die Untätigkeit Österreichs bei der Einhaltung der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK).

Österreich ist vom Committee on the Rights of Persons with Disabilities der Uno in Genf in einem offiziellen "konstruktiven Dialog" überprüft worden, ob es die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) einhält. Der Umgang Österreichs mit Menschenrechten ist damit wieder einmal auf dem Prüfstand. Es war schon vor der aktuellen Staatenprüfung klar, dass Österreich die Empfehlungen der Uno aus dem Jahr 2013 mangelhaft umgesetzt hat und Kritik ernten würde. Nun liegen neuerlich Anmerkungen und Handlungsempfehlungen des UN-Ausschusses vor.

Das Gebäude der Vereinten Nationen in Genf mit Fahnen davor.
Als Mitglied der Zivilgesellschaftsdelegation von NGOs bei der Staatenprüfung in Genf konnte ich aus der Nähe beobachten, wie die Staatendelegation mit der zu erwartenden Kritik umgegangen ist.
imago images/Steinach

Wir müssen ja nicht – der "Erfüllungsvorbehalt" bei Menschenrechten

Als Mitglied der Zivilgesellschaftsdelegation von NGOs bei der Staatenprüfung in Genf konnte ich aus der Nähe die Strategie der Staatendelegation beobachten, wie diese mit der zu erwartenden Kritik umgegangen ist. Im Grunde ging und geht es um die Haltung Österreichs, die schon bei der einstimmigen Ratifizierung der BRK im Nationalrat im Jahr 2008 erkennbar war. In den Erläuterungen zu dem entsprechenden Gesetz wurde formuliert: "Es ist davon auszugehen, dass die im Übereinkommen festgelegten konkreten Rechte inhaltlich bereits vor Unterzeichnung des Abkommens in der österreichischen Rechtsordnung verankert sind."

Woher diese beruhigende Feststellung kommt, dass Österreich sowieso nichts ändern muss, ist völlig unklar. Österreich hat sich dennoch zusätzlich abgesichert, indem es die Konvention mit "Erfüllungsvorbehalt" ratifiziert hat. Das heißt, die BRK ist durch den Erfüllungsvorbehalt in Österreich rechtlich nicht unmittelbar wirksam, Österreich hat sich mit der Ratifizierung allerdings verpflichtet, Gesetze zur Umsetzung der BRK zu erlassen. Hat es das getan? Mehr als nur beschränkt und vieles nur zum Schein. Die weitgehende Untätigkeit, aber auch effektive Verschlechterungen in der Lage der Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen führen in der rechtlichen Konstruktion von internationalen Abkommen zwar zu keinen Sanktionen, sie beschädigen den internationalen Ruf von Österreich allerdings nachhaltig.

Das war in Genf bei der Staatenprüfung sehr deutlich zu spüren. Der Umfang der Fragen an Österreich war beim "konstruktiven Dialog" erheblich und außerordentlich kritisch. Eine Frage betraf zum Beispiel den Umgang Österreichs damit, dass auch die Europäische Union die BRK ratifiziert hat. Die EU schreibt dazu: "Das UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (BRK) ist das erste internationale rechtsverbindliche Instrument, das Mindeststandards für die Rechte von Menschen mit Behinderungen festlegt, und die erste Menschenrechtskonvention, der die EU beigetreten ist."

Tun-wir-so-als-ob-Strategie

In einem vom Sozialministerium in Auftrag gegebenen juristischen Gutachten, welche Verpflichtungen Österreich mit der Ratifizierung der UN-BRK eingegangen ist, wird festgestellt: "die von der Union geschlossenen Übereinkünfte als Unionsrecht (binden) die Organe der Union und die Mitgliedsstaaten, also auch Österreich. Der österreichische Erfüllungsvorbehalt ist unionsrechtlich ohne Bedeutung."

Genau das bestritt der Leiter der Staatendelegation in Genf wortreich, immer wieder wiederholte er: "It's not binding" ("Es ist nicht bindend"). Die Angst, dass der Erfüllungsvorbehalt infrage gestellt wird, auf den sich Österreich zurückzieht, um die BRK nicht wirklich strukturell umsetzen zu müssen, ist groß. Konsequent heißt es daher in den Handlungsempfehlungen: "Der Ausschuss empfiehlt, innerstaatliche Rechtsvorschriften zu erlassen, die gerichtlich einklagbare individuelle Rechte für alle in der Konvention garantierten individuellen Rechte vorsehen, oder den Erfüllungsvorbehalt zurückzunehmen." Das ist diplomatisch formuliert, auf diesem Parkett aber ungewohnt heftige Kritik an Österreich mit seiner politischen Tun-wir-so-als-ob-Strategie, die wir als gelernte Österreicher:innen aus so vielen politischen Bereichen kennen.

Verschlechterungen

Wenn eine Menschenrechtskonvention überhaupt einen Sinn hat, dann zuerst einmal den, dass Verschlechterungen verhindert werden. Wie die Zivilgesellschaftsdelegation bei der Staatenprüfung in Genf nachgewiesen hat, hat es in Österreich in den letzten zehn Jahren eine Reihe von der BRK widersprechenden unzulässigen Verschlechterungen gegeben, zum Beispiel:

Die Empfehlungen des UN-Ausschusses

Umfassten die Handlungsempfehlungen des UN-Ausschusses an Österreich noch circa acht Seiten, füllen 2023 die Handlungsempfehlungen schon 16 Seiten. Gegen Ende der Empfehlungen betont der UN-Ausschuss die Dringlichkeit von Maßnahmen: "Der Ausschuss unterstreicht die Bedeutung aller in den vorliegenden abschließenden Bemerkungen enthaltenen Empfehlungen. Im Hinblick auf dringend zu ergreifende Maßnahmen möchte der Ausschuss die Aufmerksamkeit des Vertragsstaates auf die Empfehlungen in den Ziffern 46 (Recht auf selbstbestimmtes Leben und Inklusion in der Gemeinschaft) und 56 (Recht auf inklusive Bildung) lenken."

Ein Mitglied des UN-Ausschusses ist Robert Martin aus Neuseeland, der als Person mit Lernschwierigkeiten aufgrund seiner Verdienste für die Vertretung von Menschen mit Lernschwierigkeiten von Queen Elizabeth II. zum Sir geadelt wurde. Er mahnte bei der Staatenprüfung Österreichs: "Sie sprachen davon, dass wir uns Zeit nehmen müssen, um die Institutionen zu deinstitutionalisieren. Ich möchte Sie wissen lassen, dass Institutionen Schaden verursachen. Schaden, der ein Leben lang anhält. Für alle Menschen, die in ihnen leben. Und für ihre Familien. Ich bin in einem Heim aufgewachsen. Und niemand sollte diese Erfahrung machen müssen. Deshalb fordere ich Sie auf, dringend Maßnahmen zur Deinstitutionalisierung zu ergreifen. Nutzen Sie die Richtlinien (der UN, Anm.) zur Deinstitutionalisierung in Österreich und auch die allgemeine Bemerkung Nr. 5 zu Artikel 19 (der BRK, Anm.)."

Wird Sir Robert Martin in Österreich gehört werden? Wird Österreich weiter die Ergebnisse der Staatenprüfung in Richtung struktureller Maßnahmen missachten wie nach 2013? (Volker Schönwiese, 18.9.2023)