Fieberhaft wurde zu Beginn der Corona-Pandemie nach Schutzausrüstung gesucht, als plötzlich ein Retter auftauchte: der Südtiroler Konzern Oberalp. Doch der Schein trügt. Über Oberalp gelangen mindestens hunderttausende fehlerhafte Schutzmasken in Umlauf, mittlerweile ermittelt die Justiz. Die Südtiroler Journalisten Christoph Franceschini und Artur Oberhofer haben den Fall in ihrem Buch "Das Geschäft mit der Angst" aufgearbeitet. DER STANDARD hat mit Franceschini gesprochen, der ein vernichtendes Urteil fällt. Für alle im Interview genannten Personen gilt die Unschuldsvermutung, und sie bestreiten die Vorwürfe.

STANDARD: Sie haben schon früh, im April 2020, das erste Mal über die Causa Oberalp berichtet. Wie kam es dazu?

Franceschini: Mitten in der ersten Corona-Welle wurde mir ein Gutachten des österreichischen Amts für Rüstung und Wehrtechnik (ARWT) zugespielt, das Masken aus Südtirol getestet hat. Die Prüfer kamen zum Schluss, dass man diese Masken nicht einsetzen kann, weil sie so große Qualitätsmängel haben. In Südtiroler Krankenhäusern waren sie da aber schon mehr als eine Woche im Einsatz. Das Gutachten ist vertuscht worden – und ich habe dann angefangen zu recherchieren. So ist dieser Maskenskandal losgegangen, bis hin zu einer staatsanwaltschaftlichen Ermittlung.

STANDARD: Die Geschichte beginnt mit einer Luftbrücke aus China. Worum ging es da?

Franceschini: Im Zentrum steht der große Südtiroler Konzern Oberalp, ein Hersteller und Wiederverkäufer von Sportkleidung, etwa von der Marke Salewa. Dort hatte man die Idee, Schutzanzüge und Atemmasken aus China zu importieren. Zu der Zeit gab es überall einen riesigen Mangel, auch bei den Südtiroler Sanitätsbetrieben. Im März kam es dann zur ersten Lieferung im Wert von 9,3 Millionen Euro. Das Problem war allerdings, die Masken von China nach Europa zu bekommen.

Christoph Franceschini in seinem Büro.
Christoph Franceschini gilt als einer der profiliertesten Investigativ-Journalisten in Südtirol.
Salto.bz

STANDARD: Wie hat man das gelöst?

Franceschini: Ursprünglich wollte man das mit dem Zivilschutz aus Rom machen, doch die hatten nicht ausreichend Maschinen. Da kam die Idee, dass man Österreich, für manche in Südtirol ja noch das "Vaterland", anrufen könne. Das ging über die Schiene von Landeshauptmann Arno Kompatscher zum damaligen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der sofort auf Verteidigungsministerin Klaudia Tanner verwiesen hat. Über deren Generalsekretär Dieter Kandlhofer baute man dann eine Luftbrücke mit AUA-Maschinen auf.

Eine FFP2-Maske, die in einen Mistkübel geworfen wird.
Die Masken, die Oberalp geliefert hat, waren teilweise mangelhaft und nicht einsetzbar.
APA/GEORG HOCHMUTH

STANDARD: Aber Österreich wollte dann selbst einen Teil vom Kuchen?

Franceschini: Zuerst war es eine Art bruderschaftliche Hilfe zwischen den Volksparteien, aber dann hat Oberalp-Chef Christoph Engl gemerkt, dass er sich schon im Vorzimmer der Macht befindet und ein Geschäft machen kann. Das Rote Kreuz hat sich dann für das Angebot interessiert, und man hat mit deren Tochterfirma für Einkäufe einen Vertrag abgeschlossen, der über 35 Millionen Euro ging. So hat man begonnen, auch Österreich zu beliefern – und auch da ist es so schiefgegangen, wie es in Südtirol schiefgegangen ist.

STANDARD: Sie sprechen von Vertuschungsaktionen. Was ist damit gemeint?

Franceschini: Schon im April 2020 gab es zwei Gutachten, zuerst ein vom Wirtschaftsministerium in Auftrag gegebenes und in Deutschland durchgeführtes, das den Masken zu große Abstände bei den Wangen attestierte. Das versuchte man zu retten, indem das Verteidigungsministerium das schon erwähnte beim Amt für Rüstung und Wehrtechnik in Auftrag gab – und das fiel noch schlechter aus. Aber Oberalp und das Verteidigungsministerium haben vereinbart, dass dieses Gutachten in Österreich und Südtirol unter Verschluss bleiben soll. Man hat alles dafür getan, damit die Öffentlichkeit nicht mitbekommt, dass mit diesen Masken etwas nicht stimmt.

STANDARD: Man hat also gewusst, dass diese Masken nicht für den Einsatz in der Pandemie geeignet sind, sie aber trotzdem zur Verwendung weitergeschickt und den Vertrag unterzeichnet?

Franceschini: In Südtirol haben die Behörden schon am 29. März vom ersten Gutachten erfahren. Die Mail dazu wurde allen Krankenhausdirektoren weitergeleitet, was dann dazu führte, dass der Generaldirektor des Sanitätsrats alle Empfänger aufgefordert hat, die E-Mail zu löschen. Das war die Vertuschungsaktion in Südtirol.

STANDARD: Und in Österreich?

Franceschini: Das Verteidigungsministerium hat das Rote Kreuz nicht über das Gutachten des Amts für Rüstung und Wehrtechnik informiert, das Rote Kreuz hat also im guten Glauben eingekauft. Als das Gutachten dann bekannt war, haben die blöd aus der Wäsche geschaut und versucht, das irgendwie zu korrigieren. Aus den Ermittlungsakten geht hervor, dass die politische Entscheidung für den weiteren Einkauf aus Sicht von Oberalp aus dem österreichischen Kanzleramt gekommen sei.

Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher.
Der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher (Südtirol) kommunizierte in Sachen Masken mit höchsten Vertretern der Republik.
APA/EXPA/JOHANN GRODER

STANDARD: Teilweise beschreiben Sie in Ihrem Buch nahezu groteske Vorfälle. Was hatte es mit den CE-Zertifikaten auf sich?

Franceschini: Das ist fast schon ein schlechter Witz: In den meisten Verträgen stand, dass die Masken CE-zertifiziert sein müssten. Das steht für Conformité Européenne, also europäischen Normen entsprechend. Dann ist man draufgekommen, dass CE im Fall dieser Masken für China Export stand. Insgesamt wurde der Vertrag dreimal abgeändert: Zuerst hieß es, es ginge um CE-zertifizierte Masken. Dann um Masken, die bald CE-zertifiziert sein würden – und dann stand plötzlich ein ganz anderer Standard als in der Anforderung drinnen.

STANDARD: Eine andere Szene beschreibt, wie Etiketten auf Kartons verändert wurden. Was ist da passiert?

Franceschini: Die chinesischen Zulieferfirmen haben von Anfang an gesagt, sie können liefern und produzieren, aber wir können keine Medizinprodukte exportieren. Deshalb stand auf den Masken "for civil use", nicht "for medical use". Deshalb meinte das Rote Kreuz, man könne das nicht kaufen. Oberalp verlangte dann von seinen Zulieferern, diesen Hinweis auf den Kartons zu tilgen. Als man nach ein paar Tagen bemerkte, dass der auf einem Etikett auf Chinesisch noch zu lesen war, tilgte man auch diese Schriftzeichen. Es ist klamaukhaft, aber es ging um mehrere Millionen Euro an Steuergeld.

STANDARD: Gab es bei den österreichischen Behörden niemanden, der das bemerkt hat und die Notbremse ziehen wollte?

Franceschini: Das Wirtschaftsministerium wollte nach einer Weile aus dem Vertrag aussteigen. Es gab aber große Angst davor, dass die Geschehnisse ans Tageslicht kommen, und ich glaube, deshalb wollte man das leise und einvernehmlich beilegen, was sehr gut für Oberalp war. Erst als sich die Finanzprokuratur und dann die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) eingeschaltet hatten, ließ es sich nicht mehr unter der Decke halten. Obwohl das Rote Kreuz der Oberalp sehr entgegengekommen ist.

STANDARD: Wie hat sich das ausgedrückt?

Franceschini: Als die Ministerien begonnen haben, Druck für einen Vertragsausstieg zu machen, hat es die Einkaufsgesellschaft des Roten Kreuzes geschafft, den Deal aufrechtzuerhalten. Als dann die Finanzprokuratur ihre Prüfungen begonnen hat, untersagte das Wirtschaftsministerium dem Roten Kreuz den direkten Kontakt zu Oberalp. Aus den Ermittlungsakten geht hervor, dass dann vereinbart wurde, über private E-Mail-Adressen und nicht nachverfolgbare Telefonnummern zu kommunizieren. Da ging es dann nicht mehr um die Interessen der Republik, sondern rein um ökonomische.

STANDARD: Damals waren schon Millionen an Masken im Umlauf, die ihre Träger weniger schützten als versprochen. Inwiefern ist das auch ein politisches Versagen?

Franceschini: Das politische Versagen ist absolut da. Es hat von Anfang an Anzeichen gegeben, dass die Masken nicht passen. Das Gutachten des Bundesheeres sagte klar, dass diese Masken nicht eingesetzt werden dürfen – und das ließ man in der Schublade verschwinden. Zwar war man damals in einer Krisensituation, dennoch hat man fahrlässig gehandelt. Es war der Politik wichtig, eine riesige Show abzuziehen und zu zeigen, wie Sebastian Kurz den Südtirolern hilft. Da gibt es auch Chats zwischen Kompatscher und Kurz.

STANDARD: In Südtirol gab es zu der Causa einen Untersuchungsausschuss, was ist da herausgekommen?

Franceschini: Im Buch wird anhand der Ermittlungsakten nachgewiesen, wie die Sanitätsdirektion Zeugen gecoacht und beeinflusst hat. Die Ladungsliste wurde vom damals amtierenden SVP-Landesrat für Gesundheit davor schon zusammengestrichen. Die Oberalp-Chefs wurden am Tag vor ihrer Aussage in der Generaldirektion des Sanitätsbetriebes gecoacht; man hat eine Generalprobe gemacht, was sie zu sagen hatten. Die Ermittler hatten laut Akten den Sitzungssaal verwanzt und haben das live mitbekommen, was bis heute niemand weiß. Der U-Ausschuss selbst hat kaum Erkenntnis gebracht, weil die Volkspartei mit ihrer absoluten Mehrheit eine Reinwaschung der Aktion versucht hat. Es gab nur einen kleinen Rüffel.

STANDARD: Würden Sie auch der österreichischen Politik einen U-Ausschuss dazu empfehlen?

Franceschini: Wenn an der Spitze des Verteidigungsministeriums solche Sachen passieren und es um ein Millionengeschäft mit Steuergeld geht, dann ist das untersuchenswert. In keinem der von den Ermittlern abgehörten Gespräche soll es je um die Sicherheit der Menschen gegangen sein. Man hat mit dem Leben der Menschen gespielt, aber nur an die Dollars gedacht, die man verdienen kann. Das ist eine zynische, menschenverachtende Politik.

STANDARD: Gilt das Ihrer Meinung nach auch für das Rote Kreuz?

Franceschini: Die Republik hat der Einkaufs-GmbH des Roten Kreuzes ja 170 Millionen Euro zum Ankauf von Schutzmaterialien überwiesen; das Tochterunternehmen hat davon 1,5 Prozent Provision bekommen. Die Geschichte zeigt, dass das eine wichtige Finanzierung für diese Gesellschaft war. Rotkreuzmitarbeiter haben Oberalp sogar geraten, die Republik zu klagen. Es ist klar, wo hier die Loyalitäten lagen. Was dahinter ist, kann sich jeder selbst denken. (Fabian Schmid, Michael Nikbakhsh, 19.9.2023)