Maja Haderlap
Maja Haderlap erzählt in ihrem neuen Roman mit viel Schwermut und Lebenserfahrung von den Frauen einer Kärntner-slowenischen Familie.
Heike Steinweg/Suhrkamp Verlag

Die Besuche in ihrer Kärntner Heimat "strapazieren" Mira schon seit Jahren mehr, als sie sie freuen. Einst zum Studieren nach Wien gegangen und dann dortgeblieben, holt Mira im ländlichen Jaundorf immer wieder ein Aspekt ihrer Identität ein, vor dem sie abgehauen ist: die Wurzeln als Kärntner Slowenin. Schwerer macht den Besuch diesmal noch, dass Mira ihrer Mutter Anni sagen soll, dass diese den Hof verlassen muss. Miras Cousin Franz will aus dem Ausgedinge, in dem Anni wohnt, eine Werkstätte machen. Anni soll ins Altersheim.

Mit ihrem Sieg beim Bachmannpreis und dem folgenden Roman Engel des Vergessens ist Maja Haderlap 2011 plötzlich im deutschsprachigen Literaturbetrieb aufgeschlagen. Zwar hatte sie schon seit den 1980ern Gedichte geschrieben und veröffentlicht, allerdings stets auf Slowenisch. Engel des Vergessens schilderte nun intensiv und mit viel Kindheitserinnerungskolorit den Widerstand der Kärntner Slowenen gegen die Nationalsozialisten. Die Jörg-Haider-Jahre und dessen Ortstafelverrückungen lagen da noch nicht so lange zurück – der Roman bot eine ganz andere Tonalität an.

Erfolgsbuch

Engel des Vergessens wurde ein Verkaufserfolg und Haderlap, 1961 als Kärntner Slowenin in Bad Eisenkappel / Železna Kapla geboren, zur gefragten Diskussionsteilnehmerin. Nach Gedichten 2014 folgte literarisch aber lange nichts. Nachtfrauen legitimiert die Pause nun gewissermaßen. Man liest dem Roman an, wie viel Lebenserfahrung, Überlegung und Präzision in ihn eingeflossen sind.

Der Besuch wird für Protagonistin Mira zur Zeitreise. Sie erinnert sich, wie die anderen Kinder einst wegen ihrer Herkunft auf sie hinabgeschaut haben und wie sie sich im Gymnasium aus Trotz vom Slowenischunterricht abgemeldet hat. Heute klingt Miras Stimme für sie selbst, wenn sie mit der Mutter Slowenisch spricht, fremd. Sie begegnet einer alten und offenbar zufriedeneren Freundin, die statt wegzugehen in der Heimat geblieben ist und sich dort für den kulturellen Austausch engagiert hat. Und ihrer Jugendliebe Jurij, der nach einigen Jahren in der Fremde zurückgekehrt ist und in Slowenien ein Unternehmen führt. Früher? Wäre das undenkbar gewesen.

Über Erinnerungen und Erzählungen erschließt und kontrastiert Haderlap verschiedene Zeitebenen. Die Partisanen nehmen wie schon im Erstling Raum ein, der "Ortstafelsturm" von 1972 wird erwähnt, auch Sprengstoffanschläge auf Stromleitungen, die einst auf die prekäre Situation der Volksgruppe aufmerksam machen sollten. Dieser Fortschritt von einst zu heute euphorisiert alle Figuren.

Einst und jetzt

Die Besserung der politischen Lage kann aber gegen viele persönliche Schmerzen auch nichts ausrichten. Dass Haderlap nach 200 Seiten plötzlich für einen Bruch sorgt, ist wohl dem Umstand geschuldet, dass Kommunikation keine Stärke der Romanfamilie ist. Gleichermaßen holprig wie reizvoll wirkt es, wenn die Autorin in den letzten hundert Seiten die Perspektive wechselt und statt Mira der greisen Mutter Anni erzählend über die Schulter schaut. Der Erfahrungshorizont expandiert weiter. Mit Buntstiften in einem Heft spürt Anni jetzt ganz für sich dem Schmerz nach, wie wenig Frauen einst gegolten haben oder dass ihr die Tochter, der sie ein Leben jenseits des Naheliegenden ermöglicht hat, fremd geworden ist.

Nachtfrauen ist Volksgruppengeschichte, Psychogramm, Mutter-Tochter-Roman. In der historischen Dimension zuweilen thematisch etwas gar allumfassend, verknüpft der Text, angelegt als Porträt zweier Frauen aus zwei Generationen, all das letztlich doch problemlos. Literarisch am stärksten ist Haderlap aber, wo sie mit zärtlicher Genauigkeit kleine Situationen beschreibt – als wollte sie dieser Welt eine Gerechtigkeit zuteilwerden lassen. (Michael Wurmitzer, 19.9.2023)