Waldviertler Schmalspurbahnen, Niederösterreich
Die Waldviertler Schmalspurbahnen werden nur noch touristisch genutzt.
NB/knipserl

Die Länge der Autobahnen und Schnellstraßen ist in Europa seit den Neunzigerjahren deutlich gewachsen, das Schienennetz hingegen geschrumpft. Dies zeigt eine aktuelle Studie des T3 Transportation Think Tank und des Wuppertal-Instituts im Auftrag von Greenpeace. Die "Motorways" (Autobahnen und Schnellstraßen) wuchsen demnach von 1995 bis 2020 um mehr als 30.000 Kilometer auf mehr als 82.000 Kilometer Gesamtlänge an. Im selben Zeitraum seien mehr als 13.700 Kilometer Bahnstrecke für Regionalzüge "vorübergehend oder permanent" geschlossen worden. Die Studienautoren haben in ihre Analyse die Verkehrswege der 27 EU-Staaten sowie jene von Großbritannien, der Schweiz und Norwegen einbezogen.

Auch Österreich ist ein Kapitel gewidmet: So zähle Österreich neben Belgien, Dänemark, Luxemburg und Großbritannien zwar zu den wenigen Ländern, deren Investitionen in die Bahn höher als jene in die Straße seien. Auch wird die ÖBB als eine der pünktlichsten Bahngesellschaften Europas genannt. Dennoch seien seit 1995 insgesamt 29 regionale Zugverbindungen mit einer Länge von 665 Kilometern eingestellt worden. 230 Bahnhöfe seien damit aufgelassen worden.

Abhängigkeit vom Auto

"Seit den Neunzigerjahren erlebt Österreich einen massiven Rückbau klimafreundlicher Schieneninfrastruktur. Stattdessen wird das Land mit neuen Schnellstraßen zubetoniert und Menschen in die Abhängigkeit vom Auto getrieben. Aber Österreicherinnen und Österreicher haben ein Recht auf klimafreundliche Mobilität", sagt Marc Dengler, Klima- und Energieexperte von Greenpeace Österreich. Der Verkehr sei in Österreich "Klimakiller Nummer eins".

Wie aber erklärt sich, dass Österreich relativ viel in die Schiene investiert und dennoch Bahnstrecken dichtgemacht werden?

Wenig Nachfrage

Man sei gesetzlich verpflichtet, mit den zur Verfügung gestellten Steuermitteln sparsam und wirtschaftlich umzugehen, heißt es von der ÖBB. "Das bedeutet, dass nicht alle Strecken erhalten und modernisiert werden können." Wenn keine entsprechende Nachfrage zu erwarten sei, dürfe die ÖBB entsprechend der Wirtschaftlichkeitskriterien, die das Klimaschutzministerium vorgibt, "nicht investieren".

Der Konzern teilt zum Thema Klimaschutz außerdem mit: "Die wenigen Regional- und Schmalspurbahnen, die nicht mehr in vollem Umfang weitergeführt werden, sind im Übrigen für den Klimaschutz nicht hilfreich, weil zu wenige Menschen entlang dieser Strecken wohnen." Dazu liefert man eine Kennzahl aus dem Jahr 2010: Damals seien auf einem Viertel der ÖBB-Strecken lediglich 3,5 Prozent der Fahrgäste unterwegs gewesen. Die ÖBB würde in den Jahren 2023 bis 2028 rund 1,8 Milliarden Euro in die Infrastruktur der Regionalbahnen investieren.

Neubelebung manchmal möglich

Bei der Einstellung von Regionalzügen müsse man differenzieren: Einige Strecken würden weiterhin für Güterverkehr genutzt werden und könnten "in Zukunft wieder für Personenzüge genutzt werden, wenn es finanziert wird", heißt es seitens ÖBB. Dies sei zum Beispiel der Fall bei der Lavanttalbahn im Abschnitt zwischen Zeltweg und Wolfsberg. Dort ist der Personenverkehr im Jahr 2017 eingestellt worden, der Güterverkehr ist aber intakt.

Greenpeace weist mit Blick auf die Wuppertal-Studie darauf hin, dass sich fast die Hälfte der aufgelassenen Regionalverbindungen in Niederösterreich befinde. Die Studie erwähnt namentlich die Ybbstalbahn, die Waidhofen und Lunz am See verband, aber seit dem Jahr 2010 Geschichte ist. Generell seien die Landesregierungen gefordert, "Regionalbahnstrecken zu reaktivieren", sagt Greenpeace-Vertreter Dengler.

Waidhofen/Ybbs, Niederösterreich Bahnen
Die Ybbstalbahn fährt als öffentliches Verkehrsmittel nur noch als "Citybahn" auf einem 3,1 Kilometer langen Abschnitt zwischen dem Bahnhof Waidhofen/Ybbs und der Pestalozzistraße.
NB/Kerschbaummayr

Einst Lebensader, nun Abstellgleis

Zum prominenten Beispiel Ybbstalbahn heißt es von den Niederösterreich Bahnen auf STANDARD-Anfrage, dass es zum Zeitpunkt der Übernahme von der ÖBB im Jahr 2010 bereits gültige Auflassungsbescheide gegeben habe. Gemäß Eisenbahngesetz seien "eingestellte Eisenbahnstrecken aufzulassen", was die Niederösterreich Bahnen getan hätten.

Die Ybbstalbahn fährt derzeit noch zwischen den Stationen Waidhofen/Ybbs und Pestalozzistraße ("Citybahn"), außerdem gibt es Museumsbahnen, zum Beispiel zwischen Gaming und Lunz am See. Die Niederösterreich Bahnen betreiben unterdessen auch die Mariazellerbahn, die Waldviertelbahn, die Wachaubahn und den sogenannten Reblaus-Express. Im Jahr 2022 habe man 1,157 Millionen Fahrgäste transportiert, "Tendenz stark steigend".

Frage des politischen Willens

Im europäischen Maßstab geben die Autoren der Wuppertal-Studie den Staaten drei Empfehlungen mit, um der Schiene auf die Überholspur zu verhelfen. Erstens: Neue Autobahnen seien rein politische Entscheidungen. Die Länder sollten die Budgets dafür kürzen und Moratorien überlegen. Zweitens: Die Staaten sollten Finanzierungs- und Steuermodelle entwickeln, um stillgelegte regionale Zugverbindungen wiederzubeleben. Drittens: Die zweite Maßnahme sollte damit einhergehen, dass umweltschädliche Subventionen auslaufen und der Zugverkehr im Vergleich mit Straße und Luftfahrt erschwinglicher wird. (Lukas Kapeller, 19.9.2023)