Der Egon Schiele des Blues: Norbert Schneider hat ein neues Album, es heißt
Der Egon Schiele des Blues: Norbert Schneider hat ein neues Album, es heißt "Ollas Paletti" und ist leiwand.
Georg Buxhofer

Mehr als einmal deutet Norbert Schneider auf seinen Unterarm. "Ich muss nur daran denken", sagt er, und schon heben sich seine Poren zur Gänsehaut. Die bekommt er, wenn er über Al Green redet, den Soulsänger. Oder über die intensiven Gefühle des Gospels. Anders als für die Kirche ist er dafür empfänglich. Und für den Blues natürlich. Der durchzieht Schneiders Leben und sein neues Album Ollas Paletti, das am Freitag erscheint.

Tags zuvor präsentiert er das Werk live im Wiener Porgy & Bess. Das neue Album von Norbert Schneider fährt, wie man sagt. Es besitzt nicht nur beträchtliche Verve, es ist sogar auf dem gleichnamigen Traditionslabel erschienen. Manchmal passt einfach alles.

Der Blues ist seine zweite DNA, seit er ihn als Teenager entdeckt hat. Als Kaulquappe im tiefen Niederösterreich kam er in Kontakt mit Werken von Stevie Ray Vaughan, Eric Clapton ... und dann kam seiner Einschätzung nach eh schon bald er selbst. Da muss er ob seiner Selbstüberschätzung heute noch lachen. "Eines Tages haben im Nachbarort ein paar Blueser aus Wien gespielt, und ich dachte, ich höre mir das gnadenhalber an. Das war ein Schock. Plötzlich wurde mir bewusst: Ich bin ein Nichts!"

Originäre Mischung

Doch das hielt ihn nicht vom Blues ab, es spornte ihn an. Schneider pilgerte beständig in den Wiener Bluesclub Papas Tapas, zwei Jahre später war er Mitglied von dessen Hausband, bald tourte er mit US-amerikanischen Musikern durch ganz Europa. Da war er gerade 18, 19. "Die waren nicht alle immer nett oder einfach, aber es war super."

Heute ist Schneider Mitte 40 und hat eine illustre Karriere hinter sich. Ursprünglich wollte er Kindergärtner werden, doch nachdem er bei einem Konzert in der Kindergartenschule aufgetreten war, mit Songs von den Beastie Boys und den Chili Peppers, war er für diesen Weg verloren. Er wusste, er wollte mit der Musik seinen Lebensunterhalt verdienen.

Norbert Schneider - Schau ma dann amoi (Live at Supersense, Vienna / 2023)
NorbertSchneiderVEVO

Mittlerweile ist er in einer Karriere, die Blues, Jazz, Austropop und alles dazwischen abdeckt. Er selbst denkt über Zuordnungen gar nicht nach. "Ich hab’ das komplett abgelegt, bestimmen zu wollen, wie die Leute meine Musik nennen. Ich hab’ an einem Abend in der Starnacht aus der Wachau gespielt, am nächsten Tag ein Swing-Konzert im Jazzland, da kennt sich ja wirklich keiner aus."

Ollas Paletti ist eine originäre Mischung aus Blues, Soul und einer wienerischen Deutung dieser Spielarten. Aufgenommen wurde Ollas Paletti live und analog, ohne doppelten Boden. Alle Verführungen der digitalen Aufnahmetechnik hat er damit ausgeschlossen. Nicht einmal geprobt hat er mit der Band. Alles ergab sich ganz organisch wie von selbst. Schneider erzählt von intensiven Momenten, in denen alle Beteiligten merkten, da passiert gerade etwas Besonderes. Auf seinem Arm: Gänsehaut.

Sogar seine Teenagerliebe zum Hip-Hop blitzt etwas auf; Alex Deutsch am Schlagzeug ist dabei behilflich. Tatsächlich erinnert Schneider stellenweise an G. Love & Special Sauce, eine US-Band, die Blues mit Hip-Hop kreuzt.

Das war ein Weg. Lange schien es ihm nicht einmal möglich zu sein, auf Deutsch zu schreiben. Die Sprache des Blues sei das Englische, das hat die Bluesszene so in ihren Statuten. Doch deren Starrsinnigkeit hat er überwunden, ohne der Szene gram zu sein, er verdankt ihr so viel. Aber er sieht Musik heute viel breiter, schließlich hatte er mit dem Song Take It Easy 2010 sogar einen Ö3-Hit. Einen mit Beigeschmack, denn die Blueser ließen ihn plötzlich im Regen stehen, und Ö3 wollte außer dem einen Song nichts von ihm spielen oder wissen.

Norbert Schneider - Seifenblasen (Live at Supersense, Vienna / 2023)
NorbertSchneiderVEVO

Auch darüber kann er heute lachen, er ist längst woanders, wohin es geht, weiß er nicht. Er lebt eher für den Moment, zu viele Haken hat er schon geschlagen. Jetzt vermählt er eben den Blues und das Wienerische, ganz organisch, ohne kitschig zu werden. Besteht diese angebliche Verwandtschaft tatsächlich, oder ist das nur eine Wiener Eingemeindung? "Die gibt es wirklich. Es ist erstaunlich, wie nahe sich ein Typ wie Lonnie Johnson und ein Anton Karas sind: Der Johnson spielt oft genauso siaßlat."

Lebensfroher Blues

Blues ist für ihn dabei keine melancholische oder gar deprimierende Gattung. "Musik soll einen ja aus solchen Zuständen rausholen. Blues ist ja nicht automatisch traurig, aber die Musik steckt wegen so einer falschen Wahrnehmung in einem Dilemma und hat deshalb um Relevanz zu kämpfen. Aber wer sich darauf einlässt, merkt das eh, wie lebensfroh diese Musik ist."

Für Schneider muss Musik etwas Aufbauendes haben, darf nicht destruktiv sein. Das heißt nicht, dass es oberflächlich und leicht sein muss. "Es können tieftraurige Balladen sein, aber die haben in ihrer Schönheit ja auch etwas Erhebendes." Karl Fluch, 27.9.2023)