Explosion
Die Militäroperation hat Dienstagfrüh begonnen.
AFP/Azerbaijani Defence Ministry

Baku/Stepanakert/Eriwan – Mehrere Stunden nach dem Beginn des aserbaidschanischen Militäreinsatzes ist die Zahl der Toten in der betroffenen Region Bergkarabach nach örtlichen Angaben auf 25 gestiegen. "Mit Stand 20.00 Uhr gibt es 25 Opfer, darunter zwei Zivilisten, als Folge des umfassenden Terrorangriffs durch Aserbaidschan", schrieb der Menschenrechtsbeauftragte der international nicht anerkannten Republik Bergkarabach (Arzach), Gegam Stepanjan, am Dienstagabend auf X (vormals Twitter).

Darüber hinaus seien in der Konfliktregion im Südkaukasus bisher mindestens 138 Menschen verletzt worden, darunter 29 Zivilisten, teilte Stepanjan mit. Aus sechs Orten seien Bewohner vor dem aserbaidschanischen Beschuss in Sicherheit gebracht worden.

Aserbaidschan fordert als Bedingung für das Ende seines Militäreinsatzes die Niederlegung der Waffen und die Abdankung der armenischen Führung in Bergkarabach. "Die illegalen armenischen Militärverbände müssen die weiße Flagge hissen und alle Waffen abgeben, und das ungesetzliche Regime muss abdanken", heißt es in einer am Dienstag von örtlichen Medien verbreiteten Erklärung der Präsidialverwaltung in Baku. Anderenfalls würden die Kampfhandlungen bis zum Ende geführt, betonte die Führung der autoritär geführten Ex-Sowjetrepublik.

"Anti-Terroreinsätze"

Als Reaktion auf den aserbaidschanischen Beschuss von Bergkarabach kam es in Armeniens Hauptstadt Eriwan zu Protesten. Die Demonstranten forderten von ihrem Regierungschef Nikol Paschinjan ein entschiedeneres Vorgehen sowie Unterstützung der armenischen Bewohner Bergkarabachs.

Aserbaidschan hatte nach eigenen Angaben Dienstagfrüh mit "Anti-Terroreinsätzen" in der Region Bergkarabach begonnen. Die Einsätze richteten sich gegen armenische Kräfte, teilte das Verteidigungsministerium in Baku mit. In Stepanakert, der Hauptstadt der zwischen beiden Ländern seit Jahrzehnten umstrittenen Region, waren nach Angaben eines AFP-Reporters Explosionen zu hören. Die in Armenien ansässige Vertretung Bergkarabachs sprach von einer "groß angelegte Militäroffensive".

Berichte über zivile Opfer

Mehrere Städte Bergkarabachs seien nach Angaben örtlicher Behördenvertreter von Aserbaidschan angegriffen worden. "Im Moment stehen die Hauptstadt Stepanakert und andere Städte und Dörfer unter intensivem Beschuss", so die Vertretung auf Facebook.

Zuvor waren aserbaidschanischen Angaben zufolge sechs Menschen bei Minenexplosionen getötet worden. Aserbaidschanische Sicherheitskräfte hatten mitgeteilt, zwei Zivilisten seien auf einer Straße in Richtung der Stadt Schuscha im aserbaidschanisch kontrollierten Teil Bergkarabachs durch eine von armenischen "Sabotagegruppen" gelegte Mine getötet worden. Vier Polizisten wurden demnach später auf dem Weg zum Explosionsort bei einer weiteren Minenexplosion getötet.

Aserbaidschan will Russland und die Türkei informiert haben

Nach eigenen Angaben hat Baku Russland und die Türkei, die Schutztruppen bzw. Beobachter in der Konfliktregion stellen, über den "Antiterroreinsatz" informiert. Es handle sich um eine "Antiterroroperation lokalen Charakters zur Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung" in der Region.

Man wolle den nach dem letzten Krieg um Bergkarabach 2020 im Waffenstillstand festgeschriebenen Rückzug armenischer Truppen aus dem Gebiet durchzusetzen. Es werde nur auf militärische Ziele geschossen, behauptete das aserbaidschanische Verteidigungsministerium. Den Angaben aus Baku zufolge wurden zuvor zunächst eigene Stellungen von armenischer Artillerie angegriffen und mehrere Soldaten verletzt.

Russlands Außenministeriumssprecherin Marija Sacharowa forderte nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters sowohl Aserbaidschan als auch Armenien dazu auf, das "Blutvergießen" zu beenden. Russland sei besorgt über die Eskalation, Moskaus Friedenstruppen in der Region würden ihre Mission fortsetzen. Zudem teilte das russische Außenministerium mit, man stehe mit Aserbaidschan in Kontakt.

Humanitäre Korridore

Nach weiteren Angaben des aserbaidschanischen Verteidigungsministeriums wurden humanitäre Korridore eingerichtet, damit Zivilisten die umkämpften Gebiete verlassen könnten. Das aserbaidschanische Außenministerium teilte mit, der einzige Weg, um Frieden herzustellen, sei der komplette Abzug armenischer Kräfte aus Bergkarabach. Das "Separatistenregime" in Bergkarabach müsse aufgelöst werden. Das armenische Verteidigungsministerium erklärte, man habe keine Kräfte in Bergkarabach.

EU-Chefdiplomat Josep Borrell verurteilte in einem Statement die militärische Eskalation. Er forderte die "sofortige Einstellung der Feindseligkeiten" und appellierte an Aserbaidschan, die militärischen Aktivitäten zu beenden. Die EU setze sich weiterhin für einen Dialog ein, so Borrell.

Das österreichische Außenministerium forderte in einer Stellungnahme auf X, vormals Twitter, ebenfalls einen sofortigen Stopp der militärischen Aktivitäten Aserbaidschans. Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock forderte Aserbaidschan auf an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Der Schutz der Zivilbevölkerung in Bergkarabach sei "auch Aufgabe der dort stationierten russischen Soldaten", sagte Baerbock.

Verfeindete Ex-Sowjetrepubliken

Armenien hatte sich zuletzt wegen des großen Aufmarsches aserbaidschanischer Truppen an seinen Grenzen besorgt gezeigt. Auf der anderen Seite in Aserbaidschan nannte das Außenministerium in Baku wiederum die Konzentration armenischer Truppen an der Grenze die größte Bedrohung für die Stabilität der Region.

Demonstration, wütende Frau
In Jerewan demonstrieren Menschen gegen die Militäroperation.
via REUTERS/PHOTOLURE

Das christlich-orthodoxe Armenien und das muslimische Aserbaidschan, beides im Südkaukasus gelegene Ex-Sowjetrepubliken, sind seit langem verfeindet, wobei nach einem Krieg Anfang der 1990er-Jahre in der zu Aserbaidschan gehörenden, mehrheitlich aber von Armeniern bewohnten Region Bergkarabach zunächst Armenien die Oberhand hatte.

In einem zweiten Krieg 2020 siegte das mit Geld aus dem Öl- und Gasgeschäft hochgerüstete Aserbaidschan und eroberte Teile von Bergkarabach und eigenes Territorium zurück. In kürzeren Militäraktionen danach besetzte Baku auch etwa 150 Quadratkilometer armenisches Staatsgebiet. (APA, red, 19.9.2023)