Kaum ein Bericht im internationalen Energiewesen ist so wichtig wie der World Energy Outlook, den die Internationale Energieagentur (IEA) mit Sitz in Paris jährlich herausgibt. In ihm wird beschrieben, wohin sich das Energiesystem künftig entwickeln wird. Der neue Energy Outlook erscheint nächsten Monat – doch bereits jetzt sind zentrale Inhalte bekannt, die für Debatten sorgen.

Öl kann zwar weiterhin aus dem Boden geholt werden, ab 2030 wird es man jedoch immer weniger brauchen, prognostiziert die IEA.
Öl kann zwar weiterhin aus dem Boden geholt werden, ab 2030 wird es man jedoch immer weniger brauchen, prognostiziert die IEA.
AP/Jeff McIntosh

Fatih Birol, türkischer Ökonom und Chef der IEA, hat sie Mitte September in einem Gastkommentar in der "Financial Times" vorab dargelegt: Die Prognosen im kommenden Outlook würden zeigen, so Birol, "dass die Welt vor einem historischen Wendepunkt steht". Die globale Nachfrage nach den drei wichtigen fossilen Energien – Öl, Gas und Kohle – "dürfte in den kommenden Jahren einen Höhepunkt erreichen". Der Wendepunkt komme ungefähr im Jahr 2030, "früher, als viele Menschen erwartet haben". Die Vorhersage treffe auch dann zu, falls die internationale Staatengemeinschaft entgegen ihrer Ankündigung keine weiteren Klimaschutzmaßnahmen setzt, schreibt Birol.

"Ein historischer Wendepunkt"

Allerdings legt eine andere internationale Organisation entschiedenen Widerspruch gegen die IEA-Prognose ein: die Organisation erdölexportierender Länder (Opec) mit Sitz in Wien, die de facto von Saudi-Arabien dominiert wird. In einer Stellungnahme heißt es, dass fossile Energien 80 Prozent des globalen Energiemix ausmachen würde. Es sei "das gleiche Verhältnis wie vor 30 Jahren". Datengestützte Vorhersagen würden die Annahme des nahenden Nachfrage-Peaks keineswegs stützen, so die Opec. Sie sei "eher ideologiegetrieben als faktenbasiert".

Offensichtlich lässt es bei der Opec die Alarmglocken schrillen, dass im einflussreichen World Energy Outlook – einem Dokument, das tausende Analysten und Investoren in aller Welt studieren – vom baldigen Zenit der Nachfrage die Rede ist. Solche Vorhersagen seien "gefährlich", heißt es, "weil sie oft mit dem Ruf nach einem Stopp bei Investments in neue Öl- und Gasprojekte einhergehen". Derartige Narrative könnten gar "zum Scheitern des globalen Energiesystems führen", warnt der Opec-Generalsekretär, der Kuwaiter Haitham al-Ghais.

Relevant für Investoren

Wie genau die IEA zu ihrer Prognose kommt, lässt sich jedenfalls noch nicht sagen; dazu muss man noch die Veröffentlichung des Energy Outlook abwarten. Birol führt in seinem Kommentar nur vage einige Entwicklungen an, die zum Peak bei der globalen Nachfrage nach Fossilen führen. Das wären etwa "das spektakuläre Wachstum von Clean-Energy-Technologien wie Photovoltaik und E-Mobilität, die strukturellen Verschiebungen in der chinesischen Wirtschaft und die Auswirkungen der globalen Energiekrise".

Nicht nur die Opec bezweifelt die neue Prognose der IEA, auch internationale Ölkonzerne, konkret der US-Riese Exxon und das saudische Staatsunternehmen Saudi Aramco. Aramco geht davon aus, dass die Ölnachfrage im Jahr 2030 rund zehn Prozentpunkte höher als derzeitig liegen werde. In Saudi-Arabien rief die Vorhersage der IEA sogleich auch die Politik auf den Plan: Die Organisation verwandle sich immer mehr "von einem Marktanalysten zu einer politischen Interessenvertretung", kritisierte Saudi-Arabiens Energieminister, Prinz Abdulaziz bin Salman, die IEA. (Joseph Gepp, 19.9.2023)