Musiktheater an der Wien Les martyrs
Christentum kann so bunt sein. "Les martyrs" im Museumsquartier: Mit farbenfrohem Schalk wird ein Spektakel ironisiert.
Werner Kmetitsch

Christsein bedeutet, auch das Leid anzubeten. Stichwort: Jesus am Kreuz. "Glückliches Martyrium, das wir ersehnen", singt der Chor zu Beginn von Donizettis Les martyrs (in der deutschen Übersetzung). Nach der Premiere im Museumsquartier geben einige Männer ihrem Leid drinnen und draußen lautstark Ausdruck. Sie buhen und schimpfen über Cezary Tomaszewskis Inszenierung der 1840 in Paris uraufgeführten Grand Opéra. Warum? Die Inszenierung ist fantastisch, aufmerksam und gut.

Fantastisch, weil sie ausstattungstechnisch mit feinsinniger, virtuoser Kreativität unterhält. Aufmerksam, weil ihre Bilderfluten in fast jedem Augenblick aus der Partitur gespeist werden. Wenn etwa die Musik Donizettis in der Gefängnisszene tänzelt, dann tänzeln eben auch die Gefangenen. Und die Inszenierung ist gut gemacht, weil sie Substanz und Zerstreuung, Gravitas und Trallala zu verbinden weiß.

Worum geht es in Les martyrs? Um die Unterdrückung der Christen durch die römischen Herrscher im Armenien des dritten Jahrhunderts. Polyeucte, der Schwiegersohn des Gouverneurs Félix, schwört dem Jupiterkult ab und lässt sich taufen. Als der neue römische Prokonsul Sévère eintrifft, erkennt Polyeuctes Gattin Pauline in ihm ihren verschollen geglaubten früheren Geliebten.

Ernster Hintergrund

Polyeucte wird verhaftet und soll unter Androhung der Todesstrafe dem Christentum abschwören. Er weigert sich. Als Pauline ihn im Gefängnis besucht, ereilt sie eine göttliche Vision. Zum Entsetzen von Félix und Sévère tritt sie mit Polyeucte den Gang in die Arena an. Die hungrigen Löwen warten schon.

Als ernster Hintergrund dient Tomaszewskis Inszenierung der Völkermord an den Armeniern durch das Osmanische Reich im Jahr 1915. Auf der Szene sind die ermordeten Frauen fast ständig präsent: flachgewalzt und deformiert, als Projektionen oder Stoffpuppen, die von verzweifelten Trümmerfrauen herumgetragen werden. Ein luftiges Rondell bildet die zentrale Bühnenheimat für Katakombendüsternis und für Circensisches: den Einzug der Römer, zum Beispiel.

Mit farbenfrohem Schalk wird das Spektakel ironisiert. Die Choreografien von Jakub Momro und die fantasievoll dekonstruierten Kostüme von Aleksandra Wasilkowska kreieren eine Atmosphäre der Leichtigkeit – die Donizettis Belcanto-Klängen immanent ist.

Musikalisch stimmig

Auch musikalisch ist das Ganze eine ziemlich stimmige Sache. Heldenhaft, höhensicher, und geschmeidig der Polyeucte von John Osborn, wie ein Metallspeer der Sopran von Roberta Mantegna. Die demonstrative Virilität eines römischen Feldherrn transportiert Mattia Olivieri als Sévère auch stimmlich. Durchschnittlicher David Steffens als Félix, mitfühlend der Arnold Schönberg Chor.

Die für Paris erweiterte und angereicherte Orchesterpartitur setzen Jérémie Rhorer und das ORF RSO Wien mit Feingefühl und Eleganz um, vom stimmungsvollen Fagottquartett zu Beginn bis zum großen Finale. Uneingeschränkter Jubel zumindest für die musikalische Seite der Eröffnungspremiere des Musiktheaters an der Wien im Ausweichquartier. (Stefan Ender, 19.9.2023)