Drei Bäume, die immer weniger Blätter haben
Ein Drittel aller Menschen über 90 ist von Demenz betroffen, auch darauf macht der Welt-Alzheimertag am 21. September aufmerksam. Dabei kann man selbst viel dagegen tun, dass die Krankheit ausbricht. Man muss aber schon Jahrzehnte vorher damit beginnen.
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Die Oma vergisst, dass das Enkelkind zu Besuch kommen wollte. Schwindelgefühl und Gleichgewichtsprobleme treten auf. Im Alltag verspürt man eine merkwürdige Unsicherheit. Gerade bei älteren Menschen sollte man bei solchen Symptomen aufhorchen. Denn sie können Symptome einer Demenz sein. Immerhin jede fünfte Person über 85 ist davon betroffen, bei den über 90-jährigen ist es bereits jede dritte.

Diese Zahlen zeigen ganz klar, dass Demenz eine Krankheit des Alters ist. Doch bricht sie in den späten Lebensjahren aus, kann man – zumindest derzeit – nur noch wenig tun. Denn es gibt noch keine kausal wirksamen Therapien gegen die Krankheit, die nachhaltig in den Verlauf eingreifen. Zwar wurde zuletzt über einen Durchbruch in der Alzheimerbehandlung geschrieben, das Medikament Donanemab soll vor allem in der Frühphase das Fortschreiten der Erkrankung deutlich verringern (DER STANDARD hat hier berichtet). Doch das Mittel hat auch schwere Nebenwirkungen wie Gehirnschwellungen und steht deshalb auch in der Kritik.

Wesentliche Voraussetzungen für das Ausbrechen einer Demenz – dabei handelt es sich um einen Überbegriff für etwa 55 verschiedene Krankheiten, Alzheimer ist die häufigste Form – werden bereits Jahre oder auch Jahrzehnte zuvor geschaffen. Denn: "Der Lebensstil spielt eine entscheidende Rolle", betont Rotkreuz-Chefärztin Katharina Pils anlässlich des Welt-Alzheimertags am 21. September. Mit diesem möchte man unter anderem darauf aufmerksam machen, wie wichtig gerade bei dieser Erkrankung eine gesunde Lebensweise ist.

Genetik und Lifestyle

Natürlich spielt die Genetik eine wichtige Rolle, es gibt zahlreiche Faktoren, die die Entstehung der neurodegenerativen Erkrankung begünstigen. "Doch keiner davon ist so stark, dass er definitiv das Ausbrechen einer Demenz vorhersagt", erklärte Andreas Winkler, Neurologe und Vizepräsident von Alzheimer Austria, gegenüber dem STANDARD. Die einzige Ausnahme sind genetisch vererbte Formen. Diese treten allerdings schon sehr früh auf und sind wirklich selten. Nur etwa ein bis zwei Prozent der gesamten Erkrankungen gehen auf so eine vererbte Form zurück.

In allen anderen Fällen kann man das eine Risiko mit dem richtigen Lifestyle deutlich reduzieren. Und das schon viele Jahre, bevor die Krankheit tatsächlich ausbricht. Vor allem die Lebensjahre zwischen 40 und 60 sind dabei entscheidend. Zu den größten Risikofaktoren zählt Rotkreuzchefärztin Pils Rauchen, regelmäßigen Alkoholkonsum, zu wenig Bewegung und auch soziale Isolation. Zu viel Alkohol schädigt nicht nur die Leberzellen, es greift auch die Gehirnzellen langfristig an. Denn die dadurch entstehende Arteriosklerose kann sowohl die innere weiße als auch die äußere graue Gehirnsubstanz schädigen. Das Rauchen wiederum ist umso schädlicher, je älter man ist. Idealerweise fängt man gar nicht erst damit an, aber ein 25-jähriger Raucher hat ein deutlich geringeres Risiko als ein 70-jähriger.

Eine der wichtigsten Vorsorgesäulen ist übrigens die körperliche Aktivität. Zumindest die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO sollte man einhalten, das sind 150 bis 300 Minuten moderater Sport oder 75 bis 150 Minuten intensive Bewegung pro Woche – das bedeutet pro Tag rund zehn bis 30 Minuten. Moderate Bewegung bedeutet, dass man sich dabei theoretisch noch unterhalten kann, ohne nach Luft zu schnappen. Bei intensiver Bewegung kommt man dagegen ordentlich ins Schwitzen.

Das Problem mit dem Blutdruck

Ausreichend Bewegung wirkt sich übrigens auch positiv auf ein weiteres Demenz-Risiko aus, das man so nicht vermuten würde: den Blutdruck. Das hat eine große Überblicksstudie mit dem Titel Insight 46 herausgefunden. Für diese fortlaufende Studie am University College London (UCL) werden regelmäßig Gehirnscans von mehreren Tausend Menschen angefertigt, die alle im Jahr 1946 geboren worden sind. Eine wesentliche Erkenntnis dieser Untersuchungen ist, dass hoher Blutdruck vor allem in den mittleren Lebensjahren zu etwas geringerem Gehirnvolumen und etwas mehr Blutgefäßschäden im Alter von 70 Jahren führen kann. Die Erkenntnisse wurden in der Fachzeitschrift The Lancet Neurology publiziert. Beide Indikatoren stehen mit einem erhöhten Demenz-Risiko in Verbindung.

Die Studie untersuchte auch, ob sich Veränderungen des Blutdrucks im Laufe des Lebens einer Person auf ihre Gehirngesundheit auswirken – und das ist tatsächlich der Fall. Teilnehmende, die im Alter von 46 Jahren einen höheren Blutdruck hatten als im Alter von 36, hatten mit etwa 70 ein etwas kleineres Gehirn. Daraus kann man schließen, dass ein hoher oder steigender Blutdruck bereits im Alter von 36 Jahren die Gehirngröße einer Person fast vier Jahrzehnte später beeinflussen kann. Das zeigt klar, wie wichtig ein gesunder Lebensstil und ausgewogene Ernährung bereits in jungen und mittleren Jahren sind und im späteren Leben vor Krankheit schützen können.

Eine weitere Erkenntnis von Insight 46, die im Fachmagazin Neurology publiziert wurde, zeigt, dass die Ergebnisse von Achtjährigen bei Gedächtnistests vorhersagen, wie diese Personen bei ähnlichen Tests im Alter von 70 Jahren abschneiden werden. Das macht auch klar, wie wichtig das Thema Bildung zur Vorbeugung von späterer Demenz ist.

Virale Ursachen?

Und wie bei vielen Erkrankungen können auch beim Ausbruch einer Demenz Viren eine Rolle spielen. Eine Untersuchung des Oxford Institute of Population Ageing, der University of Manchester und der Tufts University in Massachusetts (USA) gelangte etwa zu der Erkenntnis, dass mikrobielle Organismen, insbesondere das Herpes-Simplex-Virus Typ 1 (HSV 1), das Herpesbläschen verursacht, dazu beitragen könnten. HSV 1 findet sich in den Gehirnzellen vieler älterer Menschen. Wird dieses reaktiviert – zum Beispiel durch das Varizella-Zoster-Virus (VZV), das für Windpocken bzw. Gürtelrose verantwortlich ist – können Prozesse, die schließlich zu Alzheimer führen, in Gang gesetzt werden und sich im Gehirn Proteine ansammeln, die mit Alzheimer in Zusammenhang stehen.

Für Michael Überall, Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin, erweitern "die Ergebnisse dieser experimentellen Studie unsere Sicht auf die Entstehung einer Alzheimer-Erkrankung um die bislang eher vernachlässigte, aber absolut mögliche Ursache der chronischen Viruserkrankungen". Immerhin tragen über 99 Prozent aller Erwachsenen über 50 das Varizella-Zoster-Virus in sich, etwa 50 Prozent haben HSV 1. Da die Menschen zunehmend älter werden, spielt womöglich die altersbedingte Reaktivierung dieser Viren und die damit in Verbindung gebrachte Bildung der Proteine, die für Demenz mitverantwortlich sind, eine größere Rolle. "Wir wissen zwar noch nicht wirklich, auf welchem Weg die genannten Eiweißkörper die Funktion der Nervenzellen beeinträchtigen. Aber zumindest ist klar, dass das Ausmaß von Bildung und Ablagerung von der Anzahl und der Schwere der Varizella-Zoster-Viren-Reaktivierungen abhängt und so mit der Schwere der Alzheimer-Erkrankung in einem engen Zusammenhang steht", sagt Überall.

"Sollte sich dieser Zusammenhang auch in klinischen Studien bestätigen, könnte sich über das VZV eine Möglichkeit ergeben, den Weg der Entstehung einer Alzheimer-Erkrankung vorbeugend zu beeinflussen oder ihn vielleicht sogar weitgehend zu verhindern." Überall schlägt vor, man könne eine Erstinfektion mit VZV vermeiden, indem man im Kindesalter mit dem Lebendimpfstoff immunisiert. Und lassen sich Erwachsene mit dem Totimpfstoff impfen, trage das dazu bei, eine Reaktivierung bereits im Körper befindlicher VZV zu verhindern.

Gehirnpower checken

Weiters ist die psychische Gesundheit enorm wichtig. So weiß man etwa, dass Depressionen ein früher Hinweis auf eine mögliche Demenz sein können. Das führt außerdem in eine Abwärtsspirale. Denn Menschen mit Depression neigen dazu, sich aus dem sozialen Umfeld zurückzuziehen. Die gesellschaftliche Teilhabe ist aber vor allem in späteren Jahren ein wesentlicher Faktor, um eine mögliche Demenz hintanzuhalten. Immerhin gilt auch für die Brainpower der Grundsatz "use it or lose it", verwende es, oder es wird schlechter. Ähnliches gilt auch für Hörprobleme. Denn diese erschweren wiederum die gesellschaftliche Interaktion. Eine Hörhilfe kann deshalb einen wichtigen Beitrag leisten.

Schließlich ist auch die Schlafqualität ein wichtiger Faktor. Man weiß, dass vor allem bei Schlafproblemen über viele Jahre eine enge Korrelation mit dem Entwickeln einer Demenz besteht. Grund für diese Korrelation dürfte sein, dass das Gehirnwasser nur im Tiefschlaf gereinigt wird. Das zeigt etwa diese Studie, die im Fachmagazin PNAS erschienen ist. Schlafmittel sind keine Lösung. Diese helfen zwar beim Einschlafen, aber sie behindern die gehirneigene Reinigungsarbeit. Viel besser helfen dagegen gute Schlafhygiene, also das Meiden von Bildschirmen am Abend, Entspannungsrituale und Stressabbau.

Wie wichtig der Lifestyle für eine spätere Demenz-Erkrankung ist, ist übrigens nur rund einem Drittel aller Menschen bewusst, wie Umfragen zeigen. Deshalb hat Alzheimer's Research UK, eine britische Initiative gegen Demenz, das Projekt Big Brain Health Check-in ins Leben gerufen. Damit kann man erkunden, wie gesund der eigene Lebensstil für das Gehirn ist, und lernen, wie man besser vorbeugen kann. (Pia Kruckenhauser, 21.9.2023)