Die Wurzeln des wiederaufgeflammten Konflikts um Bergkarabach liegen weit in der Vergangenheit. Die Region ist von jeher Schnittstelle unterschiedlicher Interessenssphären.

Frage: Worauf basiert der Konflikt um Bergkarabach?

Antwort: Das von Armeniern bewohnte Gebiet Bergkarabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan. Unter der Sowjetherrschaft erhielt Bergkarabach einen Autonomiestatus zugestanden. Die Anschlussbestrebungen des Gebiets in Richtung Armenien lösten Spannungen aus, und es kam insbesondere Ende der 1980er-Jahre zu gegenseitigen Pogromen und Vertreibungen zwischen christlichen Armeniern und muslimischen Aseris. Nach dem Zerfall der Sowjetunion führten Aserbaidschan und Armenien zwischen 1992 und 1994 Krieg um das Gebiet, in dem die international nichtanerkannte Republik Arzach ausgerufen wurde. Mithilfe Armeniens konnte die Truppen Arzachs die aserbaidschanische Militär und den verbündeten tschetschenischen Terroristenführer Schamil Bassajew vertreiben und den gesamten Südosten Aserbaidschans unter ihre Kontrolle bringen.

Frage: Wie ist die Position Moskaus?

Antwort: Russland war für Armenien immer die militärische Schutzmacht. Russische Truppen kontrollierten auch den Waffenstillstand an den Grenzen Bergkarabachs.

Frage: Wie war der Status quo zuletzt?

Antwort: Im Juli 2020 startete Aserbaidschan einen neuen Krieg. Innert vier Monaten konnten zwei Drittel des von der Republik Arzach kontrollierten Gebietes erobert werden. Lediglich ein schmaler Streifen, der sogenannte Latschin-Korridor, verband noch Bergkarabach mit Armenien, dieser wurde jedoch von Aserbaidschan blockiert.

Frage: Wie ist das Verhältnis der Konfliktparteien zu Russland?

Antwort: Russland ist durch den katastrophalen Ukraine-Feldzug inzwischen so geschwächt, dass die Schutzmachtrolle militärisch nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Die Beziehungen zu Eriwan sind deshalb auf einem Tiefpunkt angelangt. Die armenische Regierung warf Moskau zuletzt mangelnden Einsatz vor und hielt ein gemeinsames Militärmanöver mit den USA ab. Baku wiederum kritisierte den Kreml zuletzt für die Abhaltung von Scheinwahlen in den besetzten Gebieten in der Ukraine. Moskau bedachte sowohl Eriwan als auch Baku mit empörten Reaktionen.

Frage: Welche Folgen hat der Ukrainekrieg im Kaukasus?

Antwort: Aserbaidschan nutzt diese aktuelle Schwäche Moskaus, um die Kontrolle über das Gebiet zurückzuerlangen. Am Dienstag wurde erneut ein militärischer Angriff gestartet, nachdem zuvor wochenlang Truppen an den Grenzen Karabachs zusammengezogen wurden. Baku bezeichnete dies als "lokale Antiterrormaßnahmen", mit denen "die verfassungsmäßige Ordnung wiederhergestellt" werde. Im Zuge des Angriffs wurde unter anderem auch die Hauptstadt Stepanakert mit Artillerie beschossen. Die Truppen Bergkarabachs wurden überrumpelt, schon am Mittwoch mussten die Bedingungen Bakus für einen Waffenstillstand akzeptiert werden.

Frage: Wie geht es nun weiter?

Antwort: Der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev hat den Einsatz seiner Truppen gegen Berg-Karabach am Mittwoch für beendet erklärt. Aserbaidschan habe seine Souveränität über das Gebiet wiederhergestellt, sagte er in einer Fernsehansprache in Baku. Zuvor war am Mittwoch eine Waffenruhe vereinbart worden. Die Truppen Bergkarabachs mussten die Kämpfe beenden und ihre Waffen abgeben. Außerdem wurde vereinbart, mit Baku über die Integration der Region in den aserbaidschanischen Staat zu verhandeln. Diese Gespräche sollen schon am Donnerstag beginnen.

Eine Aufnahme einer Drohnenkamera zeigt die
Eine Aufnahme einer Drohnenkamera zeigt die "Zerstörung einer armenischen Position" in Bergkarabach.
AFP/Azerbaijani Defence Ministry

Frage: Wie ist der Status von Bergkarabach rechtlich genau geregelt?

Antwort: Im Vertrag von Kars wurde im Oktober 1921 der Grenzverlauf zwischen der Türkei und der Sowjetunion geregelt. Dies war durch den Zusammenbruch des Osmanischen Reiches und des zaristischen Russlands und die daraus resultierenden kriegerischen Konflikte nötig geworden. Die Vertragsstaaten des Freundschaftsvertrages sind neben der Türkei die Armenische, Aserbaidschanische und Georgische SSR. Basis für den Vertrag von Kars war der vorangegangene Vertrag von Moskau, in dem Sowjetrussland und die türkische nationale Regierung ihre Einflussgebiete absteckten. Nachitschewan wurde als Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Aserbaidschanischen SSR als Exklave zugeschlagen. Auch die Kontrolle über das armenisch besiedelte Bergkarabach ging an Aserbaidschan. Adscharien wurde an Georgien abgetreten, die Türkei erhielt die Region Kars-Ardahan, die Atatürks Truppen zuvor von Armenien erobert hatten.

Russische Friedenstruppen bringen im Zuge einer Evakuierung Zivilisten aus Stepanakert in Sicherheit.
Russische Friedenstruppen bringen im Zuge einer Evakuierung Zivilisten aus Stepanakert in Sicherheit.
AFP/Russian Defence Ministry/-
Zerstörungen in einem Wohngebiet Stepanakerts.
Zerstörungen in einem Wohngebiet Stepanakerts.
IMAGO/oldhike

Frage: Ist der Vertrag von Kars unstrittig?

Antwort: Nach dem Zerfall der Sowjetunion akzeptierten die Nachfolgestaaten Russland, Georgien und Aserbaidschan den Vertrag von Kars als gültig. Die Position Armeniens hingegen weicht wegen der nicht existierenden diplomatischen Beziehungen zu Ankara ab: Zwar definiert man sich als Rechtsnachfolger der Armenischen SSR, doch habe sich die Türkei nicht an die im Vertrag festgeschriebenen Bedingungen gehalten, weil infolge des Konfliktes um Bergkarabach die türkische Grenze zu Armenien geschlossen wurde. Nach dem Abschuss eines russischen Kampfflugzeuges durch die Türkei im Grenzgebiet zwischen Syrien und der Türkei im Jahr 2015 spielte der Kreml mit dem Gedanken, den Vertrag von Moskau zu annullieren und damit auch dem Vertrag von Kars die Basis zu entziehen. (Michael Vosatka, 20.9.2023)