Jedes Jahr ein paar Milliarden Liter Flüssigkeit aus vor Millionen Jahren abgestorbenen Pflanzenresten aus dem Boden zu pumpen, über hunderte Kilometer lange Rohre zu Raffinerien und dann in Lastwägen zu Tankstellen zu bringen, wo dann eine Milliarde Leute ihre Autos über ein hunderte Milliarden teures Straßennetz hinfahren, um diese Flüssigkeit zu verbrennen – ganz normal, weil so machen wir das immer schon. Ein Auto mit einer simplen Batterie zu betreiben und an der Steckdose anzuschließen: Da bricht sicher das Stromnetz zusammen, Rohstoffe gibt's auch nicht genug, und wer soll sich das leisten können?

Zu Elektroautos schwirren viele fast mystische Vorstellungen umher. Ein kleiner Faktencheck.

1. Wir haben nicht genügend Strom

Wenn man alle etwa fünf Millionen Pkw in Österreich mit einem Elektroauto ersetzt und die Menschen damit genauso viel fahren wie heute, steigt unser Stromkonsum um etwa 20 Prozent, zeigen Berechnungen des Umweltbundesamts. Das ist nicht nichts, und wir brauchen auch mehr Strom für Wärmepumpen, E-Lkws und grüne Stahlerzeugung. Aber 20 Prozent mehr Strom für E-Autos über die nächsten 20 Jahre zu erzeugen ist keine große Aufgabe.

E-Auto-Ladestelle in Wien: Fast alle populären Mythen über E-Mobilität sind falsch, nur eine (Punkt 10) erweist sich als richtig
E-Auto-Ladestelle in Wien: Fast alle populären Mythen über E-Mobilität sind falsch, nur einer (Punkt 10) erweist sich als richtig.
Copyright Karl Schöndorfer TOPP

Mit kluger Verkehrspolitik brauchen wir hoffentlich weniger als die 20 Prozent. Etwa indem mehr Menschen mehr Wege mit Öffis zurücklegen. Anders werden unsere Klimaziele auch kaum zu erreichen sein.

2. Die Stromnetze halten das nicht aus

Haben Sie Angst, dass Ihr E-Herd das Stromnetz kollabieren lassen wird? Nein? Der hat genau wie ein E-Auto nämlich einen Anschlusswert von elf Kilowatt, sagt Franz Angerer von der Energieagentur. "Wenn jeder Haushalt seinen Elektroherd gleichzeitig einschaltet, ist noch nie jemand auf die Idee gekommen, dass das ein Problem für das Netz sein könnte. E-Autos sind große Verbraucher, aber keine große Herausforderung für das Netz, weil sich das verteilt."

Man habe das mehrfach getestet. Eine ganze Siedlung, die an einem Trafo hing, wurde von der Energieagentur mit E-Autos "vollgestopft". "Es ist nirgendwo eine Sicherung gegangen. Nichts ist passiert." Bei einem zweiten Versuch wurden die Bewohner angehalten, jeden einzelnen Weg mit dem E-Auto zurückzulegen und immer zu Hause zu laden. "Es gab kein Problem", so Angerer. Nicht einmal, als alle gleichzeitig um 19 Uhr auf Anweisung ihr E-Auto ansteckten, gab es ein Problem.

Die wahre Herausforderung für die Stromnetze ist der Ausbau der Photovoltaik, der heuer mit mindestens 2.000 Megawatt noch einmal doppelt so hoch ausfalle wie im Vorjahr, so Angerer. Anders als bei E-Autos laufen PV-Anlagen gleichzeitig auf Vollgas, wenn die Sonne scheint. Darum müssen Milliarden Euro in die Netze investiert werden. In stärkere Ortsnetze, Trafos, Verteilnetze und eine Digitalisierung des Gesamtsystems – auch beim Endverbraucher, um dessen Flexibilitäten zu nutzen, heißt es beim Betreiber der Übertragungsnetze, APG. Einen starken Ausbau der PV braucht es mit oder ohne E-Autos.

3. E-Autos sind in Wahrheit gar nicht umweltfreundlicher

Ein Auto wird nie "umweltfreundlich" sein, dafür braucht es zu viele Ressourcen und macht zu viele Emissionen und andere Probleme. In all diesen Punkten schneidet das E-Auto aber besser ab als der Verbrenner. Beim heutigen österreichischen Strommix sorgt ein E-Auto laut Umweltbundesamt für 50 bis 60 Prozent weniger Treibhausgase als ein Verbrenner.

Je mehr Sonne und Wind im Stromnetz ist, desto weniger klimaschädlich wird das. Wenn Länder wie China weniger Kohlestrom einsetzen, senkt das die Bilanz weiter. Denn dort werden heute etwa Batterien bei hohen Emissionen produziert. Blickt man nur auf die Produktion eines Autos, macht ein Verbrenner weniger Emissionen. Aber das wahre Problem ist der Betrieb. Nach nur 45.000 Kilometern hat ein Verbrenner das E-Auto im negativen Sinne "eingeholt" und schädigt das Klima von da an mit jedem Kilometer mehr.

Auch beim Lärm und der Luftverschmutzung schlägt das E-Auto den Verbrenner, weil nichts mehr verbrannt wird. Es gibt auch weniger Feinstaubbelastung durch die Bremsen, weil ein E-Auto Rekuperation nutzen kann. Das ist wichtig, denn 2.300 Menschen sterben in Österreich im Jahr wegen Feinstaub, etwa an Herzinfarkten oder an Schlaganfällen. Die Feinstaubbelastung durch Abnutzung von Reifen und Straßen ist bei E-Autos aber genauso hoch – oder sogar noch höher, wenn das Auto schwerer ist als der vorherige Verbrenner.

4. Wir haben nicht genug Rohstoffe für Milliarden E-Autos

Dass uns ein essenzieller Rohstoff ausgeht, ist seit Jahrzehnten immer wieder die Sorge vieler Menschen. Unter dem Begriff "Peak Oil" wird seit 100 Jahren befürchtet, dass uns das Öl ausgeht. Wie der voranschreitende Klimawandel zeigt, ist das aber leider bis heute nicht eingetreten. Für E-Autos wird vor allem jede Menge Lithium benötigt. 2050 werden wir einer Berechnung zufolge 22-mal so viel Lithium brauchen wie 2022.

Wir haben aber genug davon, wie Hannah Ritchie von der Universität Oxford vorrechnet. Die Menge an Lithium, die wir technisch und ökonomisch sinnvoll fördern können, wird heute auf 22 Millionen Tonnen geschätzt. 2008 ging man noch von 80 Prozent weniger Reserven aus. Wenn die Nachfrage und damit die Preise steigen, fangen mehr Konzerne an, danach zu suchen. Sie werden besser darin, es zu finden und zu fördern.

Derzeit werde nur ein Prozent des Lithiums recycelt, so Ritchie. Es werden aber jetzt schon viele Milliarden in Batterie-Recycling-Anlagen investiert. Schon die heute bekannten Lithium-Reserven von 22 Millionen Tonnen reichen aus, um drei Milliarden Batterien für E-Autos herzustellen. Derzeit gibt es 1,3 Milliarden Pkws auf der Welt. Die bekannten Vorräte, die aber teilweise noch nicht wirtschaftlich zu fördern sind, liegen bei 88 Millionen Tonnen. Das wahre Vorkommen liegt wahrscheinlich viel höher.

Wir haben also genug Rohstoffe. Dass in den nächsten Jahren bereits genügend davon da ist, damit der Lithiumpreis und damit auch der von Batterien nicht zu stark steigt, ist zentral. Die Preise von Lithium haben sich in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht und 2022 dann sogar verfünffacht. Die Preise von Batterien sind seit 1990 aber um 97 Prozent gesunken.

5. Der Rohstoffabbau ist unverhältnismäßig umweltschädlich

Mit dem Abbau von Rohstoffen ist es wie mit Autos an sich: Umweltfreundlich geht das nicht. Aber man darf E-Autos nicht mit einer hypothetischen Welt vergleichen, in der die Menschen nur zu Fuß gehen. Vergleicht man eine Welt, in der mit E-Autos oder Verbrennern gefahren wird, ist völlig klar, dass E-Autos viel weniger Schäden verursachen.

Es ist auch völlig klar, dass sie weniger Ressourcen verbrauchen. Derzeit fördern wir im Jahr laut Ritchie acht Milliarden Tonnen Kohle, vier Milliarden Tonnen Öl und drei Milliarden Tonnen Gas – mit horrenden Auswirkungen für die lokale Bevölkerung, die Biodiversität und das Klima.

Für die gesamte Energiewende inklusive der Windräder, PV-Anlagen, E-Autos, Netze usw. brauchen wir derzeit sieben Millionen Tonnen Materialien. Sieben Millionen (!) Tonnen für die gesamte Energiewende versus acht Milliarden (!) Tonnen nur für Kohle. Bis 2040 werden es 28 Millionen Tonnen Materialien, so die IEA, noch immer nur ein Bruchteil.

Selbst in den ambitioniertesten Ausbauszenarien Erneuerbarer, in denen sich E-Autos sehr rasch durchsetzen, brauchen wir noch immer 500- bis 1.000-mal weniger Rohstoffe als jetzt.

6. Die Reichweite ist noch zu gering

Dieses Problem hat sich erledigt. Die mittlere Reichweite eines E-Autos hat sich seit 2011 fast vervierfacht. 2021 lag die durchschnittliche Reichweite schon bei 350 Kilometern. So lange fährt de facto niemand am Stück – und wer auf der Autobahn unterwegs ist, findet ein immer besseres Angebot an Schnellladestationen vor. Der Großteil der Menschen lädt aber das E-Auto sowieso zu Hause und fährt am Tag auch eher 30 als 300 Kilometer.

Ein E-Auto wird man nie so schnell laden, wie man einen Benziner betankt. Aber die meisten Menschen werden ihr E-Auto in den meisten Fällen überhaupt nicht mehr extra laden. Sie stecken es in der Garage, am Arbeitsplatz oder im Parkhaus ein und müssen gar nicht mehr zum Tanken fahren.

7. E-Autos sind noch immer viel zu teuer

Neue E-Autos sind heute in den meisten Fällen inklusive Förderungen schon billiger als vergleichbare neue Verbrenner. Das sagen nicht die Grünen, sondern der deutsche Autofahrerklub ADAC. Zwar sind die Anschaffungskosten meist höher. Aber weil der Energieverbrauch niedriger, das Tanken billiger und die Ausgaben für den Mechaniker kleiner sind, fährt man über fünf Jahre gerechnet elektrisch billiger.

Der BMW i4 kostet über fünf Jahre bei im Schnitt 15.000 Kilometern im Jahr 80 Cent auf den Kilometer. Die vergleichbare Dieselvariante 95 Cent. Dabei wurde vom ADAC angenommen, dass das Auto nach fünf Jahren wieder verkauft wird. Der Wertverlust ist eingerechnet. Der VW ID.3 kostet 56 Cent, das vergleichbare Dieselmodell 62 Cent am Kilometer.

Die meisten Menschen in Österreich kaufen ihr Auto gebraucht. Auf Willhaben werden derzeit etwa 6.000 gebrauchte E-Autos angeboten. Das könnten schon mehr sein, wenn nicht die Halbleiterkrise die vergangenen zwei Jahre die Produktion von E-Autos gebremst hätte. Auch die Nachfrage nach neuen Autos war in Österreich durch Ukrainekrieg und Teuerung zuletzt sehr niedrig. Wenn wenig neue Autos gekauft werden, landen einige Jahre später auch weniger am Gebrauchtwagenmarkt. Sonst gäbe es gebrauchte E-Autos schon billiger.

8. E-Autos setzen sich nur wegen Förderungen durch

Der elektrische Antrieb setzt sich gegenüber dem Verbrenner durch, weil er die überlegene Technologie ist. E-Autos fahren sich besser, leiser, man ist schneller auf 100, und sie sind auch deutlich energieeffizienter. Ein E-Auto braucht laut Umweltbundesamt nur 23 bis 33 Prozent der Energie, die ein Verbrenner für dieselbe Strecke braucht. De facto niemand, der auf ein E-Auto umgestiegen ist, wünscht sich seinen alten Verbrenner zurück.

Während die Politik in Österreich teilweise noch E-Fuels und Wasserstoffautos das Wort redet, hat sich der Markt längst entschieden. Jaguar will in zwei Jahren nur mehr E-Autos auf den Markt bringen, Opel in fünf, Mercedes großteils in sieben und VW in zehn Jahren. Dort passieren auch die großen Fortschritte: Die Batteriepreise sind seit 1990 um 97 Prozent gefallen, und eine Lithium-Ionen-Batterie speichert heute mit demselben Volumen 2,5-mal mehr Energie als 1991.

9. E-Autos sind zu gefährlich

Einer der größten Medienmythen sind brennende Elektroautos. E-Autos brennen bei einem Unfall nicht öfter als Verbrenner. Die meisten Autos, die auf der Straße zu brennen beginnen, sind mit Diesel oder Benzin betrieben. Brennende Dieselautos machen aber keine Schlagzeilen.

Für Feuerwehren sind E-Autos nicht schwerer, aber anders zu löschen. Man braucht etwa mehr Löschwasser und muss auf den Akku schauen. Aber auch ein Fahrzeug, das mit Benzin oder Diesel befüllt ist, ist für eine Feuerwehr unangenehm.

Der deutsche Autofahrerklub ADAC schreibt: "Keines der aktuellen Elektroautos ist bislang bei einem Crashtest negativ aufgefallen. Im Vergleich mit herkömmlich angetriebenen Pkws ist die Sicherheit von Elektroautos wegen der optimierten Crashstruktur im Fahrzeug sogar oft besser." Und: "Ein brennendes Elektroauto erregt viel Aufmerksamkeit, da die Technologie noch neu ist und die Menschen sowie Medien dementsprechend aufmerksam sind – Angst ist dagegen unbegründet." Aktuell gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass Elektroautos mit oder ohne Unfalleinwirkung eher zum Brennen neigen als Autos mit Verbrennungsmotor.

10. E-Autos machen uns noch abhängiger vom Auto

Die Einzigen, die regelmäßig überzeugende Argumente gegen das E-Auto vorbringen, sind Verkehrsplaner. Wie mit de facto allen Gütern ist es nämlich auch mit dem Auto so: Je höher der Preis, desto weniger wird nachgefragt. Je teurer der Sprit, desto weniger wird gefahren. Das ist ja etwa der Sinn der CO2-Steuer in Österreich. Weil E-Autos effizienter und günstiger sind als Verbrenner, senken sie den Preis des Fahrens und es wird mehr gefahren.

Ein weiteres Problem: Menschen haben das Gefühl, mit dem E-Auto der Umwelt etwas Gutes zu tun, und fahren deshalb mitunter mehr als vorher, sagt Holger Heinfellner vom Umweltbundesamt. Früher oder später müsse aber das Gegenteil passieren, denn ein Umstieg auf die effizientere Technologie allein reiche nicht. Um die Klimaziele erreichen zu können, müssten wir Anreize schaffen, damit die Fahrleistung sinkt.

Auch andere Nebenwirkung des Autos wie Verkehrsunfälle, Staus, das Parkplatzproblem, die Versiegelung von Flächen und die starke Zersiedelung lösen das E-Auto naheliegenderweise nicht, sagt Günter Emberger von der TU Wien. In Österreich könne man an vielen Orten nicht ohne Auto leben. Das sei unsozial, denn inklusive Sprits, Versicherung und Wertverlusts zahle man 500 bis 700 Euro im Monat fürs Auto.

"Man muss sich das einmal ausrechnen, wie viele Stunden man im Monat nur für den Autobesitz arbeitet." Aufgabe der Politik sei es, die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass der Erwerb eines Autos tatsächlich zu einer freien Entscheidung werde – und kein Zwang mehr sei. (Andreas Sator, 22.9.2023)