Für viele Arten bedeutet der Klimawandel eine Bedrohung. Ökosysteme, die sich über lange Zeit an die Gegebenheiten angepasst haben, müssen sich nun in wenigen Jahrzehnten umstellen. Ihre Bewohner geraten dabei zunehmend an ihre Grenzen, viele wandern ab oder sterben schlicht aus. Dennoch gibt es auch Spezies, die unter den neuen Umständen gut zu gedeihen scheinen.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Großschwanzgrackel (Quiscalus mexicanus). Der Neuwelt-Vogelart ist es entgegen dem allgemeinen Trend in der Tierwelt in den letzten Jahrzehnten gelungen, neue Populationen in ganz Nordamerika zu gründen. Woran das liegt, hat nun ein internationales Forschungsteam herausgefunden. Zumindest in diesem Fall liegt der Schlüssel zum Erfolg der Vögel in ihrem Verhalten: Die Population am Rande des Verbreitungsgebiets ist beharrlicher und verfügt über eine größere Flexibilitätsvielfalt.

Großschwanzgrackel in Kalifornien
Die Großschwanzgrackeln (links ein Weibchen, rechts ein Männchen) haben dazugelernt und sich so neue Lebensräume erobert.
Foto: Corina Logan

Unterschiedlich erfolgreich

Die Gruppe vom Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie, der University of California Santa Barbara und der University of Rochester (beides USA) hat untersucht, welche Rolle die Verfügbarkeit zusätzlicher Lebensraumoptionen für die Großschwanzgrackel gespielt haben könnte. Dazu verglichen die Forschenden die Art mit ihren nächsten Verwandten, den Bootschwanzgrackeln. Während es Ersteren gelingt, ihr Verbreitungsgebiet rasch zu erweitern, ist das bei Letzteren nicht der Fall.

Auf der Grundlage eines Citizen-Science-Projekts zur Beobachtung verschiedener Vogelarten fand das Team heraus, dass Großschwanzgrackeln zwischen 1979 und 2019 nicht nur in neue verfügbare Lebensräume gezogen sind, die ihren früheren Anforderungen entsprachen, sondern dass sie ihren Lebensraum erweitert und sich vermehrt auch in städtischen, trockeneren Umgebungen angesiedelt haben. Im Gegensatz dazu verlagerten Bootschwanzgrackeln ihr Verbreitungsgebiet als Reaktion auf den Klimawandel nur geringfügig nach Norden.

Beharrlichkeit und Flexibilität

Großschwanzgrackeln scheinen ihr Verbreitungsgebiet also nicht einfach auszuweiten, weil ihnen mehr Lebensraum zur Verfügung steht. "Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass bestimmte Verhaltensweisen es Großschwanzgrackeln erleichtern, ihren Lebensraum zu erweitern", sagt Corina Logan vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Hauptautorin der im "Peer Community Journal" veröffentlichten Studie.

Um die Rolle, die Verhalten beim Erschließen neuer Lebensräume zu spielen scheint, genauer zu untersuchen, verglichen die Forschenden das Verhalten zweier Populationen von Großschwanzgrackeln: Eine hatte sich erst kürzlich am nördlichen Rand des Verbreitungsgebiets angesiedelt, die andere, eine ältere Population, lebt näher am Zentrum des Verbreitungsgebiets dieser Vogelart.

Das Ergebnis des Forschungsteams: Die Population am Rande des Verbreitungsgebiets der Großschwanzgrackeln verfügte über eine größere Flexibilitätsvielfalt und war beharrlicher als die ältere Population im angestammten Verbreitungsgebiet. "Wir wissen, dass es sich um eine sehr flexible Art handelt, die ihr geografisches Verbreitungsgebiet rasch ausdehnt," sagt Logan. "Es hat uns jedoch überrascht, dass Beharrlichkeit beim Erschließen des neuen Lebensraums wohl eine größere Rolle gespielt hat als die durchschnittlich höhere Verhaltensflexibilität."

Großschwanzgrackel in Kalifornien
Ein junges Großschwanzgrackel-Männchen (links) auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums in Sacramento, Kalifornien, fischt sich Nahrungsreste aus einem Behälter.
Foto: Corina Logan

Neue Lösungen ausprobieren

Beharrlichkeit könnte es Individuen ermöglichen, zufällig Lösungen für die Herausforderungen zu finden, mit denen sie sich in ihrer neuen Umgebung konfrontiert sehen – zum Beispiel, indem sie sich neue Nahrungsquellen erschließen. Je mehr Variabilität es innerhalb einer Population hinsichtlich der Verhaltensflexibilität gibt, umso wahrscheinlicher ist es, dass wenigstens einige Individuen sehr flexibel sind und dass andere von ihnen lernen können, was insgesamt die Ausbreitung der Population erleichtert.

Die Flexibilität scheint also in Interaktion mit anderen Fähigkeiten das Verhalten herauszubilden und zu fördern, das für das Erschließen neuer Lebensräume nötig ist. Zum Beispiel könnten Grackeln am Rande ihres Verbreitungsgebiets so erfolgreich sein, weil sie immer wieder neue Lösungen ausprobieren, anstatt schnell aufzugeben oder denselben Lösungsansatz immer wieder zu versuchen.

Das Team will an dem Thema dranbleiben und die Forschungsarbeit der letzten zehn Jahre an dieser Spezies fortsetzen. "Wenn wir herausfinden, wie Großschwanzgrackeln im Vergleich zu Bootschwanzgrackeln und anderen Arten Herausforderungen anders meistern, können wir zukünftig vielleicht Wege aufzeigen, um gefährdeten Arten zu helfen, sich besser an Veränderungen in ihrer Umwelt anzupassen", sagt Logan. (red, 21.9.2023)