Die Welt der Commons ist reich und vielfältig, aber es ist oft unsere Erziehung, die uns den Blick für ihre Möglichkeiten verstellt. Wir werden ja nicht als Egoisten geboren, sondern es sind die Verhältnisse, die wir als selbstverständlich erachten, die aus ursprünglich kooperationsbereiten sozialen Wesen den Homo oeconomicus, den "rationalen Nutzenmaximierer", machen. In einem Experiment1 mit 20 Monate alten Kindern ließ der Experimentator einen Löffel fallen und bemühte sich vergeblich, ihn mit der Hand zu erreichen. Die meisten Kinder erkannten seine Not und brachten ihm den Löffel. Das taten sie auch dann immer wieder, wenn er sich nicht einmal bedankte. Wenn er sie allerdings mit einer Süßigkeit belohnte und die Belohnung nach ein paar Wiederholungen wieder ausblieb, verloren die meisten Kinder ihre selbstverständliche Hilfsbereitschaft. Doch die Bereitschaft zur Kooperation ist nicht gleichbedeutend mit selbstverleugnendem Altruismus. Commoners können durchaus Nutzenmaximierer sein, nämlich des gemeinschaftlichen Nutzens.

Trolle bleiben draußen

Das bekannteste Beispiel für ein funktionierendes weltweites Commons ist Wikipedia. Hier kann jede und jeder Wissen teilen und Wissen schöpfen. Diese Wissens-Allmende wird von den User:innen selbst verwaltet. Aus anarchischen Anfängen hat sich ein komplexes System von Checks und Balances entwickelt, das die Übernahme durch Trolle und andere Trittbrettfahrer:innen weitgehend abwehren kann. Sieht man sich zentral verwaltete Plattformen wie X (vormals Twitter, Anm. d. Red.) oder Facebook an, erkennt man, wie hoch dieser Erfolg einzuschätzen ist.

Auch das Computer-Betriebssystem Linux ist aus der Commons-Idee heraus entstanden. Jede und jeder kann es nutzen, und jede und jeder darf es verbessern, abwandeln, den eigenen Bedürfnissen anpassen. Jede Open-Source-Software orientiert sich am Commons-Prinzip. Aber es gibt auch Open-Source-Hardware – also frei nutzbare, patentfreie Konstruktionspläne vom Sessel bis zum Passivhaus.

Das Mietshäuser Syndikat in Deutschland ist ein Zusammenschluss von 187 Gemeinschafts-Wohnprojekten. Die Projekte sind so verschiedenartig wie ihre Entstehungsgeschichte. Manche sind aus rein praktischen Erwägungen entstanden, andere mit politischen und gesellschaftsverändernden Zielsetzungen oder um Abrissplänen zuvorzukommen. Das Syndikat nützt sein Know-how und berät neue Projekte, organisiert Direktkredite von Privaten und unterhält einen Solidarfonds. Das Syndikat bietet aber vor allem den einzelnen Hausprojekten einen Schutz vor sich selbst. Um die Häuser dauerhaft dem Immobilienmarkt zu entziehen, schließt sich jeweils ein Hausprojekt mit dem Syndikat zu einer – Überraschung! – GmbH zusammen. Dadurch erhält das Syndikat in Fragen des Verkaufs oder der Umwandlung in Eigentumswohnungen ein gleichberechtigtes Stimmrecht.

Omni Commons ist ein Gemeinschaftsprojekt von mehreren Kollektiven in Oakland, Kalifornien: Alle Projekte hier sind für alle Menschen zugänglich und werden gemeinschaftlich geführt: naturwissenschaftliches Labor, Hackerspace, Kunstatelier, Versammlungs- und Proberäume, Druckerei, Konzert- und Theaterraum, eine Schule, in der jede/r unterrichten und jede/r lernen kann, und eine Cafeteria, die Gratisessen aus geretteten Lebensmitteln ausgibt.

Omni Commons in Oakland

Teilen statt tauschen

Nicht für den Markt zu arbeiten, sondern füreinander ist das Ideal der Solidarischen Landwirtschaft oder Community Supported Agriculture. An die 50 solcher Gemeinschaften gibt es derzeit in Österreich. Solawis sind mehr als nur ein Zusammenschluss von Produzierenden und Konsumierenden. Sie verstehen sich als Gemeinschaften, die sich die Ernte teilen. Die Mitglieder kaufen nicht die Produkte, sondern finanzieren die Erzeugung und ermöglichen den Gärtner:innen, von ihrer Arbeit zu leben. Die Erzeuger:innen legen offen, wie viel sie dafür brauchen, und die Konsument:innen erklären, wie viel sie zur Aufbringung der Mittel beitragen können. Es geht also um Bedürfnisbefriedigung, nicht um Gewinnmaximierung.

Ist die Ernte gut, kann mehr aufgeteilt werden. Ist die Ernte einmal schlecht, trägt auch das die Gemeinschaft. Die Produzent:innen können ohne Konkurrenzdruck und mit Planungssicherheit arbeiten. Sie müssen nicht das Maximum aus dem Boden herausholen, sondern können ihre Wirtschaft kleinräumig gestalten, mit viel Platz für Hecken und Bäume und regenerativer Bodenbearbeitung. Statt Monokultur wird Biodiversität gepflegt.

Food-Coops (Lebensmittelkooperativen) verfolgen ähnliche Ziele, sind aber reine Einkaufsgenossenschaften, die selbstorganisiert biologische Produkte direkt von lokalen Bauernhöfen, Gärtnereien, Imkereien etc. beziehen. Auch sie streben an, die Anonymität zwischen Produzent:innen und Konsument:innen aufzuheben. Lebensmittel werden saisonal und regional, ökologisch nachhaltig und sozial gerecht produziert. Die Mitglieder teilen sich Aufgaben wie Abholung, Lagerdienst und so weiter und treffen Entscheidungen basisdemokratisch. In Österreich existieren derzeit an die 80 solcher Initiativen.

Korb mit Obst und Gemüse
Wild Woods Farm in Iowa versorgt 200 Haushalte direkt mit 30 verschiedenen Gemüsearten. Das hier ist der wöchentliche Anteil, den sich Mitglieder an einer der sieben Pick-up-Stationen abholen können.
U.S. Dept. of Agriculture - Public Domain / https://www.flickr.com/photos/usdagov/37117329441/in/photostream/

Obst und Gemüse zum Einheitspreis

Im vorigen Jahr wurde der "alternative Nobelpreis" – korrekte Bezeichnung: "Right Livelihood Award" – an das Kooperativen-Netzwerk Cecosesola in Venezuela vergeben. Und zwar "für die Errichtung eines gerechten und kooperativen wirtschaftlichen Modells als einer robusten Alternative zu profitgetriebenen Ökonomien". Cecosesola (Central de Cooperativas de Lara) ist ein Netzwerk von ländlichen und städtischen Kooperativen im Andenvorland, das über 100.000 Familien in sieben venezolanischen Bundesstaaten mit erschwinglichen Gütern und Dienstleistungen versorgt. Und das seit 55 Jahren.

Die Kooperativen produzieren und vertreiben Lebensmittel, bieten Gesundheitsdienste, Transport und sogar Bestattungen an. Sie betreiben vier große Märkte in der 1,25-Millionen-Stadt Barquisimento. Die Lebensmittel werden dort zu einem einheitlichen Kilopreis verkauft – 1 Kilo Tomaten kostet gleich viel wie 1 Kilo Kartoffeln. Die einzelnen Dorfgemeinschaften beraten mit den Angestellten der Genossenschaft, welche Produktionskosten sie haben: Saatgut, Bewässerungsrohre, Treibstoff für Pumpen, Maultiere, die das Gemüse bis zu den befahrbaren Straßen bringen usw. Die Kosten aller Gemeinden werden zusammengelegt, ebenso die Mengen der von jedem Dorf produzierten Gemüse. Daraus ergibt sich der einheitliche Kilopreis. Unterschiedliche Produktionsbedingungen in günstigen und weniger günstigen Lagen werden so ausgeglichen. Der Einheitspreis erspart eine Menge Bürokratie, es gibt keine Kosten für Marketing und Werbung, keinen Zwischenhandel. "Unser Maßstab sind einfach die Produktionskosten inklusive dessen, was die Produzierenden zum Leben brauchen", erklärt Kooperativenmitglied Noel Vale Valera. Dadurch liegen die Preise von Cecosesola deutlich unter den üblichen Marktpreisen. Über ein halbes Jahrhundert konnte die Kooperativen-Kooperative politische und wirtschaftliche Krisen überstehen, auch eine Hyperinflation, die 2017 fast 3.000 Prozent betrug. Nachzulesen in dem Buch "Die Welt der Commons" von Silke Helfrich und David Bollier.2

Offener Zugang zur Wissenschaft

Auf der Webseite des Buchs steht in einem sternförmigen Logo: "Open Access". Open Access ist die Umsetzung des Commons-Gedankens in der Wissenschaft. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG bietet die folgende Definition: "Open Access (englisch für offener Zugang) ist der freie Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen und anderen Materialien im Internet. Ein unter Open-Access-Bedingungen publiziertes wissenschaftliches Dokument kann jede und jeder lesen, herunterladen, speichern, verlinken, drucken und damit entgeltfrei nutzen." In der Praxis heißt das zum Beispiel, dass man das Buch von Silke Helfrich als PDF herunterladen kann. Nur die gedruckte Ausgabe kostet etwas.

Wissenschaftliche Journale sind teuer, und die einzelnen Artikel im Internet sind meist hinter einer Bezahlschranke verborgen. Es gibt aber eben auch Open-Access-Zeitschriften, deren Beiträge genau wie die anderer Journale von unabhängigen Gutachter:innen geprüft sind (Peer-Review), aber im Internet ohne Bezahlung zugänglich sind. Freilich darf sich nicht alles, was jemand als wissenschaftlich ins Internet stellt, Open Access nennen. Um die Qualität sicherzustellen, gibt es das "Directory of Open Access Journals" und das "Directory of Open Access Books".

Nicht nur für wissenschaftliche, sondern für jegliche Art von Publikationen wurden "Creative Commons" geschaffen. Das sind international standardisierte Lizenzen, mit denen Urheber:innen den Nutzer:innen erlauben, Bilder, Texte, Musik, Videos oder sonstige Schöpfungen zu verwenden, wenn sie bestimmte Regeln einhalten. Die Lizenz gibt darüber Auskunft, ob der Name der Autor:in genannt werden muss, ob das Werk nur zu nichtkommerziellen Zwecken oder auch kommerziell verwendet werden darf, ob es abgewandelt (zum Beispiel gesampelt) werden oder nur unverändert weitergegeben werden darf.

Zurück zu handgreiflicheren Commons. Haben Sie Lust auf "Kriacherln"? In Innsbruck Ecke Andreas-Hofer-Straße und Franz-Fischer-Straße steht über der Zufahrt zur Tiefgarage ein schöner, frei zugänglicher Mirabellenbaum. Verzeichnet ist er, wie tausende andere Obstbäume und Beerensträucher auf öffentlichem Grund, in der Karte von mundraub.org.

Und kennen Sie den einzigen selbstverwalteten Park von Wien? Es ist der Planquadratgarten im vierten Bezirk. Wie sich die Anwohner:innen in den 1970er-Jahren diesen Gemeinschaftsgarten erkämpft und den Abbruch ihrer Häuser verhindert haben, und zwar mit tatkräftiger Unterstützung durch ein Fernsehteam des ORF, das können Sie auf der Webseite des Ersten Wiener Protestwanderwegs hören und sehen. (Martin Auer, 5.10.2023)

In der nächsten und letzten Folge dieser kleinen Serie soll es um das überlebenswichtige Problem der globalen Commons gehen.