Autorin Eva Reisinger
Eva Reisinger: "In Österreich wird gern so getan, als wäre Gewalt gegen Frauen eine Naturgewalt."
Minitta Kandlbauer

Eine Priesterin in Designerklamotten, die Dorfgemeinschaft schaut auf die Kinder ebenso wie die leibliche Mutter, die sich schon einmal mit Freundinnen auf dem Dorfplatz betrinkt. Und sexualisierte psychische oder physische Gewalt gegen Frauen gibt es sowieso keine in Engelhartskirchen. Eva Reisinger hat für ihren Roman "Männer töten" im ländlichen Oberösterreich ein Matriarchat erschafffen. Dort leben auch manche Männer ganz gut, Sexisten und Gewalttäter allerdings weniger. Für ihr schön-schreckliches Debüt wurde Reisinger kürzlich auf die Shortlist für den Österreichischen Buchpreis 2023 gesetzt.

STANDARD: Sie haben auch journalistisch über Gewalt gegen Frauen geschrieben und konnten Ihre eigenen Sätze dazu nicht mehr lesen, wie Sie einmal sagten. Was war falsch daran?

Reisinger: Es gab dieses Erlebnis im Jänner 2019, als allein in diesem Monat sechs Frauen ermordet wurden. In diesem Jahr wurde ein trauriger Höchststand von 39 Frauenmorden erreicht. Ich war damals als Österreich-Korrespondentin beim jungen Medium der Zeit und überlegte, wie man die Menschen noch dazu bringt, etwas über Gewalt gegen Frauen zu lesen. Ich schrieb dann, wie brutal die Frauen ermordet wurden. Später dachte ich, dass es eigentlich erbärmlich ist, die Gewalt genauer beschreiben zu müssen, damit sich jemand noch dafür interessiert. Auch die Forderungen nach mehr Ressourcen oder mehr Bildung – es sind immer dieselben. Damals habe ich das erste Mal gehadert mit meinem journalistischen Schreiben und der Frage, ob dieses auch nur irgendeine Auswirkung hat, und habe mich gefragt, wie ich gerne darüber schreiben würde – und fand die Idee interessant, die Machtrollen einmal umdrehen zu können.

STANDARD: Wie war dieses andere Schreiben dann für Sie?

Reisinger: Diese Welt aufzubauen und meine literarische Stimme zu finden, das hat sich gut angefühlt. Selbst zu bestimmen, wer hat welche Macht, welche Figuren werden wie dargestellt – vor allem die Frauen.

STANDARD: Und die Brutalität in Ihrem Buch? Mit vielen Männern wird ja nicht zimperlich umgegangen.

Reisinger: Ich finde die Kritik, mein Buch sei zu brutal, immer interessant. Man sollte bedenken, wie Frauen in der Literatur seit Jahrhunderten ermordet werden. Ich habe mir gut überlegt, wo ich Gewalt wie verwende. Bei Mord an Frauen scheint die Darstellung in Ordnung zu sein, aber sobald es um Männer geht ...

STANDARD: Neben der ungewohnten Erzählung von Gewalt durch Frauen an Männern gibt es im Buch auch andere unvorstellbare Szenen: Eine Gruppe von Frauen sitzt mit Bierkisten auf dem Dorfplatz, die Schulkinder gehen vorbei, und ein Kind winkt fröhlich seiner Mama zu. Unvorstellbar.

Reisinger: Ja, es gibt viele Möglichkeiten, das durchzuspielen, etwa einfach das Patriarchat spiegeln. Aber das ist in meinem Buch überhaupt nicht so. Frauen wenden überhaupt keine sexuelle Gewalt an, erheben keine Besitzansprüche. Sie wenden "nur" Gewalt an, um Probleme zu lösen. Etwa wenn Männer die Freiheit und Gleichstellung im Ort bedrohen. Die Frauen diskutieren auch überhaupt nicht, ob das okay ist – es wird einfach so gemacht. So funktioniert dieser Ort, und das hat mich gereizt. Ich hätte auch über einen friedlichen Ort schreiben können, ein Matriarchat, in dem ohne Gewalt alles funktioniert. Alle weiblich gelesenen Personen, die ich kenne, haben sehr brutale Erfahrungen und viele Grenzüberschreitungen erlebt. Natürlich ist der Gedanke an Rache einer, der dann da ist. Oft ist die Reaktion, wenn eine Freundin von einer Grenzüberschreitung erzählt: Wir machen ihn fertig. Nicht weil sie das tatsächlich umsetzen wollen, sondern einfach um zu zeigen: Ich stehe hinter dir.

Christina Clemm,
Eva Reisinger, "Männer töten". € 25,50 / 288 Seiten, Leykam, Graz 2023
Leykam Verlag

STANDARD: Wie sind Sie auf eine der Töchter Maria Theresias, Maria Karolina, gekommen? Sie haben sie das Matriarchat in Engelhartskirchen gründen lassen.

Reisinger: Für mich war schnell klar, Maria Theresia vorkommen zu lassen. Maria Theresia war keine Feministin, aber sie war die einzige Frau, die Österreich je angeführt hat – abgesehen von Brigitte Bierlein, aber bei ihr war ja klar, dass sie nur vorübergehend Bundeskanzlerin ist. Ich fragte mich, was wäre, wenn Maria Theresia für ihre Tochter Maria Karolina eine feministische Entscheidung getroffen hätte. Maria Theresia hat sie mit 16 aus politischen Gründen zwangsverheiratet, jedes ihrer Kinder ist Opfer ihrer Politik geworden.

STANDARD: In Ihrem Buch fällt einem Journalisten auf, dass da an einem Ort in Österreich vieles anders ist als an allen anderen. Der Normalität geht man nicht so beherzt nach?

Reisinger: Für das Buch ist er wichtig, weil mit ihm eine bekannte Person in dieses abgeschlossene System hineinkommt und sich dadurch vieles ändert. Es ist klar, dass dieser Journalist nicht ohne Konsequenzen in diesen Ort kommt und herumfragt. Er hat schon vieles herausgefunden, etwa dass es keinen einzigen Vorfall einer ermordeten Frau gibt – aber viele vermisste Männer. Ich wollte damit zeigen: Sobald Männer verschwinden, beginnen alle nachzuforschen. Aber wenn Frauen im Schnitt jede zweite Woche ermordet werden, ist es kein Skandal. Und das ist nichts Erfundenes. In Österreich bekommt man manchmal das Gefühl, als könne man gegen Gewalt gegen Frauen nichts tun, als ob sie eine Naturgewalt wäre. Dabei könnte die Politik sehr viel dagegen tun. Seit vergangenem Jahr werden Gewaltschutzambulanzen versprochen – heuer wurden bisher 17 Frauen getötet, und sie sind immer noch nicht da.

STANDARD: Von der Hauptfigur Anna Maria werden zwei Beziehungen nachgezeichnet. Eine erscheint sehr leidenschaftlich: Friedrich hat sie offenbar sehr geliebt, obwohl er sich ihr gegenüber manipulativ und gewalttätig verhielt. Sie wollte von ihm los, konnte es aber lange nicht. Warum?

Reisinger: Friedrich ist sehr von sich überzeugt. Eine laute, linke Männerfigur, die bei jeder feministischen Diskussion ganz vorne stehen würde. Es gibt viel physische, psychische Gewalt, Manipulation, emotionales Ausnutzen. Dafür ist Friedrich ein gutes Beispiel. Er heftet sich einerseits an sie, aber gleichzeitig ist er nie für sie da und beeinflusst sie bei allem. Ich wollte zeigen, wie schwer es ist, sich von so einer Person zu trennen, wenn man nicht gerade in einem Matriarchat wie Engelhartskirchen wohnt. Deshalb braucht sie auch sehr lange, um sich einzustehen, was er gemacht hat. Und dass ihre beste Freundin mit ihm befreundet ist, macht es nicht leichter. Natürlich haben auch Vergewaltiger Freundinnen, Freunde, Familie, Schwestern. Doch sie können trotzdem zwei Gesichter haben. Auch bei #MeToo-Fällen gab es immer wieder Frauen, die sagten, ich bürge für diesen Mann, ich bin mir sicher, er würde dies oder jenes nie tun. Friedrich hat seine Reize, und ich denke, Frauen werden auch darauf konditioniert, genau solche Typen gut zu finden. Hannes ist der konträre Typ, der für alles länger braucht, der ganz ruhig ist, überhaupt kein Selbstdarsteller, und Entscheidungen sehr intuitiv trifft.

STANDARD: Aber zwischen Hannes und Anna Maria wirkt es leidenschaftsloser. Bedeutet das, Leidenschaft ist die Gefahr?

Reisinger: Leidenschaft wird auch oft mit Grenzüberschreitung verwechselt. Das, was sie an Friedrich gut findet, ist auch sehr toxisch. Hannes und Anna Maria geben einander Stabilität und Sicherheit – auch das ist Leidenschaft. (Beate Hausbichler, 23.9.2023)